„WESTWIND“ von Robert Thalheim (B+R; D 2010; 87 Minuten; Start D: 25.08.2011); der Westberliner des Jahrgangs 1974, der vom Theater kommt, zählt zu den spannenden, ernstzunehmenden deutschen Filmemachern. „Netto“ hieß 2005 sein Leinwand-Erstling; in der „Zeit“ war damals vom „Idealfall eines Debüts“ zu lesen. In Saarbrücken gab es in der Kategorie „Förderpreis Langfilm“ den Max-Ophüls-Preis. Sein zweiter Langfilm wurde vor allem bei der Kritik geschätzt. Für mich aber war 2006 das im heutigen Auschwitz angesiedelte Drama „Am Ende kommen Touristen“ nicht mehr als ein Nur-Gute-Absicht-Film.
Das dritte Kino-Werk dieses hochinteressanten Talents basiert auf wahren Begebenheiten und ist ein kleines Meisterwerk. Spielt 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, im westungarischen Balaton, ehemals Plattensee. Dorthin verschlägt es die unzertrennlichen 17jährigen Zwillingsschwestern Isabel und Doreen aus Leipzig. Als talentierte Rudersportlerinnen sollen sie hier das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden – Urlaub machen und trainieren. Nach dem Gewinn der Bezirksmeisterschaft ist „man“ auf sie aufmerksam geworden. Und holt sie deshalb in dieses deutsch-ungarische Pionierlager. Nach Siofok. Das streng umzäunt ist. Damit „Westkontakte“ unterbleiben. Doch die Schwestern haben auf der Herfahrt „Hamburger Jungs“ kennengelernt. Obwohl verboten, wird der zwischenmenschliche Kontakt aufrechterhalten. Und intensiviert. Besonders zwischen Doreen und Arne hat es „gefunkt“. Als die Abreise der Westdeutschen bevorsteht, müssen die Zwillinge die folgenschwerste Entscheidung ihres jungen Lebens treffen.
Was sich möglicherweise in der Schilderung in Richtung oberflächlich, leicht oder seicht als einfache deutsch-deutsche Damals-Geschichte anhört, ist vielmehr ein sehr sensibler, glaubwürdig vermittelter und vor allem sensationell überzeugend gespielter Menschen-Film. Inmitten eines unaufdringlichen, “zeigefingerlosen“ Szenariums und einer unangestrengten Zeit-Beschreibung. Thalheim neigt weder zur Übertreibung noch gar zu irgendwelcher Anklage. Zeigt, offenbart Atmosphäre und Emotionen ebenso sanft wie beharrlich. Ohne Übertreibungen, Spektakel-Motive oder Leer-Stellen. Ganz im Gegenteil, seine Protagonisten sind ausgesprochen SPANNENDE Charaktere. Denen man gerne folgt.
„Westwind“ ist kein locker-flockiges Komödien-Einerlei um Grenzen und Liebe, so mit Beliebigkeits-Charme, sondern eine packende deutsche Geschichte mit berührendem Tiefgang. Der Glaubwürdigkeitseffekt ist riesig!
Vor allem – weil die beiden „Mädels“ so faszinierend agieren: FRIEDERIKE BECHT und LUISE HEYER treffen ausdrucksstark Bewegung, vor allem die stumme, körpersprachliche, und Seele. Treffen punktgenau diese komplizierter werdenden Stimmungen. Sind als neugierige, erwachende Teenager von immenser Ausstrahlung und Typen-Stärke. Robert Thalheim „kriegt“ aber auch die „Jungs“ bravourös „hin“: FRANZ DINDA als Arne bringt seine Empfindungen ebenso „diskret“ wie sinn-tief passend mit-ein. Und auch Drumherum agieren keine Klischee-Pappkameraden, sondern glaubhafte Personen aus Fleisch und Blut. Voller Wahrhaftigkeit. Und mit gutem Timing. Für Situationen und Details.
Was für ein hervorragender, ambitionierter deutscher Unterhaltungsfilm mit historischem Polit-Geschmack: „WESTWIND“.
Sehenswert. ABSOLUT sehenswert! (= 4 PÖNIs).