WE WANT SEX

WE WANT SEX“ von Nigel Cole ( GB 2010; B: William Ivory; 113 Minuten; Start D: 13.01.2011); heißt im Original “Made in Dagenham”. Der deutsche Titel bezieht sich auf ein Plakat, das ganz ausgerollt „We Want Sex Equality“, also „Wir wollen Gleichberechtigung“, lautet.

Der 51jährige Brite Nigel Cole kommt vom Theater und war beim Fernsehen, bevor er sich mit seinen beiden phantastischen Frauen-Filmen Grasgeflüster“ (2000; mit Brenda Blethyn) und vor allem „Kalender Girls“ (2003; mit Helen Mirren + Julie Waters) in die vordere Riege britischer Regisseure brachte. Und auch hier stellt er eine bemerkenswerte „Heldin“ und großartige Darstellerin in den Focus einer auf authentischen Fakten basierenden englischen Global-Geschichte: RITA O´GRADY alias SALLY HAWKINS („Happy-Go-Lucky“/“Silberner Berlinale-Darstellerinnen-Bär“ 2009 ).

Wir befinden uns im Aufbruchsjahr 1968. Zu jener Zeit waren die FORD-Werke im Londoner Vorort Dagenham die größte Fabrik Europas. Mit rund 55.000 männlichen Arbeitern, die pro Jahr eine halbe Million Autos bauten. Frauen waren nur einige wenige angestellt, genauer gesagt 187; sie nähten die Autositze zusammen. Ihre Arbeitsbedingungen waren allerdings grottig. Als wir sie das erste Mal erblicken, sitzen sie in einer unwirtlichen großen Halle in Unterwäsche an den Nähmaschinen, weil es so warm und stickig ist. Doch sie nehmen ihre Arbeitssituation mit Humor – kennen sie es nicht anders. Doch jetzt sind sie aufgebracht, hat man doch ihre Arbeit seitens der Firmenleitung in den Status von „Ungelernten“ zurückgestuft. Dabei sind sie zumeist besser ausgebildet als viele der „ungelernten“ Männer. Und bekommen dennoch einen viel niedrigeren Lohn.

Die männlichen Gewerkschaftsoberen wollen sich wieder einmal mit der Geschäftsleitung arrangieren. Bis auf Gewerkschaftsvertreter Albert (wunderbar hintergründig-verschmitzt: BOB HOSKINS/“Rififi am Karfreitag“; „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“)), der sie insgeheim „anstachelt“. Was bei Näherin Rita (Sally Hawkins) auf fruchtbaren Boden fällt. Sie entpuppt sich wider Erwarten als wortgewandt und clever. Und mit gesundem Menschenverstand ausgestattet. Rita sorgt mit dafür, dass es zum ersten Frauenstreik in der britischen Geschichte kommt. Anfangs belächelt, dann verwundert, dann „empörend“ zur Kenntnis genommen. Doch der „Schwellenbrand“ lässt sich nicht mehr aufhalten. Der Streik weitet sich immer weiter aus, so daß Ford keine Autos mehr ausliefern kann. Dadurch werden auch Tausende von Männer vorübergehend arbeitslos. DAGENHAM wird plötzlich zum nationalen Krisen-Brennpunkt. Zum Politikum. Erreicht höchste politische Dimensionen. In Großbritannien wie in den USA. Mittendrin: Die energischen Fabrik-Frauen um die charismatische Rita O´Grady.

Was sich möglicherweise wie ein trockenes Arbeiterinnenstück mit rebellischer „Fahnen-Romantik-Botschaft“ anhört, ist in Wirklichkeit eine fulminante, köstliche wie typisch-britisch-lockere, warmherzige Sozialkomödie. In der prächtigen Unterhaltungstradition von Hits wie „Ganz oder gar nicht“ oder „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“. Das ereignisreiche, engagierte, anstrengende Leben „kleiner Leute“. Die den Begriffen von Solidarität und Gemeinschaft Leben einhauchen. Und wie! Das ist der springende, emotionale wie gesellschaftspolitische Pluspunkt und symbolhafte Charakter dieses „stimmungsvollen“ femininen Leinwand-Aufstands. Der einst viel bewirkt hat. Und es allemal wert ist, so bitterfein-punktgenau wie fein-ironisch filmisch nacherzählt zu werden. Weil die Mechanismen von chauvinistischem Macho-Gebahren und schlechterer Frauenbezahlung bei gleichrangiger Arbeit sowohl gedanklich wie tatsächlich bis heute anhalten. Und weil dies zugleich ein grandioses Zeitreise-Movie in eine spannende End-1960er-Epoche ist: Mit einer „entspannten“ Kamera (von JOHN DE BORMAN), einem treffsicheren Klasse-Gefühls-Blick für Raum, Ausstattung, Kostüme. Mit einer „passenden“ Soundtrack-Begleitung (von DAVID ARNOLD) sowie – mit einem herrlichen wie unaufdringlichen starken „Weiber“-Ensemble. Das bis in die kleinsten Nebenfiguren stimmig besetzt ist. Und natürlich mit der „sanften“ SALLY HAWKINS eine überzeugende, exzellente „Leaderin“ besitzt.

Es bleibt dabei: Vor allem die Briten vermögen „so etwas Politisches“ so klug, also nahegehend, so berührend wie angenehm-„realistisch“ zu vermitteln. So glaubhaft. So überzeugend.

„We Want Sex“ ist Klasse pur. Ein ganz und gar prima-unterhaltsamer Denkfilm (= 4 PÖNIs).

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