PÖNIs: (3,5/5)
„STEPHEN KINGS DOCTOR SLEEPS ERWACHEN“ von Mike Flanagan (B; R + Schnitt; basierend auf dem Roman „Doctor Sleep“ von Stephen King/2013; USA 2018; K: Michael Fimognari; M: Andy Grush und Taylor Newton Stewart als „The Newton Brothers“, Wendy Carlos und Rachel Elkind (SHINING-Thema); 152 Minuten; deutscher Kino-Start: 21.11.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
DAS VORWORT: Was für ein deutscher Titel-Schwachsinn! Welcher Praktikant hat sich d a s bitte ausgedacht? Den Autoren zu nennen – geschenkt. Aber die Bezeichnung so zu verfälschen, dass sie in die Irre führt, gar Unwahrheiten andeutet, grenzt an Dummheit. Ein kurzer Blick in des „Königs“-Schrift hätte gereicht um festzustellen, dass sich der simple (englische) Titel DOCTOR SLEEP (= Doktor Schlaf) auf die Hauptfigur Danny Torrance bezieht, der als Pfleger in einem Sterbeheim arbeitet, um die dortigen Patienten, dank seiner Gabe, genannt Shining, ohne Schmerzen in den Tod zu begleiten. Es „erwacht“ also niemand … und schon gar kein Doktor! Was geholfen hätte, wäre stattdessen der Hinweis, dass es sich hierbei um die Fortsetzung des (Horror-)Meilensteins SHINING von Kult-Regisseur Stanley Kubrick aus dem Jahre 1980 handelt. Auch wenn es seinerzeit schon dort Streitigkeiten bis aufs Messer – oder besser: die legendäre Axt – gab, da Kubrick sich lediglich an Kings Werk „orientierte“, die Wünsche des Urhebers folglich ignorierte, um selbst und ständig einschlägige Änderungen vorzunehmen. Größter Diskussionsherd damals: Während der Literat den Ort des Geschehens, das verdorbene Overlook-Hotel, am Ende samt Mörder explodieren ließ, überlebte das böse Gemäuer bei Kubrick und der Killer-Daddy (alias Jack Nicholson) erfror stattdessen draußen in der Kälte. K-i warf K-u damals vor seinen Hauptakteur, das Hotel, durch einen anderen (Nicholson) aufs Übelste diskreditiert zu haben.
DER PROLOG: Retrospektiv nicht unrichtig, denn was von SHINING am Ende tatsächlich im Gedächtnis blieb, war das teuflische Grinsen von Nicholson in der Rolle des mordenden Vaters Jack Torrance, dessen Familie an dieser Spuk-Stätte zerbrach. Umgeben von ikonischen Leinwandmotiven, die, bis heute, wie ein blutverzerrter Picasso die Annalen der klassischen (Horror-)Filmgeschichte schmücken: Lange Kamerafahrten über ein Auto hinweg, das bedrohlichen Serpentinen folgt; ein kleiner Junge, der auf seinem Dreirad einen engen Gang mit orange-rot-braun-gemustertem Teppich entlang braust; das grelle Blutmeer, das aus dem Fahrstuhl schießt; das düstere Zimmer 237; die schaurigen Komm-und-spiel-mit-uns-Zwillinge oder der Irrgarten im glitzernden Schnee. Fast 40 Jahre später lautete nun die Frage: An welche Version würde der neue Regisseur Mike Flanagan 2019 mit DOCTOR SLEEP anknüpfen? Keine leichte Entscheidung, gefangen zwischen den Erwartungen der King-Leser und der nahezu göttlichen Aura der Kino-Legende. Glücklicherweise hatte der 41-jährige Amerikaner schon Erfahrung mit dieser „Königs“-Disziplin: 2017 adaptierte er „Das Spiel“ von Stephen King, und auch sein Netflix-Serien-Hit „Spuk in Hill House“ (seit 2018) zeigt: Er ist im Grauen-Genre zuhause. Kein Wunder also, dass Warner Bros., das Unternehmen, das bereits mit dem Remake von „Es“ (2017/2018; Andrés Muschietti; s. Kino-KRITIK & Kino-KRITIK) jüngst beste Bilanzen erzielten, ihn als Spielleiter ins Auge fasste. Für eine weitere Renaissance des mittlerweile 72-jährigen Schriftstellers. In aktueller Gesellschaft mit (neu-)verfilmten Vorlagen wie: „1922“ (2010; Zak Hilditch); „Carrie“ (2013; Kimberly Peirce); „Der dunkle Turm“ (2017; Nikolaj Arcel; s. Kino-KRITIK); „Friedhof der Kuscheltiere“ (2019; Kevin Kölsch; s. Kino-KRITIK) und „Im hohen Gras“ (2019; Vincenzo Natali). Der König sitzt derzeit auf dem Einspiel-Thron. Darum: Weiter geht’s…
DAS NEUE KAPITEL: „Doctor Sleep“ ist kein Remake, sondern das Sequel zu SHINING, das dank einer Fan-Initiative 2013 zunächst als Roman entstand. Das Shining, das gewisse Leuchten, spielt in Kings Universum eine große Rolle. Viele seiner Charaktere besitzen diesen sechsten Sinn (u.a. der hellsichtige Duddits in „Dreamcatcher“), der sie in fremde Gedanken eintauchen lässt. Ihnen die Zukunft oder die Vergangenheit zeigt oder ihnen die Kommunikation mit Geistern ermöglicht. Die wohl berühmteste Figur darunter: Danny Torrance (EWAN McGREGOR). Der Bub auf dem Dreirad. Ist nun erwachsen. Er nennt sich schlicht Dan und ertränkt seine Erinnerungen an das Overlook-Hotel im Alkohol. Erst mit der Arbeit in einem Hospiz verwandelt sich schließlich seine Selbstaufgabe wieder in eine Aufgabe, denn er nimmt den Sterbenden durch seine übersinnliche Fähigkeit ihre Angst und lässt sie in Frieden einschlafen. Sie nennen ihn deswegen liebevoll „Doctor Sleep“. Dessen Dasein endlich ruhig verlaufen könnte, wäre da nicht die kleine Abra Stone (KYLIEGH CURRAN). Sie wird gejagt von einer Sekte, die sich selbst der „wahre Knoten“ nennt. Angeführt von der charismatischen Rose the Hat (REBECCA FERGUSON) sind diese campenden Vagabunden-Vampire auf der Jagd nach „Steam“. Der ausgehauchten Lebensenergie Shining-begabter Kinder. Ihr Tod, bedeutet deren alles-überdauernde Existenz. Durch Absorption. Und Abras Kräfte sind außergewöhnlich … schmackhaft. Dan muss also wieder zurück in die Lobby des verhassten Hotels, um durch dessen Fluch die Zukunft des Mädchens zu retten.
DER EPILOG: Die Erwartungen waren aufgrund der populären Historie immens hoch: Und? Ist der Film so gut wie SHINING? Nein. Ist er nicht. Und kann er auch nicht sein. Das weiß Flanagan genauso und deswegen versucht er erst gar nicht, die gefeierte Kubrik-Ikone zu kopieren. Er geht seinen eigenen Weg. Hält an s e i n e m Stil fest, der mehr auf ein Gefühl des Unwohlseins, als auf Schockeffekte, Blutorgien oder Schlachthausszenen setzt. Damit verkünstelt er sich nicht. Es geht nicht um Monster, die in einem Technikspektakel aus dem Kleiderschrank ploppen, sondern um Kleinigkeiten, um das Implizieren eines Schreckens, der nicht direkt On-screen gezeigt werden muss. So schafft es der Regisseur, trotz seines zu langen Einstiegs, recht passabel den einen oder anderen „tatsächlichen“ King-Moment zu schaffen: wie etwa in der kurzen Szene mit Jacob Tremblay als Opfer des Knotens (der „Raum“-Sohn von Lenny Abrahamson; 2016). Ein typischer Blick des Buch-Urhebers auf das Verhältnis von Unschuld, Bösem und Suchtverhalten. Visuell frappierend übernommen. Der Fan-Service in Bezug auf den Filmvorgänger präsentiert sich erst wirklich am Schluss, nachdem man (zu) viel Zeit in die neuen Rollen investiert hat. „Ewan McGregor“ („Trainspotting“) gibt hier solide den unter den Taten seines Vaters leidenden Hotel-Veteran, wird aber von seinen Co-Mädels gut um- und überspielt. Während „Kylieh Curran“ ein beeindruckendes Debut als „Schlachtlamm“ Abra gibt, entpuppt sich REBECCA FERGUSON in der Rolle des Druiden-Raubtiers Rose the Hat als wahre Entdeckung. Selten war ein King-Antagonist körperlich so innig-charmant und gleichzeitig abstoßend. Ihr allein gehört die große Bühne.
DAS FAZIT: Wenn es dann endlich hoch in die Berge geht, die alte SHINING-Musik erklingt, das scharlachrote Wort „Redrum“ wieder auf prangt, die gespaltene Tür sich präsentiert, sich die Eingangshalle des Overlooks öffnet … fällt es schwer diesem nostalgischen Schein-Zauber zu entfliehen. Gleichwohl wird einem aber in diesem Augenblick trotzdem bewusst: Stephen King ist und bleibt der unangefochtene König der düsteren Bilder. Stanley Kubrick sein erster Ritter. Mike Flanagan, hingegen, kann ihnen als Lehnsherr zwar Tribut zollen … deren Stand-Art, ihr Kunst-Niveau, aber leider nicht erreichen. (= 3 1/2 „Carrie“-PÖNIs; …SHINING gesehen zu haben ist filmisches Grundwissen und hier von Vorteil!)