SCHWANENSEE. DIE ZONE

SCHWANENSEE. DIE ZONE“ von Juri Iljenko (B+R; Sowjetunion/Schweden/Kanada 1990; 96 Minuten; Start D: 1991)

“Schwanensee“: da denkt man zunächst an das bekannte Ballett von Tschaikowski, und “Die Zone“: dazu fällt einem Tarkowskis “Stalker“ ein, der in einer verbotenen Zone spielte. Hier zumindest gibt es Berührungspunkte: auch Juri Iljenkos Film hat einen Schauplatz, der von der Außenwelt abgeschirmt ist, ein Zuchthaus und seine Umgebung. Und in der Kompromisslosigkeit, mit der dieser Film gemacht ist, steht er Tarkowski nahe. Schwäne spielen nur eine symbolische Rolle: in einer Wasserlache zwischen Käfigen, in denen Gefangene gehalten werden wie Tiere, wirken sie wie fremde Boten aus einer anderen fernen Welt, Sinnbilder von Freiheit und Schönheit. Für die Welt von Iljenkos Film sind das Begriffe von einem anderen Stern.

Der Mikrokosmos dieser Häftlingshölle und ihrer Gestalten, die von Hieronymus Bosch erfunden sein könnten, kennt nur Brutalität und Dreck. Nichts anderes findet der Protagonist (Viktor Solowjow) auch auf seiner Flucht aus dem Gefängnis, die nicht weit davon im Innern eines riesigen Hammer- und Sichel – Monuments endet. Über Bahngleisen an der Brücke einer Überlandstraße symbolisiert es die Allgegenwart der Staatsmacht, ist aber schon brüchig geworden und dient in seiner Hohlheit als Abfallbehälter für Sekt- und Wodkaflaschen.
Hier findet den erschöpften Flüchtling eine hilfreiche Bahnbedienstete, aber ihr eifersüchtiger Sohn verrät ihn. Einen Selbstmordversuch überlebt der Wiedereingesperrte durch die Blutspende eines ihm offensichtlich homoerotisch zugetanen Wärters, doch nun drohen ihm die Mitgefangenen: “Mit Schweineblut kommst du hier nicht raus!“ Einen Tag vor seiner Entlassung schneidet sich das Opfer ihrer Misshandlungen, im Gitter des Zuchthaustores hängend, die Pulsadern auf.

Dieser filmische Alptraum kommt fast ohne Worte aus. Sergej Paradschanow schrieb sich mit dem Szenarium wohl die schlimmen eigenen Erfahrungen in sowjetischen Gefängnissen von der Seele. Gedreht wurde an Orten, an denen der im Juli dieses Jahres verstorbene armenische Cineast inhaftiert war. Co-Autor und Regisseur Juri Iljenko war 1964 Kameramann bei Paradschanows Film “Schatten vergessener Ahnen“ gewesen. Der hatte den eigenwilligen Künstler durch 16 Festivalpreise international bekanntgemacht und eine poetische Richtung des sowjetischen Films begründet, zu der dann auch der Ukrainer Juri Iljenko mit Regiearbeiten wie “Eine Quelle für die Durstigen“ und “Weißer Vogel mit schwarzem Fleck“ Eigenes beisteuerte. Zu “Schwanensee. Die Zone“ bekannte er: “Ich habe diesen Film gemacht, weil es mir unmöglich war, ihn nicht zu machen. Ich selbst habe mich immer als Gefangener in einer riesigen Zone gefühlt, zusammen mit meiner ganzen Nation. Flucht ist der Ausdruck einer letzten, verzweifelten Hoffnung. Genau wie die Flucht in die Kunst“.

Dieses Filmkunstwerk konnte als Co-Produktion neuer privater Firmen in Kiew mit schwedischen und kanadischen Partnern realisiert werden, das Negativ wurde bei der Budapester Hunga- ro-Film entwickelt: ein erfreuliches Beispiel,
dass internationale filmische Zusammenarbeit nicht mit künstlerischen Kompromissen erkauft werden muss (= 4 PÖNIs).

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