„SHARAYET – EINE LIEBE IN TEHERAN“ von Maryam Keshavarz (B, Co-Prod.+R; USA/Fr/Iran 2010; M: Gingger Shankar; 105 Minuten; im Original mit deutschen Untertiteln; Start D: 24.05.2012); du bist jung, voller Elan, hast – auch musikalisches – Fieber im Blut. Willst LEBEN. Nach deinem freien Willen. Willst probieren. Ausprobieren. Was das stürmische Dasein alles so bietet. Willst dich bewegen. Ständig. Viel. Oft. Hast Lust. Große Lust. Auf alles. Bist neugierig. Kurzum: Du besitzt Power, viel Power, die volle Energie, und willst diese gerne nutzen. Benutzen. Motto: Wir sind jung, also geben wir Gas. Mit Volldampf. LEBEN. Jetzt und sofort. Nach eigenen Regeln. Und Launen. Was an vielen Orten der Welt auch machbar und möglich ist. Nur eben nicht hier. Im Iran. Du stammst zwar aus einem gutbürgerlichen, vergleichsweise komfortablen und liberalen Elternhaus, aber das „schützt“ dich nun auch nicht mehr. Wie bisher. Denn – du bist ein Mädel. Eine junge „wertlose“ Frau. Mit dynamischem Ego.
Doch Atafeh Hakimi (NIKOHL BOOSHERI), ebenso schön wie clever, akzeptiert dies nicht. Nutzt den häuslichen vorgegebenen Freiraum und geht „heimlich“ nachts auf die Jagd. Nach der Lust. Und dem Lebensvergnügen. Gemeinsam mit ihrer attraktiven Schulfreundin, der Vollwaise Shireen (SARAH KAZEMY). Man „probiert“. Besucht illegale Partys. Wo Kids beiderlei Geschlechts mit Musik, Sex und Drogen „experimentieren“. Wo die leidenschaftliche Lebens-Post abgeht. Tagsüber der Schleier, abends tobt ausgelassen das wahre Ich. In Ideen und Phantasien. „Dabei“ verlieben sich Atafeh und Shireen ineinander. Eine lesbische Beziehung? Im Iran? Wo alles Illegale sofort in etwas Staatsfeindliches umgedeutet wird? Die Moral-Polizei tritt auf den Plan. „Aufgeweckt“ durch den in die Familie zurückgekehrten Bruder Mehran (REZA SIXO SAFAI). Der einst vielversprechende Musiker hat einen Drogenentzug hinter sich und sucht seinen weiteren Halt mehr und mehr im religiösen Fundamentalismus. „Überwacht“ in der geräumigen Wohnung stasihaft seine eigene Sippe. Um eventuelle Unmoral „aufzudecken“. „Ich bete, also bin ich rein“, lautet sein neues Lebensmotto. Damit rechtfertigt er die Unterwanderung in der eigenen „unsauberen“ Familie. Die Eltern müssen sich anpassen: „Manchmal müssen wir uns mit der Wirklichkeit abfinden“, resigniert die Mutter. Auf die neuen „Vorkommnisse“. Sprich, auf die hausgemachten „regimefeindlichen Aktivitäten“, wie es nun heißt. Der Vater, einst selber ein Revolutionär, der gegen das Schah-Regime kämpfte, sieht sich mittenmal in der Defensive. Arrangiert sich zerknirscht. Mit Geld und Abmachungen: „Du bestimmst über deine Tochter, ich über meine Frau“, gibt Sohn Mehrin die neue Richtung vor. Als er Shireen „kauft“. Zugesprochen bekommt. Was Atafeh nicht mehr aushält. Und ausbrechen lässt.
George Orwell im Jahre 2010. „1984“, der allgegenwärtige, mächtige „Große Bruder“. Mit seinen Überall-Augen. Und –Ohren. Fundamentalistisch, aggressiv, zerstörend. Gegenüber DENEN, die sich nicht „arrangieren“. Wollen. In und mit dieser widerlichen Männer-Domäne. Und ihrem traditionellen Gedankengut von Ewig-Gestern. Ein widerwärtiger Unterdrückungsapparat, angeführt und ausgeübt von bigotten, religiösen Fanatikern. „Keiner kann der Zerstörung durch die Gewaltherrschaft entkommen“, erklärt die Regisseurin im Presseheft. Und: „Ich hoffe, der Zuschauer hat aber genauso viel Mitleid für den Gefängniswärter wie er es für den Inhaftierten hat“. Der Film basiert zum Großteil auf eigenen Erfahrungen der Drehbuch-Autorin und Regisseurin MARYAM KESHAVARZ. Einst kulturelle Wanderin „zwischen den Welten“ Iran – USA lebt sie derzeit „komplett“ in den USA. Mit ihrem Spielfilm-Debüt folgt sie einem persischen Sprichwort: „Zwei Herzen, die eins sind, reißen Gebirge nieder“.
„Circumstance“, wie der Film im Original heißt, „Umstand“, wurde in Beirut, im Libanon, gedreht und ist eine faszinierende Gesellschaftsparabel auf den iranischen Mittelstand, der im Sommer von 2009 von der sog. „Grünen Welle“ der Opposition erfasst wurde. Erzählt von aufgeklärten Vertretern des liberalen Bürgertums, die bislang „ihre Interessen“ an individuellen Freiheiten mit Geld und öffentlicher Anpassung „durchsetzen“ konnten, dies nun aber nicht mehr vermögen. Ein selbstbestimmtes Existieren, Da-Sein, inmitten fundamentalistisch religiösen, hasserfüllten Beobachtungs- und Verfolgungswahns, ist nun nicht mehr zu verwirklichen. „Die Diktatoren“, die Hardliner, setzen sich immer mehr rüde durch. Wie anhand der „offiziell“ „unmöglichen“ Liebe zwischen zwei normalen jungen Frauen beispielhaft wie außerordentlich sinnlich, zärtlich und sensibel geschildert wird. „Circumstance“ ist ein prächtiger kluger Unterhaltungsfilm. Besetzt mit einem überzeugenden Ensemble, aus dem die beiden weiblichen Hauptakteure in ihrer unangestrengten, feinfühligen körpersprachlichen wie seelischen Mienen-Sprache herausragen. Nikohl Boosher und Sarah Kazemy sind hier ein unglaublich packendes, spannendes Paar.
Auf dem renommierten „Sundance Festival“, wo der Film im Januar 2011 uraufgeführt wurde, erhielt „Sharayet –Eine Liebe in Teheran“ den Publikumspreis. Wir hier sollten ihn – im derzeit angesagten übervollen Programmfieber – auf keinen Filmfall übersehen: Ein Klasse Außenseiter-Movie. Mit schon viel pfiffig-emotionalem Kultgeschmack (= 4 PÖNIs).