„THE DEATH OF STALIN“ von Armando Iannucci (Co-B + R; Fr/GB/Belgien 2017; Co-B: David Schneider; Ian Martin; nach der gleichn. Graphic Novel von Fabien Nury /Autor und Thierry Robin/Illustrator; K: Zac Nicholson; M: Christopher Willis; 106 Minuten; dtsch. Kino-Start: 29.3.2018; deutscher Heimkino-Start: 17.8.2018); zweifellos – am Jahresende wird sich dieser großartige Film in der Top-Ten-Liste befinden: ER IST EIN MEISTERSTÜCK!
Und: Obwohl er in der unseligen Vergangenheit angesiedelt ist, zählt er zweifellos derzeit zu den brandaktuellsten wunderbar-lächerlichsten Unterhaltungs-Film-Pralinen. Basierend auf der Graphic Novel „The Death of Stalin“, wo eingangs die Absicht wie folgt erklärt wird und für den Film entsprechend zu übernehmen ist: „Obwohl von realen Begebenheiten inspiriert, erzählt das Buch doch eine fiktive Geschichte, frei konstruiert aus dokumentarischen Fragmenten, zuweilen parteiisch und oft widersprüchlich. Die Autoren möchten allerdings klarstellen, dass sie ihre Fantasie kaum haben bemühen müssen, da sie sich nur schwer etwas hätten ausdenken können, das dem irrsinnigen Wüten und seiner Umgebung vergleichbar gewesen wäre“.
Moskau im März 1953. Seit 20 Jahren übt Stalins Geheimpolizei NKWD den „großen Terror“ aus. Wer auf Stalins Listen steht, wird verhaftet, ins Exil verbannt oder erschossen. Geheimdienstchef Lawrenti Beria höchstpersönlich holt die „Dokumente“ beim Führer ab und gibt sie anschließend an seine brutalen Adlaten zur sofortigen „Erledigung“ vergnüglich weiter. Schließlich: das Volk wird zur Räson gebracht, zum Gehorsam verpflichtet, zur Angst erzogen. Ist das nicht ein herrliches Vergnügen! Die Macht-Haber strotzen nur so vor Eifer. Motto: Führer befiehl, wir folgen dir. Natürlich. Schließlich partizipieren wir davon alle. Haben = Nehmen teil an der Macht. Mit diesen vielen schweinischen Privilegien. Es ist der 2. März, Stalin hat gerade ein klassisches Live-Konzert über „Radio Moskau“ gehört. Ist angetan, befiehlt, ihm unverzüglich eine Aufnahme davon zu übermitteln. Doch dann DAS: Das Konzert wurde nicht mitgeschnitten. Umgehend sind hektische „Improvisationen“ nötig. Als ihn schließlich die Aufnahme erreicht, befindet sich in der Plattenhülle die wütende Nachricht der Konzertpianistin Maria Yudina (OLGA KURYLENKO), deren Familie Stalin hat umbringen lassen. Diese kleine Notiz löst beim 74jährigen Obergenossen Josef Wissarionowitsch Stalin (ADRIAN McLOUGHLIN) heftige Lachkrämpfe aus, die schließlich in einen akuten Schlaganfall münden. Da liegt er nun. Auf dem Fußboden. Die Wachen vor der Tür haben „was gehört“, trauen sich aber nicht, die Tür zu öffnen. Stunden später „entdeckt“ ihn die Haushälterin. Das Spiel kann beginnen. „Unser Generalsekretär liegt würdelos in einer Pisslache!“, klagt Nikita Chruschtschow. Allerdings – da die besten Ärzte einst verbannt oder liquidiert wurden, Stalin in seinem Wahn wollte einen möglichen Anschlag „von diesem Verräter-Pack“ verhindern, steht auch kein kompetentes Mediziner-Personal zur Verfügung, um dem gelähmten Herrscher zu helfen. Am 5. März ist Stalin „endgültig“ tot. Und umgehend kann es beginnen:
Das tückische, gemeine, intrigante, hinterfotzige, listige, geile, zynische Spiel und übel-verschmitzte Geschacher der gierigen Stalin-Zöglinge von wegen „Was nun?“ = Wer besitzt jetzt die Kontrolle? beziehungsweise: „Wie weiter“? beziehungsweise: WER übernimmt fortan die Macht? Wer wird der neue Macht-Haber? Schau zu, lockt der „vergnügliche“ Film, wie sie nun fortan schleimen, intrigieren, manipulieren, drohen, „Koalitionen“ suchen, die Hosen voll haben vor Ungewissheit, Furcht und Schuld oder plötzlich ganz mitleidig-selbstbewusst auftreten wie der bislang so zynische, ultrabrutale, „genüsslich“- agierende Schlächter Beria!
Es ist wie bei einem Robert Altman-Werk („Nashville“/1975; „Robert Altman’s Last Radio Show“/2006): DAS ENSEMBLE TRIUMPHIERT. PHÄNOMENAL. Was auch beschreibt, dass es sich hier nicht um ein kaltes, abrechnungswütendes, simples Polit-Drama handelt, sondern um eine formidabel-bissige, hochintelligente, mit köstlichen Wort- und Bild-Pointen nur so fantastisch durchsetzte und hantierende schwarze Polit-Komödie. Um grausame, lächerliche, unheilvolle, widerwärtige, mächtige Sowjet-Heroen von einst. Der komische Schalk blinkt und blitzt bitterböse aus jeder Filmpore und lässt sich absurd-mitreißend grandios verdauen. Denn die Player hier, die den inneren Machtzirkel des Diktators verkörpern, harmonieren brillant. Was nicht verwundert, setzen sie sich doch aus einigen der besten englischsprachigen Komödianten überhaupt zusammen: STEVE BUSCEMI als Hofnarr Nikita Chruschtschow; JEFFREY TAMBOR als Georgi Malenkow; Ex-Monty Python MICHAEL PALIN ist der paranoid-nervöse Wjatscheslaw Molotow; und der als einer der größten Shakespeare-Mimen geltende („Richard III.“-) SIMON RUSSELL BEALE kann als unmenschlicher Mörder-King Lawrenti Beria wahnhaft-furios-beeindruckend herumwüten. Wie sie und ihre Kollegen/Innen mit diesem sagenhaften lakonisch-furchterregenden Humor balancieren, ist ereignisreich und vom Allerfeinsten: Das Palast-Drama „THE DEATH OF STALIN“ verdient das Prädikat: Herrlich kopfvollster Unterhaltungsfilm seit langem!
Und: Sie haben sich offenbar während der Dreharbeiten bestens verstanden und selber köstlich amüsiert. „Wir mailen uns untereinander heute immer noch im Politbüro-Slang“, witzelt Michael Palin im umfangreichen (deutsch untertitelten) Interview-Bonusmaterial. Und fährt fort: „Die grundsätzliche Geschichte ist wahr, und was am Unwahrscheinlichsten wirkt, ist ganz sicher wahr“. Der schottische Brite ARMANDO IANNUCCI hat mit seinem – nach seinem Debüt mit „Kabinett Außer Kontrolle – In The Loop“/2009 – zweiten Spielfilm seine im britischen Fernsehen so beliebten Comedy-Shows auf die große Leinwand prächtig neu projiziert, sozusagen mit diesem großartigen Spielfilm „zusammengefasst“. Iannucci war Schöpfer der erfolgreichen TV-Serie „Veep – Die Vizepräsidentin“ (mit Julia Louis-Dreyfus) und weiß sich also auf diesem biestigen Polit-Kabinett einfühlsam wie unerbittlich wie vortrefflich innerhalb der Mixtur Wahn und Human zu bewegen, zu artikulieren: „Wir sind sehr respektvoll mit der Tatsache umgegangen, dass Millionen Menschen getötet wurden oder verschwanden zu dieser Zeit, während der 1930er, 1940er und 1950er Jahre. Dies wird von uns klar und deutlich zum Ausdruck gebracht“. Aber natürlich wird bei ihm auch deutlich, dass diese mächtigen Personen etwas seltsam Komisches an sich haben, „man denkt sofort an Rüpel oder kleine Kinder“.
Und dabei gelangt der Co-Autor und Regisseur Armando Iannucci zum Heute, zum Hier und jetzt: Wenn er deutlich macht, was passiert, „wenn die Regierung den Informationsfluss kontrolliert und dir sagt, was wahr ist und was nicht!“. Letzte Meldung: US-Präsident Donald Trump führt derzeit bekanntlich Krieg gegen kritische Medien. 350 amerikanische Zeitungen haben sich in der letzten Woche mit einem dramatischen Aufruf für die Pressefreiheit zu Wort gemeldet!
ALSO: Was für ein aktueller, was für ein bedeutsamer, was für ein überragend kluger, unterhaltsamer wie unbedingter Must-See-Film ist „THE DEATH OF STALIN“. Sage niemand, er hätte nicht gewusst, dass es ihn gibt: Jetzt im Heim-Kino ein absoluter, definitiver Favorit (= 5 PÖNIs).
P.S.: Übrigens – in Russland ist diese mit sehr viel britischem Humor durchdrungene hochkarätige Polit-Satire verboten. Darf dort NICHT gezeigt werden. Yelena Drapeko, Mitglied des parlamentarischen Kulturkomitees, fand den Film „extremistisch“ und behauptete, sie habe noch nie in ihrem ganzen Leben „etwas so Ekelhaftes gesehen“. Seitdem ist „The Death of Stalin“ in Russland im Viel-Gespräch. Und auch für Hierzulande gilt: Was für eine tolle, kostenlose Werbung!!!!!
Anbieter: „Concorde Home Entertainment“.