That’s What I Am DVD-Kritik

„DVD“ übernimmt hierzulande immer mehr „die Abspiel-Funktion“ der früheren Off-Kinos. Die einst, in den 70er Jahren, mit dem „anderen Kino“ begannen. Mit „kleineren Filmen“ bei einem (sehr) neugierigen Publikum punkteten. Mit „anderen“ Filmen, jenseits des Mainstreams, die filmisch „hungrigen Interessenten“ fütterten. Ihre Nachfolger, die heutigen „Arthouse Kinos“, haben, ebenso wie die Film-Verleiher, mit dem veränderten vielfältigen Freizeitverhalten der „nervösen“ Nun-Kinogänger-Generationen ebenso zu tun wie mit der großen Center-Konkurrenz, die auch „ihre Filme“ mitspielt. Deshalb entdecken wir auf DVD heutzutage immer mehr Film-Angebote, die früher gut und gern in den Off-Kinos bestens aufgehoben und dort begeistert angenommen worden wären. Independent-Perlen wie die heutige Empfehlung. Die stammt „frisch“ aus dem amerikanischen Vorjahr und heißt

THAT’S WHAT I AM“ von Michael Pavone (B+R; USA 2010; 97 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 15.7.2011).

Stößt natürlich vor allem deshalb – zunächst – auf Neugier, weil die Hauptrolle mit einem der profiliertesten Charakter-Darsteller „von drüben“ besetzt ist, mit dem 60jährigen ED HARRIS. Der sich vor allem in Klasse-Nebenrollen auszuzeichnen vermochte wie in „Apollo 13“ und „Die Truman-Show“/für beide Auftritte gab’s die „Oscar“-Nominierung, oder wie auch in „The Rock – Fels der Entscheidung“, „The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ oder „A History of Violence“. Im Jahr 2000 führte er auch erstmals Regie und schuf – mit sich an der grandiosen Hauptrollen-Rampe – die Künstler-Biographie „Pollock“ (über den Maler Jackson Pollock/wieder „Oscar“-Nominierung). 2008 drehte er, wieder mit sich an vorderster Front, den exzellenten Western „Appaloosa“, zu dem er auch am Drehbuch mit-schrieb und als Produzent beteiligt war (= hatte hierzulande Premiere auf DVD, s. DVD-Kritik).

Nun also wieder solch ein Mitwirkung/Beteiligung, die dank seiner großartigen Performance zu einem Haupt-Gewinn wird. Ed Harris, wieder mit seiner wunderbar-„passenden“ deutschen Dauer-Stimme von WOLFGANG CONDRUS ausgestattet, spielt einen Englisch-Lehrer. Einen humanen, aufgeschlossenen Pädagogen. Der 1965 an der Junior High School in einer kalifornischen Kleinstadt sowohl im Kollegenkreis wie auch vor allem bei seinen Schülern sehr beliebt ist. Weil er sie mag und gerne unterrichtet. Und DAS „kommt ‚rüber“. Zudem hat Mr. Simon gerade bei einem Zeitungspreisausschreiben ein feines neues Auto gewonnen. Gefragt war – eine Lösung für den Weltfrieden in weniger als 25 Worte zu finden. Mr. Simon benötigte nur 4: MENSCHLICHE WÜRDE UND MITGEFÜHL.
Aber auf Mr. Simon stoßen wir nicht gleich am Anfang. Dort hören wir zunächst eine Stimme aus dem Off. Sie gehört dem erwachsenen Andy, der einst von Mr. Simon unterrichtet wurde und, wie wir später erfahren, Schriftsteller geworden ist. Wofür Mr. Simon offensichtlich einst den Grundstein schuf. Dieser Andy-Senior beschreibt in kurzen Erklärungsworten die „schwierige Situation“ damals in der Schule. Für die pubertären Kids, zu denen auch der junge Andy zählt. Denn es gibt die „üblichen“ und bisweilen sehr aggressiven täglichen Rangeleien unter den Schülern. Bei denen sich einige, unterstützt von den Opportunisten und Mitläufern, als Wortführer und „Machthaber“ aufplustern und dies gerne andauernd nachhaltig handgreiflich „vorführen“. Besonders bei den „Außenseitern“. Wie bei Ginger. Den alle nur „Big G“ nennen, eine abwertende Bezeichnung für Rothaarige.

„Big G war mindestens 30 cm größer als der Nächst-Größte in der Schule. Trotzdem war sein Kopf zu groß für seinen Körper und seine Ohren zu groß für seinen Kopf. Er hatte auch kein hübsches Gesicht, offensichtlich hatte selbst Gott so seine Momente…“, vernehmen wir den lakonischen Erzähler-Ton. Big G (faszinierend ausdrucksstark: ALEXANDER WALTERS) hält sich, wie andere „Ausgestoßene“, abseits auf. In der „Streber-Ecke vom Niemandsland“. Dem „Grand Canyon der Läuse“, wie „der Rasen-Ort“ von der Meute abfällig genannt wird. Und genau hierhin muss sich jetzt auch der schüchterne Andy (CHASE ELLISON) hinbegeben. Denn Mr. Simon hat Team-Arbeit verordnet. Und Ginger-„Big G“ und Andy als Team bestimmt. Wohl oder übel muss sich der sensible Andy fügen. Der sich bisher aus allen Rangeleien herausgehalten hat. Der lieber „untertauchte“, um ja nicht aufzufallen. Um ja nicht etwa in die Blick-Nähe der „Klopper“ zu geraten. Doch jetzt muss er sich aus seinem „Schutz“ lösen. Und lernt Big G näher kennen. Und Mr. Simon besser verstehen. Von wegen menschlicher Würde und Mitgefühl. Zugleich aber gilt es auch, endlich seinem Schwarm Mary Clear (MIA ROSE FRAMPTON) „näherzukommen“. Wenn da nicht diese extreme Angst wäre. Zudem ist sie die Ex eines besonders rabiaten Burschen aus der Schule. Probleme über Probleme. Oder: Kinder können grausam sein. Bevor es ins „richtige Leben“ geht. Kennen bisweilen in Sachen „Verunglimpfung“ kein Pardon. Wenn es um ihre – vermeintlichen – Vorteile und Vorurteile geht. Und denunzieren Mr. Simon. Behaupten, er sei homosexuell. Was 1965 als „Schande“ ausgemacht ist. Die „Anklage“ steht im Raum. Doch Mr. Simon bleibt konsequent bei seinen Regeln. Die er seinen Schülern erklärt und vorgelebt hat.

Eine sympathische Coming-of-Age-Geschichte. Als „Der Club der toten Dichter“ in einer packenden US-Version. Mit und in sehr vielen glaubwürdigen Charakter- und Zeit-„Farben“. Kinder an der Schwelle zum Erwachsen-Werden müssen ihre ersten großen Mut- und Bewährungsproben „leisten“. Müssen sich entscheiden, ob sie den bequemen oder lieber den schmerzhaft-unbequemeren, aber wahrhaftigen, ehrlicheren Weg gehen. Auf sich nehmen wollen. Zugleich das Erwachen. Die ersten großen Gefühle. Dieser „merkwürdige“, aber so „unheilig“-kribbelnde erste Schwindel. Dieser emotionale Taumel. Diese letzte Woche in der 8. Klasse wird für die Teenager zu einem ganz individuellen illustren Abenteuer. Zu einer riesigen Erfahrung. Und besonders prägend für den 12jährigen Andy und seine Außenseiter-Clique. Sowie dann auch für Mr. Simon. Dessen mutige Wertevermittlung überzeugt:
„Toleranz. Für Menschen, die anders sind und deren Wertschätzung. Es ist eine Art Anti-Mobbing-Film. Das ist keine schlechte Botschaft in der heutigen Zeit“, lobt ED HARRIS im Bonusmaterial diese vorzügliche Produktion. In der die kleinen wie die großen Akteure hervorragend spielen. Glaubwürdig. Gefühlsdicht. Berührend. Dem gesamten Ensemble, zu dem auch die Ed Harris-Ehefrau AMY MADIGAN als Rektorin zählt, gebührt Achtung, Respekt und viel Lob. Solch eine feine, atmosphärische Unterhaltungslektion von amerikanischem Kino gab es schon lange nicht mehr.
„THAT’S WHAT I AM“ zählt in diesen Tagen bei uns zu den Entdeckungshighlights auf DVD.

Anbieter: „Alive“

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