THE UNFORGIVEN

Oftmals war es umgekehrt: Westliche Filmemacher sahen einen fernöstlichen Film und übernahmen ihn, adaptierten ihn, für ihre neueste Arbeit. So geschehen, als der amerikanische Regisseur John Sturges seinen Western-Welterfolg „Die glorreichen Sieben“ 1959 nach dem japanischen Werk „Die sieben Samurai“ von 1954 schuf. Und als der italienische Spielleiter Sergio Leone 1964 seinen ersten Italo-Western „Für eine handvoll Dollar“ realisierte, basierte DER ebenfalls auf einem Meisterwerk von Akira Kurosawa: nämlich auf dem japanischen Streifen „Yojimbo“ von 1961.

In unserem heutigen Film-Falle ist es mal umgekehrt. Haudegen CLINT EASTWOOD war 1991 als Produzent, Regisseur und Co-Komponist der Filmmusik an dem Spät-Western „ERBARMUNGSLOS“ beteiligt (s. Kino-KRITIK). Der Film wurde für neun „Oscars“ nominiert und mit vier „Oscars“ belobigt: für den Besten Film, für die Beste Regie, für die Beste Nebenrolle (Gene Hackman) und den Besten Schnitt (Joel Cox). Das „American Film Institute“ wählte ihn unter den zehn besten Western aller Zeiten auf Platz vier. Ende 2012 drehte der koreanisch-stämmige japanische Regisseur LEE SANG-il ein Remake des Eastwood-Klassikers, das 2013 erstmals beim Toronto Filmfestival lief und dann auch beim Venedig-Filmfestival präsentiert wurde. Am 4. Dezember 2014 lief er dann in unseren Kinos an, wo er allerdings vom Publikum kaum beachtet wurde. (Der hiesigen Presse wurde er übrigens damals vorher auch nur einmal gezeigt, und zwar in der japanischen Originalversion mit englischen Untertiteln).

Umso mehr ist es vonnöten, jetzt – anlässlich seines deutschen Heimkino-Starts – auf ihn DRINGEND hinzuweisen, denn er steht in der Qualität und Ausführung dem Original in nichts nach. Ist ein erstklassiger japanischer Spitzen-Western:

THE UNFORGIVEN“ von Lee Sang-il (B + R; nach dem Drehbuch von David Webb Peoples für den amerikanischen Clint Eastwood-Film „Erbarmungslos“/1991; Japan 2012; K: Norimichi Kasamatsu; M: Taro Iwashiro; 135 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 02.04.2015).

Er hat gemordet. Geschändet. Ohne Skrupel. Hat als gefürchteter Samurai die Gegner vielfach gemeuchelt. Hat sich den Ruf als „Jubei, der Mörder“ „erworben“. Irgendwann aber der Sinneswandel, Jubei (KEN WATANABE) hörte einfach auf und verschwand. Als das Kaiserreich die – der vorherigen Militärregierung weiterhin treu ergebenen Samurai verfolgen und töten ließ, konnte er die Jäger ausschalten. Und ward seitdem nicht mehr gesehen. 11 Jahre später, 1880, tritt er wieder in Erscheinung. Jubei befindet sich auf einer abgelegenen Insel. Hat als Farmer und Witwer alle Mühe, die beiden Kinder und sich durchzubringen. Die Ernte ist schlecht. Seiner verstorbenen Frau hatte er versprochen, nie mehr zu töten. Doch als ein früherer „Kollege“ auftaucht und ihm von der Möglichkeit erzählt, mittels Kopfgeld die Möglichkeit zu bekommen, seine kleine Familie über die Runden bringen zu können, zögert er erst, bevor er sich entschließt, doch mitzumachen.

In der nahen Stadt herrscht ein gewalttätiger Despot. Als Gesetzeshüter. Ichizo Oishi (Charles Bronson-ähnlich: KOICHI SATO). Als eine Prostituierte von zwei Brüdern misshandelt wird, lässt Ichizo Gnade vor Recht ergehen. Woraufhin ihre Kolleginnen zusammenlegen und ein Kopfgeld für die Täter aussetzen. Was „Pack“ anzieht. Gierige Typen. Profi-Kopfgeldjäger. Die aber bei Ichizo auf barbarischen, blutigen Granit beißen. Bis Jubei eingreift. Mit kleinem Gefolge. Und viel geschickter.

Du bist Handlanger. So oder so. Eines Generals, eines Kaisers, irgendeines Macht-Habers. Er bestimmt, was du tun sollst. Also führst du es aus. Machst dir lange Zeit keine näheren, gar tieferen Gedanken. Hast ja „Erfolg“. Als Samurai-Killer. Wirst gefürchtet wie geachtet. Irgendwann aber steigst du als aus. Willst kein Rädchen für dieses „Organ“ mehr sein. Was auch eine gute Zeit gelingt. Dann holt dich die Vergangenheit ein. Und du tust, was du immer getan hast. Und am besten kannst auf dieser wunderschönen Welt. Mit den ekligen Menschen.

Diese verschneite Nippon-Landschaft. Die Kamera schwelgt (Kameramann Norimichi Kasaamatsu wurde für seine einfühlsame Optik mit dem „Japanese Academy Award“ ausgezeichnet). Das Auge darf sich satt sehen an dieser grandiosen, majestätischen Region – gedreht wurde auf der Insel Hokkaido, japanisch „Nordmeerbezirk“. Im abgelegenen Norden. Mit bewusstem Hintergrund: Stichwort Rassismus. Hokkaido ist die Heimat des Volkes der AINU, der Ureinwohner (aus deren Sprache viele geografische Bezeichnungen auf der Insel, zum Beispiel auch der Name der Hauptstadt Sapporo, resultieren). Der (zur Drehzeit) 38jährige Drehbuch-Autor und Regisseur LEE SANG-il lässt in seinem meisterlichen Japan-Western ihr Existenz-Thema brutal mit-anklingen, indem er zeigt, wie die Ainus damals von der Obrigkeit und ihren widerlichen Adlaten gedemütigt, erniedrigt und misshandelt wurden – ähnlich wie die Indianer in Amerika: Zum Abschuss freigegeben, als „Abschaum“ der Gemeinschaft Mensch.

Die zwei Arten von Western. Die Schnellen, die sofort auf den Duell-Punkt kommen. Die Besonnenen, die sich Zeit nehmen. Für die Entwicklung einer Geschichte. Für die Auslotung von Charakteren. Für die Atmosphäre der Gegend. „The Unforgiven“ nimmt sich angenehme Zeit. Und Ruhe. Für Sicht- und Denkweisen. Vermittelt die Zweifel. Des Helden. Für das Vergangenen wie für das Jetzige. Der japanische Star KEN WATANABE, 55, als Jubei in der Eastwood-Rolle – William „Bill“ Munny – aus „Erbarmungslos“, befindet sich in der seelischen Zwickmühle. Will nicht mehr kämpfen, kommt aber aus „seiner Bestimmung“ nicht (mehr) heraus. Wie differenziert und sensibel Ken Watanabe, den Hollywood ab und zu ruft („Godzilla“; „Inception“; „Batman Begins“), dies auslotet, ist faszinierend. Ohne Geschrei, Helden-Mantel, Gelaber. Als wortkarger Solist, der sich noch einmal ins widerwärtige Leben zurückwagt, ist er angeekelt- präsent. Und als grotesker Einzelkämpfer schließlich phänomenal. Spannend. Eindringlich. Wobei die Fight-Choreographien brillant „getanzt“ werden. Ach so ja, KEN WATANABE, bekam für seinen Part auch den einheimischen „Oscar“, den „Japanese Academy Award“, als „Bester Darsteller“.

„The Unforgiven“ ist ein bitter-kalter, erstklassig duftender, außergewöhnlich guter Neu-Western. Oder, wie es der Kollege Björn Becher von „filmstart-kritik.de“ präzisiert: „Höllisch gutes Kino“. In der Film-Tat. Unbedingt zu empfehlen! Unser Heim-Kino hat einen Hit im Angebot! (Hätte im Kino damals von mir 4 ½ PÖNIs bekommen).

Anbieter: „WHV – Warner Home Video“

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