WIR SIND DIE NEUEN

PÖNIs: (4/5)

„WIR SIND DIE NEUEN“ von Ralf Westhoff (B + R; D 2013; K: Ian Blumers; M: Oliver Thiede; 91 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.07.2014); gleich mal – niemand in diesem (Film-)Land schreibt so wunderbar pointierte, treffsicher doppelbödige Dialoge wie der 44-jährige Münchner Filmemacher RALF WESTHOFF. Was schon bei seinen ersten beiden herrlichen Kino-Streichen „Shoppen“ (s. Kino-KRITIK) und „Der letzte schöne Herbsttag“ (s. Kino-KRITIK) von 2006 und 2010 zu hören, zu empfinden war. Und auch hier kriegt der Autoren-Regisseur erneut clevere wie plausible wie herrlich zweideutige Komisch-Tön zustande.

Inmitten einer kessen, durchaus möglichen Story. Sie waren mal jung. Damals in den Siebzigern. Haben in einer WG zusammengelebt und mächtig Rabatz gemacht. Gehabt. Dann ging jeder seiner Bürger-Wege. Heute, 35 Jahre danach, bemüht sich Anne (GISELA SCHNEEBERGER) die Clique von einst für eine Alters-WG „zu interessieren“. Notgedrungen. Sie muss halt aus ihrer Kiez-Wohnung ´raus, will aber nicht an den (noch) bezahlbaren Münchner Stadtrand verdrängt werden. Was also passiert, wenn man geschieden ist, keine Karriere und das notwendige Altersgeld gemacht hat und eben die Wohnungen in der bayerischen Hauptstadt inzwischen für Alleinstehende in ansprechender City-Lage mietmäßig nicht mehr zu bezahlen sind? Klar, man tut sich – wie damals – zusammen. Fesch wie sie war, und aktiv wie sie ist, taucht Anne bei ihren WG-Ehemaligen auf und unterbreitet denen ihren aktuellen WG-Vorschlag. Mit (sehr) unterschiedlichen Reaktionen. Also Antworten. Doch ZWEI sind tatsächlich einverstanden mitzuziehen. Um ebenfalls Geld zu sparen und nicht mehr alleine wohnen zu müssen: Johannes (MICHAEL WITTENBORN), der als linker Anwalt zu wenig Skrupel besaß, um „Großes“ zu erreichen, und Eddi (HEINER LAUTERBACH), dessen Lebensweg als Weiberheld zu einigen herben Narben und gesundheitlichen Tiefschlägen geführt hat.

Gemeinsam fühlen sie sich wieder stark. In ihrer geräumigen Altbau-WG. Wo nochmal das „Gefühl von gestern“ wiederbelebt werden soll. Mit Wein, Rock `n` Roll und taffen Gesprächsmotiven. Dermaßen erwartungsvoll und gut gelaunt gehen sie gleich mal auf ihre Nachbarn über ihnen zu. Wollen sich vorstellen. Mit denen kontakten. Stoßen aber, gelinde gesagt, auf geringes, also eigentlich gar kein Interesse. Denn dort lebt eine „zivilisierte“ Studenten-WG (zwei Mädels, ein Junge), die gerade „`ne total sensible Zeit“ durchmacht. Von wegen Dauer-Stress von wegen bevorstehendem Examen. „Wir können euch nicht helfen!“, lautet von denen die barsche Kontaktaufnahme-Ablehnung. Man hätte keine Zeit: Etwa FÜR SIE zur Apotheke zu gehen oder was Schweres zu tragen oder ihnen Handy-Menüs zu erklären. Kurzum: Jung hält Alt für klapprig. Mit klarem Verfallsdatum versehen. Und störend: „Wir hatten, ehrlich gesagt, mit etwas ruhigeren Nachbarn gerechnet, vor allem in eurem Alter“. Und noch hämisch-deutlicher: „Wir sind keine Gleichgesinnten, wir sind die Ablösung“. Motto: Ihr habt gelebt, jetzt sind WIR dran. Die sauberen Enkel. In voller Spießer-Montur. „Die sind seltsam erwachsen“, staunt Anne.

Wer Klamauk erwartet, wird positiv enttäuscht. Ralf Westhoff zielt auf den tragikomischen, ironischen Zusammenknall von Generationen. Im Heute. Die 60-er träumen von einem wiederholfähigen, wohligen Damals-Gefühl („Jeden Tag ist heute alles anders, das nervt“/Anne), die zielstrebigen Jungen haben sich damit arrangiert, dass „erfolgreiches Leben“ harte Arbeit und mit ohne Vergnügen bedeutet. Jedenfalls gerade. Wo der Ziel-Druck an die Psyche hämmert. Versagensängste lauern. Wo man sowieso schon von allem genervt ist und sich nun auch noch mit dem Alters-Trio von unten auseinandersetzen soll. Muss. Doch auch bei Anne, Johannes & Eddi bebt die Erkenntnis: „WIESO HÖRT MAN MIT ALLEM AUF, WAS SPAß MACHT? WIESO?“

Was für ein Vergnügen. Tobt sich hier gedanklich wie emotional wie sensibel aus. Weil die Typen – sowohl DIE von gestern als auch DIE von jetzt – stimmen. Sich vortrefflich bewegen wie ausdrücken. Lächerlichkeit und Banalitäten erst gar nicht aufkommen lassen. Diese spannende, gesellschaftliche Gratwanderung zwischen trocken-witzig und deftig-heftig gelingt Ralf Westhoff phänomenal. Und seinem großartigen Ensemble (mit dem Nachwuchs-Trio CLAUDIA EISINGER, KAROLINE SCHUCH & PATRICK GÜLDENBERG). Völlig überzeugend. Ganz vorzüglich. Ralf Westhoff allerdings sollte sich für seine nächsten Filme nun auch dranmachen, „Handlung“ fleischiger auszubauen. Um die figurenmäßigen Zusammenhänge noch mehr (süffisant) zu (er-)klären. Nicht gedanklich, darin ist er schon Meister, sondern erläuternder. Innerhalb der Figuren. Dort könnten straffere Charakter-Beschreibungen zu (noch) mehr klugem Fein-Spaß führen. Und Verständnis. Seine scharfzüngigen Worte besitzen viel Feuer, Charme und Pfeffer, nun sollten sich zu den tollen Verbal-Attacken auch die pointierten Seelen-Farben seiner Figuren dazugesellen. Über Andeutungen hinausgehen.

Nichtsdestotrotz – habe ich mich lange nicht mehr in einem deutschen Film dermaßen gut amüsiert. Ralf Westhoff ist einer, auf den die Branche (endlich) und das Publikum (vermehrt) ihr gewichtiges Augenmerk richten sollte. Er vermag es eben prima – für schamfreie deutsche Besser-Unterhaltung zu sorgen: „Wir sind die Neuen“ ist ein schönes partnerschaftliches Kino-Leckerli (= 4 PÖNIs).

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