WERK OHNE AUTOR

„WERK OHNE AUTOR“ von Florian Henckel von Donnersmarck (B, Co-Produzent + R; D 2016; nach Motiven des Buchs „Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter. Das Drama einer Familie“ von Jürgen Schreiber; K: Caleb Deschanel; M: Max Richter; 188 Minuten; deutscher Kino-Start: 04.10.2018); ER ist der Größte. Mit seinen 2 Meter und 4 Zentimetern. Oder sind es 5? Jedenfalls zählt FLORIAN HENCKEL VON DONNERSMARCK, 1973 in Köln geboren, nicht nur äußerlich zu den kreativsten Hochgeschossenen, sondern auch als Filmkünstler. Denn welchem hiesigen Autoren-Regisseur gelingt schon mit seinem ersten Spielfilm solch ein Wucht-Meisterwerk wie „Das Leben der Anderen“ (s. Kino-KRITIK), das 2006 alle bedeutsamen nationalen wie internationalen Preise einheimste und 2007 sogar mit dem Auslands-„Oscar“ geehrt wurde? (Dass die Berlinale ihn 2006 für ihren Wettbewerb ablehnte, sei nur noch mal am Rande erwähnt). Im Dezember 2010 folgte dann sein zweiter Kinospielfilm, „The Tourist“ (s. Kino-KRITIK), in dem Florian Henckel von Donnersmarck die Hollywood-Stars Angelina Jolie und Johnny Depp thrillerhaft turteln ließ.

2016 fanden die Dreharbeiten zu diesem Film statt, in dem es um die Hintergründe des berühmten Gemäldes „Tante Marianne“ von Gerhard Richter geht, die der Journalist Jürgen Schreiber 2004 offenlegte. Richters Tante wurde 1945 mit 27 Jahren ein Opfer der Euthanasie-Politik der Nazis, nachdem bei ihr Schizophrenie diagnostiziert wurde. Verantwortlich für das Todesurteil war der SS-Arzt und Professor Heinrich Eufinger, Richters  Schwiegervater, also der Vater seiner Ehefrau Ema. Schreiber schrieb damals prophetisch: „Stoff für einen Film über Kunst und Wirklichkeit. Hier Hausherr Eufinger, unheilbar gesund in seiner Nazi-Gesinnung, Handlanger bei Hitlers ‚Reinigung des Volkskörpers‘. Dort Richters arme Tante Marianne, unheilbar krank, von den Nazis zum ‚Ausmerzen‘ bestimmt. Kein Regisseur könnte das Beziehungsgeflecht makaberer inszenieren“. Florian Henckel von Donnersmarck, der heute mit seiner Familie in den USA lebt, „traute“ sich. Und erzählt genau „davon“ und orientiert sich dabei am Lebenslauf des heute 86-jährigen Malers, Bildhauers und Fotografen Gerhard Richter, geboren am 9. Februar 1932 in Dresden, dessen Werke auf dem heutigen Welt-Kunstmarkt die teuersten eines lebenden Künstlers sind.

„WERK OHNE AUTOR“ ist eine historische, personelle, emotionale wie umfangreiche Achterbahnfahrt durch drei Episoden deutscher Geschichte, vergleichbar mit dem Wahnsinn und der Tragik des 20. Jahrhunderts, angelegt an drei Schicksale. Motto: Der Künstler und seine lange Suche nach seinem künstlerischen Ich (TOM SCHILLING („Oh Boy“); der düstere, macht-besessene Arzt und Faschist, pedantischer Verbrecher-Herr über Leben und Tod (SEBASTIAN KOCH/“Das Leben der Anderen“), und seine Tochter und liebende Künstler-Frau (PAULA BEER /“Frantz“), die von ihrem Vater eigenhändig sterilisiert wird, damit kein neues „unwertes Leben“ entstehen soll. Individual-Schicksale im „Ausmaße“ der deutschen Geschichte. Der Gerhard Richter im Film heißt Kurt Barnert, durchlebt drei Staatssysteme, ist als sprachlicher Zauderer eher der staunende Chronist und vermag schließlich seine Wahrheit in seiner Kunst zu finden: „Meine Bilder sind klüger als ich“. Und diese „entdeckt“ er schließlich in sich, in der Konfrontation mit seinen persönlichen, traumatischen Erinnerungen. „Nicht wegsehen. Nicht wegsehen!“ lauteten schließlich die letzten Worte seiner geliebten Tante Elisabeth (SASKIA ROSENDAHL), bevor sie ins Nazi-Irrenhaus verschleppt und später vergast wird. Im DDR-System muss sich Kurt Barnert für ideologische Wandmalereien hergeben, um nach der Flucht in die BRD dann in Düsseldorf auf seinen Mentor zu treffen: dem Joseph Beuys nachempfundenen Professor Antonius van Verten (OLIVER MASUCCI).

Ein gewaltiges Stück Erzähl- und Bilder-Kino. Sich fiktional ausbreitend, um offen sein zu können für Kino-wichtige Dramatik, Melancholie, Humor und Tragik. UND: drei Stunden mitnehmende, großartige Ensemble-Wirkung. Ob im Kleinen wie eingangs von Lars Eidinger als Nazi-Wort-besoffener Führer durch die Dresdener Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 oder eben mit den überragenden drei Rampen-Giganten: TOM SCHILLING, seit „Oh Boy“ (2012) und „Who Am I – Kein System ist sicher“ (2014) auf einem riesigen Karriere-Sprung, als mühevoller sensibler Eroberer seiner lange verborgenen Kunst, als Kurt Barnert ein ungemein faszinierender, sensibler Charakter; SEBASTIAN KOCH als großartig-elender, aalglatter, listig-gruseliger, charismatischer, seelenlos-arroganter Nazi-Entscheider Carl Seeband oder PAULA BEER als Ellie Seeband, die charmante, emanzipierte (Ehe-)Frau mit dem großen Herzen und gepeinigte Tochter eines väterlichen Nazi-Bastards. Während der „lebendige“ Score von MAX RICHTER („Waltz with Bashir“), bisweilen mit übermächtigem Orchester-Pathos, laut und angenehm-vernehmlich mit-erzählt.

188 Minuten und? Kein bisschen zu viel. „WERK OHNE AUTOR“, der leider erst dritte Kinospielfilm des 45-jährigen Florian Henckel von Donnersmarck, ist vortrefflich wie enorm ambitioniert, vermag sehr viel spannend-„umfangreicher“, packender zu zeigen und zu denken, also zu unterhalten als so viele, viele andere deutsche Gestern-Heute-Kinospielfilme; wirkt wie einer dieser besseren alten, langen Hollywood-Werke, in denen nahegehende Geschichten von hervorragendem Personal brillant und emotional ansprechend ERZÄHLT wurden. Hoffentlich dauert es nicht wieder 8 Jahre, bevor der nächste Streich dieses außergewöhnlichen, hochinteressanten deutschen Filmemachers/Filmkünstlers im Kino erscheint.

Übrigens: „WERK OHNE AUTOR“ vertritt das Filmland Deutschland für die nächsten Auslands-„Oscar“-Nominierungen. Donnersmarck kann also auf seinen zweiten „Oscar“ hoffen (= 4 PÖNIs).

 

 

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