UNTER ZEUGENSCHUTZ

Der innovative US-Pay-TV-Kanal HBO („Home Box Office“) und seine hauseigenen Produktionsperlen: Siehe die DVD-Kritiken zu „THE RAT PACK“ sowie zu „DIE LEGENDE – DER KAMPF UM CITIZEN KANE“. Jetzt ist erneut so ein Film-Juwel als deutsche DVD-Premiere zu annoncieren. Dabei handelt es sich um den vorzüglichen Psycho-Thriller „WITNESS PROTECTION“, der im Jahr 2000 als „Bester Film“ für den „Golden Globe“ nominiert war, aber dem genannten HBO-Werk „Die Legende – Der Kampf um Citizen Kane“ unterlegen war. Bei uns ist „Witness Protection“ unter dem DVD-Titel

UNTER ZEUGENSCHUTZ“ von Richard Pearce (USA 1999; B: Daniel Therriault + Robert Sabbag; 97 Minuten; DVD-Start: 14.04.2011); herausgekommen.

Grundlage des meisterlichen Spannungsfilms ist der Artikel „The Invisible Family“ des Journalisten und Schriftstellers (und hier auch Co-Drehbuch-Autoren) ROBERT SABBAG im „New York Times“-Magazin vom 11. Februar 1996 (der Sonntags-Beilage der „New York Times“). Wir kennen DAS aus „herkömmlichen Krimis“: Auf einen „hochrangigen“ Kriminellen wird von seiner eigenen „Truppe“ ein Attentat verübt, er überlebt und stellt sich fortan der Polizei und der Justiz aussagekräftig zur Verfügung. Für den Preis einer neuen Identität. Innerhalb des amtlichen Schutzprogramms. Was soviel bedeutet wie – irgendwo ein neues Leben unter neuem Namen anfangen zu können. Geschützt durch die Behörden. So können die Schurken überführt und ihrer Strafe zugeführt werden. Ein „rechtsstaatlicher Deal“. Ende. Abspann. Hier fängt es genauso an.

Bobby Batton (TOM SIZEMORE) ist ein Geschäftsmann. In Boston. Die Polizei bezeichnet ihn als Berufskriminellen. Der für den Mob profitabel tätig ist. Dem aber bislang nichts nachzuweisen war. Als auf ihn und seine Familie in ihrem Haus ein Anschlag verübt wird, wird ihm bald klar: „Ich bin ab jetzt geächtet“. Um Ehefrau, die kleine Tochter, den halbwüchsigen Sohn und sich zu schützen, stellt er sich der Justizbehörde und dem FBI „zur Verfügung“. Packt aus. Will ein neues, das sichere Leben. Schon hier wird deutlich, der Film interessiert sich NICHT für den „Kriminalfall“ Bobby Batton, sondern für die Family Bobby Batton. Für die Internas in „solch einem Familienverbund“. Der vom einen Moment auf den anderen völlig sein Leben umstellt, umstellen muss. Anfangs glaubt Bobby Batton noch, „die Regeln“ hier in der Hand zu haben bzw. selbst diktieren zu können. Stolz und obenauf. Laut. Dann jedoch wird ihm, wird der gesamten Familie klar (gemacht), dass alles ganz, ganz anders läuft. Dass ER keinesfalls in diesem Spiel um das (Über-)Leben die Trumpf-Karten besitzt. Ganz im Gegenteil. Er muss erkennen, dass seine „Ansprüche“ völlig anders „bewertet“ werden. Weil er auch privat zuviel vermurkst hat.

„Willkommen Freunde. Sie befinden sich im Sicherheits- und Orientierungszentrum des Zeugenschutzprogramms“: Inspektor Steve Beck („Oscar“-Preisträger FOREST WHITAKER) legt Wert auf Etikette. Und die bürokratischen Richtlinien. Vorschriften. Die „demokratischen Spielregeln“. Und zu denen gehört der abzuschließende Vertrag zwischen der Bundesanklagebehörde und der Familie. In dem alles geregelt werden soll: „Wir erklären Ihnen, wie ihr Familienleben funktioniert, damit sie nicht wieder in die Scheiße kommen“. Zugleich geht es auch die „Neuausrichtung der Erwartungen“. Von Amts wegen. Bobby & Anhang sind erst entsetzt, dann verdutzt. Cindy Batton, die resolute Ehefrau (MARY ELIZABETH MASTRANTONIO), begreift schneller als ihr Gatte, dass Kooperation fortan die einzige Chance ist. Allerdings hat auch sie die individuellen Auswirkungen hierfür einigermaßen unterschätzt. Ist irgendwann mit den Nerven fertig und rebelliert. Und auch die Kinder sorgen für innerfamiliären Rabatz. Die Familie droht auseinanderzubrechen. Was allgemein auf natürliche Gleichgültigkeit stößt. Schließlich hat man sich jahrelang auf Kosten der Allgemeinheit, der Gesellschaft illegal bereichert. Da ist normales Mitleid fehl am Platze. Nur Steve Beck bemüht sich, ein halbwegs machbares Arrangement zustandezubringen. Sieht sich nicht nur als sturer Paragraphenreiter, sondern vielmehr als „Beteiligter“. Als Vermittler zwischen den Menschen, zwischen der alten Parallerwelt und der möglichen neuen Realitätswelt des Mr. Batton. Doch dazu, dafür muss er erst Bobby „brechen“. Ihn auf vernünftige, normale „Gesellschaftstemperatur“ herunterkriegen. Damit er „eingliederbar“ ist. Und die Seinen.

Ein hochinteressanter neuer Aspekt von Spannung. Interner Spannung. Von totaler An-Spannung. Bei sämtlichen Beteiligten. Weil das hervorragende Ensemble dies psycho-tief und porentief-dicht darzubieten weiß. Dabei wird auf Heldenklischees und Helden(ver)klärung verzichtet. Auf die Böse-Gut-Mätzchen. Stattdessen der Blick auf die faszinierenden verbalen Duelle. Das ständige Bemühen, Vorteile zu (be-)schaffen. Das ständige Spiel um Macht. Überlegenheit. Des individuellen Gewinns. Innerhalb einer demokratischen Ordnung. Aufregend ist DAS. Als Denk-Thriller. Freiheit gibt es hier nur für Opfer-Taten. Doch lohnen sich DIE überhaupt, wenn sie „so“ ausfallen (sollen)…???

TOM SIZEMORE („Black Hawk Down“) gibt das macho-proppere Alphatier. Das auf keinen Fall auf seine (finanziellen) Privilegien, sprich den Luxus, zu verzichten gedenkt. Zunächst. Als Familienoberhaupt windet er sich wie eine listige Schlange, die weiterhin auf „bestes Futter“ setzt. „Gattin“ MARY ELIZABETH MASTRANTONIO („Robin Hood – König der Diebe“/1991; seit dem Vorjahr Team-Mitglied in der TV-VOX-Serie „Criminal Intent – Verbrechen im Visier“) fletscht brillant Zähne wie dann auch Fäuste.“Oscar“-Hero FOREST WHITAKER („Der letzte König von Schottland“) offenbart einmal mehr eine brillante, durchdringende Körpersprache der gespaltenen Seele. Regisseur RICHARD PEARCE (geboren am 25. Januar 1943 im kalifornischen San Diego), der für seinen Western „Heartland“ bei der 30. Berlinale von 1980 den Hauptpreis, den „Goldenen Bären“, zugesprochen bekam, hat mit „Unter Zeugenschutz“ einen außergewöhnlichen, erstklassigen „anderen“ Thriller geschaffen. Und lässt vor dem Abspann ausrichten: „Bis zum heutigen Tag haben sich 16.000 Menschen in das Zeugenschutzprogramm begeben. Jeden Tag werden überall im Land drei neuen Familien umgesiedelt“ (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „3 L“.

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