STREIK

„STREIK“ von Stéphané Brizé (Co-B + R; Fr 2017; K: Éric Dumont; M: Bertrand Blessing; 114 Minuten; deutscher Kino-Start: 25.04.2019); ER zählt zu den engagiertesten französischen Filmemachern, der am 18. Oktober 1966 in der bretonischen Hauptstadt Rennes geborene STÉPHANÉ BRIZÉ. Der studierte Elektroniker war zunächst als Bild- und Tontechniker praktisch unterwegs, bevor er über den Besuch der Pariser Schauspielschule und über das Theater beim FILM landete. Um hervorragende Filmwerke wie „Mann muss mich nicht lieben“ (2005/s. Kino-KRITIK); „Mademoiselle Chambon“ (2009; s. Kino-KRITIK) und „Der Wert des Menschen“ (2016/s. Kino-KRITIK) zu schaffen. Besonders dieser Streifen bewegte nachhaltig die Gemüter, und Hauptakteur VINCENT LINDON erhielt sehr viel Zuspruch und hochkarätige Auszeichnungen (wie den Darsteller-Preis in Cannes sowie den „César“). Die Filme des Stéphané Brizé befassen sich nicht mit dem Mainstream des Lebens, sondern mit dessen bürgerlichen Schattenseiten. Blicken auf diejenigen und handelt von denen, die am unteren Rand der Gesellschaft mächtig zu kämpfen haben, um nicht gänzlich existenziell abzusaufen. Dabei kann man mit seinem vorletzten Titel seine Denkweise und Anspannungsbreite erkennen: Was ist, was bedeutet, wie wird das überhaupt heutzutage unanständig behandelt = DER WERT EINES MENSCHEN.

Original-übersetzt heißt der Film: „IM KRIEG“. Noch bevor „die Gelbwesten“ mit dem Protest-Kommando in Frankreich begannen, sehen wir, besser – hören wir lautstark von einer der zahlreichen Konfrontationen, die schließlich zum Ausbruch des gesellschaftlichen Aufbegehrens von heute geführt haben: die Gier des Kapitals. Der Kapital-Besitzer. Denen 3,5 Prozent Gewinn nicht ausreichen, sondern die mindestens das Doppelte haben/erreichen wollen. Dafür sind jetzt feste Abmachungen mit Gewerkschaften und Arbeitern passé. Wir befinden uns im südfranzösischen Agen. Wo ein Autozulieferer-Betrieb vor dem Aus steht. Der größte Arbeitgeber der Region will seine Fabrik schließen. Mehr als 1000 Angestellte haben bereits vor zwei Jahren erhebliche Zugeständnisse bei Lohn und Arbeitszeiten gemacht, und trotzdem reicht dies nun den Managern nicht mehr. Sie wollen noch mehr Profit. Obwohl der regionale Betrieb unbestreitbar schwarze Zahlen schreibt. Über Abfindungen soll der Betrieb möglichst bald abgewickelt werden. Die Gewerkschaften aber bestehen auf Gespräche mit den – übrigens: deutschen – Hauptverantwortlichen. Man brüllt sich gegenseitig uneinsichtig an. Die Atmosphäre ist am Kochen.

Und die Kamera ist wütend. Außerordentlich: WÜTEND. Motto: Macht kennt keine Moral. „Streik“ ist ein Wut-Film der Superlative. Eine mögliche Gewaltbereitschaft auf Seiten des Kollektivs scheint nur eine Frage der Zeit. Zu sein. (Wie es ja dann „real“ auch so gekommen ist; später… nach Dreh-Ende). Aus der Belegschaft rückt ein Gesicht hervor; dabei handelt es sich um den besonders engagierten Gewerkschafter Laurent Amédéo (wieder: VINCENT LINDON). Er will sich nicht mehr mit Worten oder gar einer Abfindung abspeisen lassen, sondern attackiert verbal-vehement die Gegenseite. Damit allerdings verschafft er sich nicht nur Freunde auf „seiner Seite“. So manchen ist seine konsequent-aggressive und stürmisch-behände Verhandlungsart zuwider. Manche halten sein Auftreten sogar für „schädlich“. „Der Sache“ gegenüber. Und überhaupt. Man spaltet sich. Die Einen lehnen Gespräche mit den Firmenbossen inzwischen kategorisch ab, die Anderen wollen Kompromisse erreichen. Die Gemengenlage läuft inzwischen in Richtung Unvereinbarkeit. Da beschließt der von den eigenen Leuten hart attackierte Laurent ein erbarmungs-, ein gnadenloses Wut-Zeichen-Symbol zu setzen.

Nein, bequem ist auch der neue Film dieses französische Streiters für gesellschaftliche Humanität und Gerechtigkeit nicht. Ganz im Gegenteil. Doch seine Wut-Gedanken machen viel Sinn. Von wegen – wäre es eigentlich möglich, dass eine Regierung, dass eine politische Elite der Gier ein Gesetz vor den Kopf knallt? In dem zum Beispiel rechtlich untersagt wird, dass bei enormen betrieblichen Gewinnen Firmen aufgelöst werden dürfen? Dass übermäßige Gewinne denen zukommen, die diese Arbeit zum Erfolg geführt haben? Auf dass die an den erarbeiteten Gewinnen anteilmäßig beteiligt werden? „Die Oben“ müssten nur etwas abgeben, damit der soziale Frieden und somit die Stabilität des Staates hergestellt werden. Können. Im Einklang laufen. Utopie, gewiss. Utopien: natürlich. Ich höre schon die CSU zitternd-bebend „Sozialismus“ schreien, und die kleine ulkige FDP… aber lassen wir das. Wohin bloß ein wütender neuer französischer Film führt!

Ich verwende meine Kamera in meinen Filmen eigentlich immer als Lupe, mit der ich bestimmte Momente und Gesten in voller Größe zeige und überhöhe. Bis die Kleinigkeiten (= na ja, inzwischen kann man auch sagen: Großigkeiten/d. Autor), die man im Alltag nicht einmal bemerken würde, so zur Explosion gelangen. Darin liegen meine Höhepunkte, und darin liegt für mich auch die besondere Macht des Kinos“ (Stéphané Brizé, 2010). Inzwischen sind seine Anstrengungen „erheblicher“ geworden. Ich freue mich schon auf seinen nächsten starken Film (= 4 PÖNIs).

 

 

 

 

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