DER SOHN DER ANDEREN

DER SOHN DER ANDEREN“ von Lorraine Lévy (Co-B + R; Fr 2012; Co-B: Nathalie Saugeon, Noam Fitoussi; K: Emmanuel Soyer; M: Dhafer Youssef; 105 Minuten; Original mit deutschen Untertiteln; Start D: 17.09.2015); ein bekanntes, aber hier ein besonders listiges, spannendes Film-Thema: Joseph (JULES SITRUK) und Yacine (MEHDI DEHBI). 18 Jahre.

Joseph ist in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Tel Aviv aufgewachsen. Ein Teenager westlicher Prägung, Joseph feiert gern, plant eine Karriere als Sänger und gönnt sich ab und an einen Joint. Sein Vater ist ein „hohes Tier“ bei der Armee. Yacine, aufgewachsen in einer palästinensischen Familie in der besetzen Westbank-Region, hat in Frankreich Abitur gemacht und möchte dort Medizin studieren. Beide Familien verbindet eigentlich gar nichts. Eigentlich, denn als bei Joseph ein Routine-Bluttest vor dem anstehenden Militärdienst gemacht wird, kommt heraus: Joseph ist nicht das Kind seiner Eltern. Bei der Geburt, während des Golfkrieges, wurde er versehentlich vertauscht. Er ist das Kind der Eltern von Yacine. Ein Schock. Für sämtliche Beteiligten. Ein junger Israeli soll plötzlich Palästinenser sein, und ein Palästinenser Israeli. Das Leben der beiden Familien ist gründlich erschüttert. Stichwort: Die Erkenntnisse von doppelten Identitäten und ihre Folgen. Religiös, politisch, vor allem aber menschlich.

Co-Drehbuch-Autorin und Regisseurin Lorraine Lévy interessiert sich in ihrem viersprachigen Film – hebräisch, arabisch, französisch, englisch – weniger für die politische Komponente und mehr für die menschliche. Wer bin ich jetzt? Jude? Palästinenser? Welche Identität habe ich wirklich? Mit welchem Glauben bin ich nun „ausgestattet“? Was ist künftig meine „Überzeugung“? Wie überhaupt gehe ich „damit“ um? Mit diesem zweifachen „Zuhause“? Ein vielschichtiger Crashkurs in Sachen Toleranz startet. Allerdings weniger holzhammerhart und mehr differenziert. Klischee-resistent. Die Kinder, die beiden Jungs, sind neugierig. Aufeinander. Nehmen Kontakt auf. Nähern sich an. Tauschen sich aus. Suchen Kontakt zu ihrer jeweiligen „neuen“ Familie. Die Mütter finden durch die Aufgeschlossenheit ihrer Kinder ebenfalls Interesse. Erweisen sich gesprächsbereiter, als es ihren störrischen Ehemännern lieb ist. DIE zeigen sich schockiert und verbittert. Wo amtliche Schranken sind und herrschen, sollen diese auch bleiben. Sie wollen „es“ nicht wahrhaben, sich plötzlich mit „zwei Kindern“ auseinanderzusetzen. Müssen sich aber irgendwann auch den Gegebenheiten stellen.

Ideologisch wird keine Seite bevorteilt. Lorraine Lévy erzählt behutsam, unangestrengt und dialog-klug über die Beschreibung der sozialen Situationen der Familien von den brisanten politischen Zuständen und Verhältnissen an diesem ständigen Unruhe-Fleck unserer Welt. Dabei setzt sie vor allem auf Emotionen. Die Grenzen-überschreiten können und für humane Annäherungen sorgen. Gefühle als Herzens- und Grenzen-Öffner. „Der Sohn der Anderen“ poltert nicht, sondern plädiert mit sehr viel Feinabstimmung für humane Gedanken. Begegnen wir uns (endlich und mehr) auf menschlicher Ebene, ist ihr großartiges gedankliches Fazit. Mehr solcher „Verwechslungen“ wären toll (= 4 PÖNIs).

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