„WACKERSDORF“ von Oliver Haffner (Co-B + R; D 2017; Co-B: Gernot Krää; K: Kaspar Kaven; M: Hochzeitskapelle; 123 Minuten; deutscher Kino-Start: 20.09.2018); wir können es. Wir vermögen es. „Wir“ können hervorragende, also ebenso inhaltlich-spannende wie unterhaltsam-spannende Kinofilme herstellen. Bestes Beispiel dafür ist dieser historische wie aktuelle neue deutsche Milieu-Polit-Thriller „WACKERSDORF“. Als beunruhigendes Meisterwerk!
In der 5000-er Seelengemeinde Wackersdorf. Im Landkreis Schwandorf in der Oberpfalz. Also in Bayern. Im Jahr 1981. Eine schöne beschauliche Landschaft um den Taxöldener Forst. Wo immer mehr unzufriedene Bürger leben. Der Braunkohleabbau ist weitgehend eingestellt, die Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Hinterland demzufolge immens. Da kommt das Angebot der bayerischen Landesregierung – mit ihrem Gott-ähnlich-verehrten Alleinherrscher Franz-Josef Strauß – gerade richtig: Hier, in dieser Gegend, soll ein „zukunftsweisendes Großprojekt“ entstehen. Das für mindestens 3000 neue Arbeitsplätze sorgen wird: Eine atomare Wiederaufbereitungsanlage für nukleare Kernbrennstoffe. „Alles sauber, völlig ungefährlich“, versprechen erst der bayerische Umweltminister (köstlicher Schleim-Zwischenpart vom Kabarettisten: SIGI ZIMMERSCHIED); dann der bayerische Innenminister (beeindruckend als Regierungs-„Höfling“: AUGUST ZIRNER) und schließlich und vor allem Karlheinz Billinger (wahnsinnig-gut-schmierig: FABIAN HINRICHS) von der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DKW), der Atom-Lobbyist, dem es vor allem darum geht, dass diese Landschaft-hier „weitgehend unberührt“ bleibt. Sagt er. SPD-Landrat Hans Schuierer (JOHANNES ZEILER) ist angetan und verspricht sich und seinen Bürgern nahenden Wohlstand. Dass „nicht alle“ mit dem Projekt einverstanden sind – eine kleine Gruppe von Atomkraft-Gegnern protestiert aus Angst vor den unkalkulierbaren Risiken -, wird entweder belächelt, dann „als lächerlich“ abgetan, schließlich aber: ungemütlich. Denn „DIE“ errichten einen Holzturm, um die neue Baustelle im Wald besser beobachten zu können, den dann die Polizei, auf Weisung „von ganz Oben“, ohne den Gerichtsentscheid abzuwarten, abreißt. Angesichts dieser unverhältnismäßigen Reaktion wird der Landrat zunächst etwas, dann intensiver und schließlich überzeugter Gegner derartiger amtlich-autoritärer Maßnahmen. Da aber seine Unterschrift für den Bau laut Gesetz vonnöten ist, gerät er in die politische wie gesellschaftliche Zwickmühle. Mitbürger wie Parteigenossen vor Ort verstehen nicht, wieso der ansonsten so friedliebende Hans plötzlich Meinung und Seiten wechselt. Und die versprochenen neuen Arbeitsplätze gefährdet. Aber der Landrat findet auch unverhoffte Verbündete wie in dem bei ihm im Team mitarbeitenden Beamten Claus Bössenecker (PETER JORDAN), den die Staatsregierung in München extra als ihren „Interessenvertreter“ dorthin platziert hat. Was für ein Eigentor. Immer mehr zeigt sich, dass der eigentlich „kleine, unwichtige“ Herr Landrat aus „diesem Provinzkaff“ zu einer Gallionsfigur in der lauter und härter und zunehmend öffentlicher werdenden Auseinandersetzung und Machtprobe zwischen „Atom“-Führer Strauß und dem gemeinen Volk wird.
„Wackersdorf“ – kein billiges, politisch einseitiges Pamphlet. Ganz im aufregenden Gegenteil. Sondern ein spannender, faszinierend-authentischer, hervorragend bis in den kleinsten Nebenpart besetzter Ensemble-„Krimi“ mit faktischem Polit-Hintergrund: das Drehbuch von Regisseur Oliver Haffner & seinem Kollegen Gernot Krää konzentriert sich in der Hauptsache auf die großartig-besonnen wie sensationell-leise-kraftvoll von JOHANNES ZEILER gespielte Figuren-Persönlichkeit des Landrats Hans Schuierer. Der bis zu seiner Pensionierung 1996 Landrat von Schwandorf war und bei Wahlen stets fantastische Ergebnisse von bis zu 73 Prozent einfuhr, und den die „Süddeutsche Zeitung“ mehrfach als „Titan von Wackersdorf“ bezeichnete. Basierend auf ausführlichen Recherchen in Film- und Foto-Archiven, in Landtagsprotokollen sowie Interviews mit etlichen Zeitzeugen. Wie mit dem heute 87-jährigen, bundesweit geachteten und sehr geschätzten Schwandorfer „Ehrenbürger“ HANS SCHUIERER, der – im Presseheft – die Verbindung zum Heute herstellt. Er sei dankbar für diesen Film der vor allem zeige, „was in einem Rechtsstaat nicht passieren darf, aber auch, was in einem Rechtsstaat möglich ist“.
Die Kino-Zeit vergeht wie im Fluge, so prächtig funktioniert dieser thematisch weit über die bayerische Region hinausgehende und heute einmal mehr lebendige Aufreger = Motto: Wehrt Euch, leistet Widerstand = von überragendem Spannungs-Kino (= 4 1/2 PÖNIs).
P.S.: „Wie erklären Sie sich, dass das politische Engagement in der Gesellschaft nachgelassen hat?“, wird der am 4. April 1974 in Germersheim geborene und in München aufgewachsene Co-Autor und Regisseur OLIVER HAFFNER – dessen filmische Vorbilder Ken Loach und Mike Leigh sind – im Presseheft gefragt: „Es gibt heute nicht mehr dieses Verständnis von Gemeinschaft. Davon zeugt auch, dass Vereine immer weniger Zulauf bekommen. Man will sich heute nicht mehr binden und für etwas stehen, hält sich lieber alle Optionen offen. Ein weiterer Grund sind sicher die sozialen Medien. Sie haben einen schrecklichen Nebeneffekt: Die Leute entladen dort ihren Protest, indem sie einen Gefällt-mir-Button drücken, und denken, ihre Schuldigkeit getan zu haben. Aber dieser Protest verpufft, und es staut sich keine Energie mehr an, die sich vielleicht in Demonstrationen entladen würde“. Im Hambacher Forst „entsteht“ gerade Neu-Hoffnung (= der Autor).