SOFIE

SOFIE“ von Liv Ullmann (Schweden 1992; 151 MInuten; Start D: 05.08.1993).

“Menschen-Schicksale tauchen auf und schwimmen eine Weile mit oder gegen den Strom, und der Strom schließt sich wieder über ihrem Leben….Und der Strom schließt sich wieder über ihrem Leben“. Zitat-Anfang und -Ende aus dem Film “Sofie“. Die vor allem aus den Ingmar Bergman-Filmen der 60er und 70er Jahre bekannt gewordene Schauspielerin hat für ihre erste Regie-Arbeit die Adaption einer dänischen Erzählung gewählt. Sie heißt “Mendel Philipsen & Söhne“, stammt von Henri Nathansen, der sie 1932 veröffentlichte. Thema: Das Leben in einer jüdischen Bürger-Familie gegen Ende des letzten Jahrhunderts. Der Ort: Kopenhagen, und dort das jüdische Viertel “Kobmagergarde“. Dort ist zu dieser Zeit noch nichts von den Quergedanken, der Dekadenz und der sozialen Rebellion anderer Hauptstädte Europas zu spüren. Im Gegenteil: Hier nimmt noch ein beschauliches, übersichtliches, geordnetes Leben seinen betulichen Verlauf.

Die 29jährige Sofie, einzige Tochter des Kaufmanns Semmy Philipsen und seiner Frau Frederike, ist noch unverheiratet. Dennoch ist sie keine alte Jungfer, sondern hat sich mit ihrer noch jugendlichen Unbeschwertheit, ihrer positiven Lebenseinstellung und ihrem fröhlichen Wesen viel Individualität bewahrt. Obwohl in der Enge der Stadt und im festen Griff der Religion eingebunden, erweist sich Sofie als sympathische, charakterstarke junge Frau. Die nun aber “unter die Haube“ soll. Zwei Kandidaten finden sich ein: Ein junger Kunstmaler, der mit seiner schwärmerischen Offenheit für emotionale Verwirrung sorgt; und ein etwas verklemmter und intellektuell auch nicht sehr gebildeter Cousin namens Jonas. Der aber besitzt den Vorteil, Jude zu sein. Sofie akzeptiert schweren Herzens das sanfte Diktat der Familie, heiratet Jonas und zieht mit ihm in sein abgelegenes Heimatdorf. 3 Jahre später wird ihr Sohn Aaron geboren. Er wird zur einzigen Freude in der leidenschaftslosen Ehe, in der sich Jonas immer mehr zurückzieht. “Es ist, als seien es Botschaften aus einer anderen Welt, in der ich nicht leben darf“, vertraut Sofie ihrem Tagebuch über ihre Bücher an, in die sich flüchtet. Als Jonas schließlich in einer Nervenheilanstalt stirbt, kehrt Sofie mit ihrem Sohn zu den Eltern zurück. “Endlich zu Hause“ und voller Mut, ihrem Sohn einmal eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

“Sofie“ ist der außerordentlich geglückte, faszinierende Versuch, eine Art dänische “Buddenbrock“-Geschichte vorzuführen. Es geht um Menschen über einen bestimmten Lebens-Zeitraum, es geht um Moral und Glauben, um Enge und Emanzipation, um Luft und Seele, um Poesie und Liebe. Dabei liegt der Film voll gegen den Trend. Er zieht sich auf Menschen zurück und nicht auf Plastikfiguren; er bleibt auch in den rebellischsten Momenten verständlich und brüllt nicht herum; er will dort gefühlvoll, zärtlich sein, wo es angebracht ist und vermeidet jedweden Kitsch. Und: Es ist ein phantastischer Schauspieler-Film. Dabei zeigt sich die Hauptakteurin und Titelheldin Karen-Lise Mynster, die in Dänemark zu den populärsten Schauspielerinnen zählt, als Ebenbild der Ullmann: Energisch, träumerisch klug. Während der großartige Erland Josephson und die nicht minder brillante Ghita Norby als Eltern von vitaler Brillanz sind. Ihre oft winzigen Gesten, ihre verschmitzten Körper-Bewegungen, ihr listig-feines Minenspiel, das sind Momente der wahren Schauspielkunst und bleiben unvergessen. Und die Regisseurin Liv Ullmann? Nun: Sie hat ihren einstigen Über-Vater, Ehemann und Regisseur Ingmar Bergman eben nicht kopiert, ja nicht einmal zitiert.

Ihre Inszenierung strahlt i h r e Humanität, ihr Gefühl, ihre Persönlichkeit aus: “Sofie“ ist ein langes, 146 Minuten beglückendes Werk der Empfindungen, der Gedanken und Nach-Gedanken, der Beobachtung von und an: Menschen. Denn: Die im Dezember 1939 in Tokio geborene Norwegerin hat sich viele Jahre ihres Lebens für Humanität und Verständigung zwischen den Rassen, zwischen den Völkern, zwischen Erwachsenen und Kindern eingesetzt. Ihr unermüdlicher und ehrenamtlicher Einsatz als UNICEF-Botschafterin ist bekannt und geschätzt. Liv Ullmann wurde im Laufe ihrer Karriere des Öfteren mit Auszeichnungen bedacht: Für ihre künstlerische Film-Arbeit genauso wie für ihr Auftreten als engagiertes Sprachrohr der Schwachen und Unterdrückten. Sie arbeitete auf der ganzen Welt und auch in Hollywood und schrieb einige weitgehend autobiographisch beeinflusste Bücher, die Millionenauflage erzielten. “Sofie“, ihr erster Regie-Film, zieht so was wie eine Bilanz.

Die heute 53jährige hinterfragt leise und sinnlich und atmosphärisch und dicht “ein Leben ohne dabei aufdringlich, belehrend oder langatmig zu wirken. Im Gegenteil: “Sofie“, das ist wie ein klarer, verlockender, stiller See, in den einzutauchen und mitzuschwimmen, zunächst viel Geduld, Einfühlungsvermögen und innere Ruhe erfordert. Der Lohn dafür aber sind dann außergewöhnliche, wunderbare Bilder, Gedanken und Gefühle. Und: Menschen, mit denen einzulassen interessant ist und denen man dann auch sehr gerne sehr nahe kommt. Wie heißt es doch an einer Stelle des Films: “Nichts zu wagen, bedeutet, das Leben zu verlieren“.

Liv Ullmann hat sich gerade daran stets gehalten, und insofern ist ihr ‘Wagnis‘ mit ihrem ersten eigenen Film “Sofie“ eine überzeugend künstlerische wie persönliche Leistung (= 4 PÖNIs).

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