TÖDLICHE BEKENNTNISSE

Der französische Film ist ja gegenwärtig „groß im Gespräch“, siehe den immensen Kinozuspruch auch hierzulande für „Ziemlich beste Freunde“. Und wie es der Film-Zufall will, wird in den Videotheken derzeit auch ein ganz exzellenter französischer Thriller als „Nachholfilm“ angeboten:

„TÖDLICHE BEKENNTNISSE“ von Jacques Audiard (Co-B + R; Fr 2001; B: Tonino Benacquista; K: Mathieu Vadepied; M: Alexandre Desplat; 115 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 18.11.2011).

Im Original heißt der Streifen „Sur Mes Lèvres“, genau übersetzt „Auf meinen Lippen“, also „Lippenbekenntnisse“. 2002 war er gleich 9-fach für den französischen „Oscar“, den „César“, nominiert, darunter in den wichtigsten Kategorien „Bester Film“, „Regie“ sowie „Drehbuch“. Zwar unterlag „Sur Mes Lèvres“ hier dem internationalen Hit „Die fabelhafte Welt der Amélie“, doch gewann das Werk immerhin drei „Césars“, und zwar für das Drehbuch von Regisseur Jacques Audiard und Kompagnon TONINO BENACQUISTA (mit dem es ein ausführliches Interview im Bonusmaterial gibt), für die Ton-Verantwortlichen sowie die Hauptdarstellerin EMMANUELLE DEVOS, die sich überraschend gegen die favorisierte „Amelie“ Audrey Tautou durchsetzte.

Der am 30. April 1952 in Paris geborene Drehbuch-Autor und Regisseur JACQUES AUDIARD gilt als einer der überragenden Genre-Vertreter des französischen Kinos. Und stieß mit seinen Filmen wie „Wenn Männer fallen“ (Debüt von 1994), „Der wilde Schlag meines Herzens“ (2005) und zuletzt mit dem wuchtigen Knast-Drama „Ein Prophet“ (2009/“Großer Preis der Jury“ beim Cannes-Festival; 9-fach mit dem „César“ prämiert) auch bei uns auf reges Interesse. In seinem damaligen 3. Spielfilm stellt Audiard zwei gesellschaftliche Außenseiter in den Blick- und Mittelpunkt des Geschehens: Die – zunächst – „brave“, unscheinbare, hörgeschädigte Büro-Angestellte Carla. DIE arbeitet bei einer Immobilienfirma, sieht sich dort dem „leisen Spott“ der Kollegen ausgesetzt, die nicht wissen, dass Carla „Lippen“ lesen kann. Mit der Lippensprache vertraut ist. Und so trotz ihrer Taubheit durchaus mitbekommt, was drum herum so geäußert wird. Wenngleich sie allerdings „rein äußerlich“ auch stets den Anschein von ängstlich, verängstigt, verstört, verunsichert vermittelt. Und wenn es ihr zu viel wird „mit den Geräuschen“ oder DIE ihr nicht gefallen, stellt sie ihr Hörgerät einfach ab. Um sich abzukapseln. Ruhe „vor alldem“ zu haben.

Er heißt Paul (VINCENT CASSEL). War im Knast, sucht `nen Job. Wird vom Arbeitsamt hierher vermittelt. Als Aushilfskraft für Carla. Was eigentlich gar nicht geht. Funktionieren kann. Die scheue, ständig „Benutzte“ und der ungehobelte, rohe Proll-Dynamo. Der sich regelmäßig beim „merkwürdigen“ Bewährungshelfer melden muss. Aber: Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. „Minus plus minus, ergibt plus“, erklärt Co-Autor Tonino Benacquista deren Richtung. Dieser beiden Quasi-Seelenverwandten. Der Harte und die (vermeintlich) Zarte. Jeder profitiert vom Anderen. Sie bringt ihm gutes Benehmen bei, vermag ihn, meistens jedenfalls, „unter Kontrolle“ zu halten, er ihr dafür Schlechtes. Während ER wie ein gehetztes, wütendes, wildes Tier wirkt, vermag sie ihn „rational“ zu glätten. Seine Stimmung, den Power-Rhythmus, das Überkandidelte. Um dabei selber „aufzuwachen“. ER sieht einen Deal, benimmt sich aber viel zu „hektisch“. Sie hat „Blut“ geleckt und lässt sich „anstecken“. Zum kriminellen Mitmachen. Als Erfolgsgefühl. Und entwickelt eine Coolness, die ihm abgeht. Was ihm viel Prügel einbringt. Während SIE „disponiert“. Und sich dabei „emanzipiert“. Allerdings… bzw. als die heißen Fäden schließlich zusammenlaufen…

Der beliebige, deutsche DVD-Titel „Tödliche Bekenntnisse“ signalisiert Dutzendware. Von wegen: „Lippenbekenntnisse“, wie er (viel) besser, weil zutreffender hätte heißen müssen, ist ein faszinierendes Sozial-Drama als knallharter Noir-Thriller. Mit gefühlsintensiven, soften wie heißen Rhythmen (Musik: ALEXANDRE DESPLAT) und viel deftigem, psychologischem Geschmack. Und Geschick. Sozusagen ein „Aschenputtel“-Reißer mit aggressivem Prinzen. Während sich „Liebchen“ auf „sein Niveau“ herunter-begibt, kommt die spannende „Chemie“ zwischen Beiden auf Hochtouren. Das Kult-Movie, der schwarz-weiße Low-Budget-US-Klassiker „The Honeymoon Killers“ von Leonard Kastle aus dem Jahr 1969 (s. DVD-Klassiker-KRITIK) hat den Regisseur inspiriert, heißt es. Ein Stoff, an dem die ersten beiden Wochen ein noch ganz junger Martin Scorsese beteiligt war. Damals wie hier – ein „spezielles Paar“ sucht sich SEIN ganz eigenes, eigenwilliges und zutiefst amoralisches Glück. Weil es ganz offensichtlich „anders“, „normal“, nicht klappt. Oder „normal“ einfach nicht den erwünschten Lebens-„Kick“ bringt. Wie im Casino – alles auf Zero. Gib´ mir das Fieber…

Die bei uns weniger bekannte EMMANUELLE DEVOS als hellhörige, „aktive“ Carla ist ein darstellerisches Juwel. Wie sie in diese pfiffige, clevere „graue Übermaus“ fein-angeregt, quasi immer mehr „schnuppernd“ hineinschlüpft, ist eine formidable Wonne. Aus einer ständig nur „Benutzten“ schält sich eine aufmuckende Gangster“queen“ heraus. Die sich „was (zu-)traut“. Klasse. Ebenso wie der damals, im Produktionsjahr 2001, jugendliche 35-jährige VINCENT CASSEL, inzwischen über Filme wie „Hass“, „Pakt der Wölfe“, die beiden „Public Enemy“-Hammer-Werke sowie zuletzt „Black Swan“ (wo er den Choreographen gab) zum internationalen Star gereift, als prolliger, dämonischer Radaubruder. Der permanent kurz vorm Explodieren scheint. Als charismatischer Ausraster-Loser. Als personifizierter „Outlaw“. Eine imponierende Wahnsinns-Performance! Von diesem exzellenten „Schurken-Spezi“.

Der französische Thriller „Tödliche Bekenntnisse“ von Jacques Audiard ist hochgradig atmosphärisch, tough spannend, ist ein brillantes Nachhol-Juwel von exzellentem Spannungs-Movie.

Anbieter: „Alamode Film / Pierrot Le Fout“

 

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