STRAFPARK

Sein Name dürfte den Wenigsten geläufig sein, dennoch zählt ER zu den wichtigsten Filmkünstlern überhaupt:
PETER WATKINS. Der am 29. Oktober 1935 in Norbiton/Surrey geborene Engländer studierte Schauspiel an der „Royal Academy of Dramatic Art“ und wandte sich nach Beendigung seines Armeedienstes, 1956, dem Filmemachen zu. Drehte zunächst Auftrags-Dokumentarfilme sowie eigene Kurzfilme. 1964 entstand sein erster Langfilm „Culloden“, eine BBC-Produktion über die Schlacht bei Culloden zwischen Engländern und aufständischen Jakobiten, in der Peter Watkins einen neuen Stil kreierte, indem er die Technik von Wochenschauberichten auf Spielszenen umsetzte.

Diese Technik wandte er auch 1965 bei seinem nächsten Projekt an: „THE WAR GAME“ (deutsche Alternativtitel: „Kriegsspiel“ sowie, im TV, „Wargame“), wo Peter Watkins als Regisseur, Drehbuch-Autor und Produzent fungierte. Inhalt: Nach dem Einmarsch chinesischer Truppen in Südvietnam und einem Zusammenstoß der Streitkräfte von NATO und Warschauer Pakt auf deutschem Boden eskalieren die Ereignisse in einem auf Europa beschränkten nuklearen Schlagabtausch, bei dem auch Großbritannien Ziel der sowjetischen Raketen ist. Die Handlung ist überwiegend im Großraum der Stadt Rochester in der Grafschaft Kent angesiedelt. Der Film schildert das Chaos der eingeleiteten Schutzmaßnahmen, ausgelöst durch die Zwangsevakuierung der Bevölkerung und den Auswirkungen des Atomangriffs. Die gesellschaftliche Ordnung bricht zusammen, der menschliche Kollaps ist die Folge. Es kommt zu Plünderungen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung.

Der Kritiker der britischen Zeitung „The Observer“ damals: „Ein warnendes Meisterwerk. Dies ist vielleicht der wichtigste Film, der je gedreht wurde. Immer wieder wird behauptet, dass ein Kunstwerk nicht den Lauf der Geschichte ändern könnte. Ich glaube, dieses kann es. Ein authentisches Dokument des Zornes, der über uns kommen wird“.

In diesem 48minütigen Film kombinierte Peter Watkins aktuelle statistische Untersuchungen zu den möglichen Folgen eines nuklearen Krieges auf der britischen Insel mit Spielszenen und fiktiven Interviews von Überlebenden nach einem solchen „Auslöser“. „The War Game“, diese „realistisch“ gespielte Reportage um die schrecklichen Auswirkungen über die damals weltweit vorhandene Kalte Kriegs-Angst „Was passiert wirklich, wenn tatsächlich die Bombe kommt/fällt“, sollte ursprünglich am 21. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima am 6. August 1966 im britischen Fernsehen ausgestrahlt werden. Aufgrund des „(viel) zu realistischen Inhalts“ und der drastischen Darstellung entschloss sich die BBC, den Film nicht öffentlich zu machen. Vorzuführen. Verbannte ihn in den Giftschrank. (Erst 1985 lief er erstmals im britischen Fernsehen). International jedoch wurde er „hoch gehandelt“, wurde mit einem Spezialpreis auf den Filmfestspielen von Venedig sowie mit dem „Oscar“ als „Bester Dokumentarfilm“ ausgezeichnet und mit dem „British Film Academy Award“ für den „Besten Kurzfilm“ bedacht. In der BRD lief der Film in den Off-Kinos am 3. März 1971 (heiß diskutiert) an.

Deshalb die lange Vor-Rede, weil Peter Watkins keineswegs „nachließ“.

1967 realisierte er in Großbritannien den (damals) umstrittenen Kinospielfilm „Privileg“. Thema: Wie Kirche und Staat sich geschickt bemühen, eine angesagte Rock-Größe für ihre (Macht-)Zwecke zu gewinnen. Und soweit zu manipulieren, dass dieser Steven Shorter (PAUL JONES/der langjährige Sänger der Manfred Mann-Group) zu einem Messias der Jugend aufsteigt, um diese von ihrem rebellischen Kurs abzubringen und zu konformisieren.

1968 schuf er in Schweden den Film „Gladiatorerna“, einen Wettlauf um Leben und Tod. Vertreter der Großmächte wollen keine Kriege mehr untereinander führen und schicken stattdessen eine Handvoll Soldaten in ein abgestecktes Gebiet, wo sie unter Einsatz ihres Lebens und von Kameras „begleitet“, einen vorgegebenen Zielort erreichen müssen. Falls nicht… Ein „Friedensspiel“ als Medien-Ereignis mit höchsten Einschaltquoten.

Doch sein „schärfster“ Film entstand schließlich im Sommer 1970: Peter Watkins drehte binnen drei Wochen und mit einer nur 10 Personen-Crew (darunter 2 Casting-Assistenten) im ausgetrockneten See „El Mirage“ in der kalifornischen Mojave-Wüste von San Bernandino, 100 Meilen von Los Angeles, mit einem Budget von insgesamt 95.000 Dollar (einschließlich dem Aufblasen von 16mm- auf 35mm-Film) einen der ungeheuerlichsten WUT-FILME aller Zeiten. Als extreme Polit-Parabel. Der jetzt hierzulande erstmals in einer Synchronfassung auf DVD veröffentlicht wurde:

STRAFPARK“ von Peter Watkins (USA 1970; B,R+Schnitt; K: Joan Churchill, M: Paul Motian; 88 Minuten; Start D in der OmU-Fassung: 1980; DVD-Veröffentlichung: 12.7.2012).

In der Pressemappe zu „Punishment Park“, so der Originaltitel, formuliert Peter Watkins die Zeitbeschreibung: „Strafpark spielt morgen, gestern oder fünf Jahre in der Zukunft“. In den USA. Wo „gerade“ von Präsident Nixon der Notstand ausgerufen und ein Notstandsgesetz in Kraft gesetzt wurde. Der Vietnam-Krieg ist eskaliert, die Sowjetunion zieht U-Boote vorr Kuba zusammen, Südkorea wurde attackiert. Die Ami-Führung ist aufgescheucht. Man benötigt gesellschaftliche Geschlossenheit. Doch: Es brodelt im Land. Massenhaft wie kräftig. Und lautstark. Proteste allerorten. Von studentischen Antikriegsbewegungen, Bürgerrechtsvereinigungen, Kriegsdienstverweigerern, Frauenverbänden. Kommunisten. Deshalb: Wer nur annähernd verdächtig ist, „anti“ zu sein, offiziell – an einer „Verschwörung zur Untergrabung der nationalen Sicherheit und weiterer Anklagepunkte“ beteiligt zu sein, darf festgenommen und kaserniert werden. Um vor Tribunalen gestellt und abgeurteilt zu werden. Gerade hat sich das 48. Notstandstribunal zusammengefunden. Um neue Gefangene zu vernehmen. Die „Gruppe 638“. Zwei Kamerateams aus Großbritannien (unter Leitung des „Kommentators“ Peter Watkins) und aus Westdeutschland dürfen „mit-dabei“ sein. Alles filmen. Und selber auch Fragen stellen. An sämtliche Beteiligten. Um es dann zu verbreiten. Als Reportage. Um vor allem die kritische Ami-Öffentlichkeit „draußen“ „zu warnen“. Einzuschüchtern. Seht her, was wir mit „solchen Subjekten“ und „Vaterlandsverrätern“ anstellen. Denn WIR haben die Macht. „Sind“ das Land. Also…

Zudem gibt es ja zwei Möglichkeiten der Urteilsannahme für die angeklagten Männer und Frauen. Gerechtigkeit „zum Aussuchen“. Wer nicht in den jahrelangen Knast will, hat die Chance, sich im „Strafpark“ „zu betätigen“. Zu bewähren. Im staubigen Bear Mountain-Gelände. Bei bis zu 40 Grad Hitze tagsüber. Sollen sie ohne Verpflegung und Wasser in drei Tagen gut 90 Kilometer laufen, um am Ziel eine dort aufgestellte amerikanische Flagge „zu streicheln“. Dabei werden sie allerdings, mit zweistündiger Verspätung, von einem Verfolgungstrupp gejagt. Bestehend aus bewaffneten Einheiten der Nationalgarde, einer Eingreiftruppe der Staatspolizei und aus drei Bundesmarshalls. Für DIE „das-hier“ eine Art „Feld-Training“ bedeutet. Gewissermaßen „zum Üben“. Für „entsprechende“ Aktivitäten / Handlungen „draußen“. Die „Gruppe 637“ ist gerade im Gelände unterwegs, die 638er werden ihnen sicherlich bald folgen. Wenn ihr Verfahren abgeschlossen ist. Und die „gerechte“ Hetzjagd vor der Tür – brutal – für die „unpatriotischen“ Vorgänger zu Ende ist.

„Amerika ist ebenso psychotisch wie es mächtig ist“, lässt ein schwarzer Angeklagter im „Prozess“ verlauten. Und gibt den Film-Tenor vor: Gewalt in den USA – wird noch viel schlimmer ausufern, wird unvorstellbar eskalieren. „Strafpark“ ist zwar als dokumentarisches Fiction-Movie angelegt, traf aber damals den Polit-Nerv der Zeit(en). Und bekam natürlich (sehr) viel Gegenwind. Im „New York Magazine“ war die Kolumnistin Judith Christ von diesem „anstößigen Film“ stark verärgert und wütend, weil „die USA zum komplett faschistischen Staat erklärt“ sei. Dagegen fiel die Rezension im „San Francisco Chronicle“ differenzierter aus: „Eine Anklage von verheerender Wirkung. Ein Drama, das einen erstarren und eine Voraussage, die einen erschauern lässt. Polemisch, ohne Frage, aber…Watkins hat einen tief verstörenden Film geschaffen“. DER 1971 auf den Filmfestspielen von Cannes außerhalb des Wettbewerbs sowie auf einigen weiteren Festivals (wie dem New York Filmfestival) präsentiert wurde, der jedoch in den USA keine reguläre Kino- und TV-Auswertung bekam. Hatte. In Großbritannien wurde er erstmals im Februar 1972 aufgeführt und dann in 16 mm-Kopien vertrieben.
HEUTE schlägt der Film genauso in den (Kopf-)Bann wie damals. Und wahrscheinlich noch „mehr“. Intensiver. Dem hiesigen DVD-Start ist ein ausführliches Booklet mit Essays zum Film beigegeben, während im umfangreichen (deutsch untertitelten) Bonusmaterial zwei themenverwandte Kurzfilme, ein Audio-Kommentar vom Peter Watkins-Biographen Dr. Josef A. Gomez, das englische Presseheft von 1971 sowie eine sorgfältige Video-Einführung durch Peter Watkins beeindrucken: „Unsere Metapher gilt für die damalige soziale und politische Situation der USA“, beginnt der Autoren-Regisseur seine erklärende Aufarbeitung. „Doch der Großteil dessen, was der Film zeigt, die Grundlage des Films, passierte tatsächlich: Von den Übergriffen rassistischer Polizeibeamter bis zu den massiven Angriffen gegen Menschen aus Südostasien. Es war zutiefst verstörend zu sehen, wie Amerikaner, besonders aus dem Bereich der Medien und des Erziehungswesens, vollkommen verleugneten, was in ihrem Land passierte“.

Und zum HEUTE seines Films meint Peter Watkins weiter in seiner Bonus-Erklärung: „Aktuell sind zwei Millionen Menschen in amerikanischen Gefängnissen inhaftiert. Das ist ein höherer Prozentsatz von inhaftierten Bürgern als in jedem anderen Land der Welt. Wir haben die Brutalität des US-Konzentrationslagers GUANTANAMO BAY auf Kuba, die heruntergekommenen US-Gefängnisse im Irak und den kürzlich entdeckten, bisher unbekannten amerikanischen Militärgefängnis-Gulag in Afghanistan, dessen Inhaftierte, afghanische Kriegsgefangene, sexuell belästigt werden, nicht schlafen dürfen und weiterer Misshandlung, Brutalität und Unmenschlichkeit ausgesetzt sind“.

„Strafpark“ entstand, wie bei Watkins üblich, mit Laiendarstellern und unbekannten Nachwuchsschauspielern. Sie begegneten sich teilweise erst bei dieser sengenden (Zelt-)Hitze und durften, sollten improvisieren. Um möglichst authentisch(er) zu wirken. Kamerafrau JOAN CHURCHILL, die sich vom Veteran Haskell Wexler (1977 Kamera-„Oscar“ für „Dieses Land ist mein Land“/der Woody Guthrie-Biographie) beraten ließ, sorgt mit ihrem exklusiv angefertigten, schweren 16mm-Schulterstativ für verstörende, unter die Haut gehende Live- wie „Life“-Bilder. Für die „beunruhigende“ musikalische Vertonung konnte Peter Watkins den namhaften Jazzmusiker und Schlagzeuger PAUL MOTIAN (1931-2011) gewinnen, dessen Aufnahmen er zum Teil stark verfremdete. Um sie „so“ zum tönenden „Kochen“ zu bringen.

„STRAFPARK“ von Peter Watkins ist keine „paranoide Phantasie“, wie es einst hieß, sondern – heute mehr denn je – einer der beunruhigendsten demokratischen Spannungsspielfilme aller Filmzeiten. Ihn jetzt – endlich – im Rahmen der DVD- (und Blu-ray-)Reihe „KINO KONTROVERS“ als Nr.12 sehen und „aufnehmen“ zu können, ist ein MUSS für alle denkfreudigen Bürger. Überall.

Anbieter:“EuroVideo“

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