THE FAVOURITE – INTRIGEN UND IRRSINN

„THE FAVOURITE – INTRIGEN UND IRRSINN“ von Yorgos Lanthimos (Irland/GB/USA 2017; B: Deborah Davis, Tony McNamara; K: Robbie Ryan; M: Komeil S. Hosseini; 119 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.01.2019); dieser britische Historienfilm wurde soeben für 10 „Oscars“ nominiert (Verleihung am: 24. Februar 2019), gilt also als heißer Favorit für eine Menge Trophäen. Gleich mal vorweg: „The Favourite“ ist auch eine wunderbare, scharfsinnige Historien-Farce. Um brillante Frauen-Power. Im Palast.

Zu Anfang des Neuen Jahres wird auf der prächtig gefüllten Kino-Leinwand süffisant „Britannien“ abgehandelt. Beziehungsweise – deren einstiges Führungspersonal. Nach „Maria Stuart, Königin von Schottland“ (s. Kino-KRITIK) von der Vorwoche steht nun „Queen Anne“ (*6. Februar 1665 – †1. August 1714) im Fokus des turbulenten, frivolen, also amüsant „unschicklichen“ Geschehens. Wo die eher unbekannte Welt von Königin Anne (OLIVIA COLMAN) unter die Lupe genommen und höfisch-tief betrachtet wird. Inmitten einer Welt enormer persönlicher, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen ist es nicht unbedingt von Vorteil, „solch“ eine Herrscherin zu haben. Anne ist notorisch krank, leidet an schmerzhafter Gicht, ist mal kleinlaut, mal exzentrisch ausrastend, zudem ob ihrer Haut- und Gelenk- und Gewichtsprobleme nicht gerade ansehnlich. Während sich ihr Bildungsgrad als eher begrenzt erweist, was sie für Manipulationen aus ihrer Umgebung empfänglich macht. Lady Sarah Churchill, die Herzogin von Marlborough (RACHEL WEISZ), ist ihre engste Ratgeberin. Privat wie politisch. Und: auch im Bett ist die Lady, Queen-Freundin seit Kindheitstagen, ganz Dienerin ihrer Herrin.

Bis die junge attraktive Abigail Masham (EMMA STONE) am Hof auftaucht, eine entfernte Verwandte von Lady Sarah. Deren Familie ist bankrott und Abigail bittet um eine Anstellung. Woraufhin sie als Magd nach „Unten“ befohlen wird. Doch Abigail ist schlau. Listig. Gewitzt. Weiß sich bald „zu positionieren“, beeindruckt ein ums andere Mal die labile Königin; und der intrigante wie irrsinnige Tanz um Gefühle und Macht kann beginnen. Dabei spielen die psychologischen Strukturen eine gewichtige Rolle, denn die Seiten Ganz-Böse und Sehr-Gut sind in ihrem Fundamenten aufgelöst. Vielmehr handeln und benehmen sich die Figuren sehr unterschiedlich; mal bestimmen extreme Launen das Geschehen, dann die unkontrollierten Gefühle der Beteiligten; selten werden rationelle, gar diplomatische Motive bemüht. Dabei tobt „draußen“ der enorm teure Krieg mit Frankreich. Und die – nur „nebenbei“ auftauchenden – männlichen Handlungsbevollmächtigten benötigen dringend weitsichtige politische Entscheidungen.

„Wenn man einen Film dreht, der in einer anderen Zeit spielt, ist es immer spannend zu sehen, wie er sich zu unserer Zeit verhält. Man merkt, wie wenig die Dinge sich verändert haben – sieht man einmal von der Kleidung ab und dass wir heute Strom und Internet haben. Die Ähnlichkeiten in Sachen menschliches Verhalten, Gesellschaft und Macht sind verblüffend“ (Regisseur Yorgos Lanthimos im Presseheft).

Das opulente Kostüm-Drama glänzt. Kokettiert. Duftet prächtig nach Niedertracht und Frauen-Power. Schwelgt in ungewöhnlichen Blicken einer formidablen Fischaugenkamera. Die in acht Kapiteln aufgeteilte diffizile Geschichte, die keinen Anspruch auf Tatsächlichkeit erhebt, ist auch musikalisch choreografiert: mal begleitet das traditionelle Cembalo die doppelbödigen Bilder, mal warnen schrille Stakkato-Töne vor Schlamm-Motiven und schmerzhaften körperlichen wie seelischen Wunden. „Menschen sind verschieden, tun zu allen Zeiten Unerwartetes. Yorgos‘ Art ist es, tiefer zu blicken, genauer hinzuschauen. Und je genauer man hinsieht, umso mehr erkennt man, wie kompliziert, pervers und merkwürdig Menschen sein können. Den Zuschauern gefällt das, weil sie echte Menschen sehen“ (Co-Autor Tony McNamara im Presseheft).

Das Lachen der Wut. Der Heuchelei. Der Schleimerei. Der Manipulation. Der Frechheit. Ein herrlich uneinsichtiger Film, dem man ständig folgen muss. Begleiten will. Weil er ständig reizt in dem: Wohin- bzw. Wie-weit-geht-eigentlich-die-Reise? „The Favourite“ ist bitterböse-ulkig und ein spannend-lustvoller Tiefblick auf soziales Gefälle, auf die verdammte, unberechenbare Gier und Ausübung von Macht und natürlich auf die (all-)gemeine Unterdrückung: des Ober-Menschen liebstes Ansinnen.

In seiner atmosphärischen Stilistik erinnert „The Favourite“ an die Anfänge eines Peter Greenaway („Verschwörung der Frauen“/s. Kino-KRITIK). Der griechisch-stämmige Spielleiter YORGOS LANTHIMOS, der bislang durch seine emotional eher kühlen Filmwerke wie „The Killing of a Sacred Deer“ (2017) und „The Lobster“ vor allem in Cineastenkreisen aufgefallen ist, hat sich mit „The Favourite“ an rücksichtslose Menschen mit ebensolchen Gefühlen wuchtig-melodiös und herrlich-verstörend-heiter herangewagt (= 4 1/2 PÖNIs).

 

 

 

 

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