ER behauptet: „Das Böse ist die Konsequent des Guten“. Und: „Es ist nicht sicher, ob Wahnsinn die höchste Intelligenz ist“. Aber auch: „Melancholie hat mich wie ein schwarzer Hund verfolgt, mein ganzes Leben“. Er war der erste bezahlte Autor in den Vereinigten Staaten. Von Amerika. Sein berühmtestes Gedicht wurde zum ersten Mal am 29. Januar 1845 in der New Yorker Zeitung „Evening Mirror“ veröffentlicht, schildert den mysteriösen, mitternächtlichen Besuch eines Raben bei einem verzweifelten verliebten Erzähler. Dessen geliebte Lenore verstorben ist, deren Tod er aber weder „verstanden“ noch „bewältigt“ hat. Akzeptieren will. „Nevermore“, NIMMERMEHR, krächzt der Rabe in diesem populären Gedicht „The Raven“. Von EDGAR ALLAN POE (19.1.1809 – 7.10.1849). Mit DEM jetzt ein faszinierender neuer Kinofilm „besetzt“ ist , der hierzulande soeben Premiere auf DVD hatte:
„THE RAVEN“ von James McTeigue (USA 2010/2011; B: Ben Livingston, Hannah Shakespeare; K: Danny Ruhlman; M:Lucas Vidal; 111 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 07.12.2012).
Ein Autor leidet. Hält sich für ein Genie, das nicht die Anerkennung bekommt/findet, die Seinesgleichen gebührt. Zudem ist er permanent pleite. Weil noch kein Urheberrecht existiert, so dass man ihn „veröffentlichen“ kann (und tut), ohne dafür zu bezahlen. Ihn angemessen zu bezahlen. Also ist er, dieser große wie selbstbewusste düstere Denker und Dichter, auf „Almosen“ angewiesen. Als er 1849 in Baltimore auftaucht. Edgar Allan Poe (JOHN CUSACK) wirkt ausgebrannt. Pleite sowieso. In seinem Stolz, in seiner Eitelkeit verletzt. Betroffen. Er hat populäre Werke des „dunklen Gemüts“ verfasst, wie noch niemand vor ihm, die Leute „schmachten“ nach seinen grausamen Ergüssen, misstrauen ihm aber auch. Denn wer „so etwas“ formuliert…, kann doch im Grunde „nicht ganz dicht“ sein. Edgar Allan Poe, der düstere Poet. Der die dunkle menschliche Seelen-Tiefe phantasievoll-„lüstern“ auslotete, zum Thema makaberer Schauergeschichten machte. Wie „Der Untergang des Hauses Usher“, „Die Abenteuer Gordon Pyms“ oder „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ von 1841, eine Kurzgeschichte, die als Mit-Erfindung der Detektivstories gilt. Edgar Allan Poe, ein Virtuose des Grauens. Auf dem Papier. Nun ziemlich versoffen. Wie verkatert. Als er 1849 auftaucht und um seine Jugendliebe Emily ((ALICE EVE) buhlt. Was ihr grantiger Vater, Captain Hamilton (BRENDAN GLEESON), aber auf jeden Fall verhindern will. Es zündelt emotional jedenfalls im Leben des Erfinders von Schrecken und Tod, als ihn plötzlich die Polizei „benötigt“.
Inspektor Emmett Felder (LUKE EVANS) ist hinter einem Serienmörder her, der genau „nach Poe“ killt. Also genau nach den fiktiven Romanen von Edgar Allan. Der eine Art „Wettbewerb“ veranstaltet, einen „methodischen Zweikampf“ verkündet. Und dabei eine Riesen-Blutspur hinterlässt. Ein mörderischer Nachahmer in der Wirklichkeit. Um Poes einstige Erfindungen wie „Das Pendel des Todes“ und „Lebendig begraben“. „Lebendig begraben zu werden, ist ohne Frage die grauenvollste aller Martern, die je dem Sterblichem beschieden wurde“, lautete einst die „Vorlage“ des literarischen Experten für Angst und (Er-)Schrecken. Die jetzt von einem „inspirierten Jünger“ real übernommen wurde. Zudem: Emily befindet sich in seiner Gewalt. Edgar Allan, der charmant-mürrische Grantler-Alki, mutiert nun zum Schreiber-Schnüffler, der deshalb wieder zur Feder greifen muss, weil es „die Bestie“ so verlangt. Tagtäglich. Für die Zeitung. Sie, also er, dieser wahnsinnige Verbrecher, giert nach weiterem, neuem Lese-Stoff. „Der verehrte Meister“ soll sein „schändliches Tun“ durch seine Artikel darüber „adeln“. Der Schüler fordert sozusagen den Meister. Poe ist angewidert, aber machtlos. Muss mitspielen. Folgt seinen einstigen „Erfindungen“: „Ich bin vom Autor zu einer Figur meiner Geschichten geworden – wehrlos und verteufelt, wie die unglückseligen Mistkerle, die ich erschaffen habe“. Am Ende geht es zwar ein bisschen zu holter-di-polter zu, wenn der Übel-Täter die Maske fallen lässt, doch dies lässt sich verschmerzen. Aushalten. Zumal…
Ein imposantes Horror-Thriller-Grusel-Werk. Mit viel Kostüm- und Licht-Atmosphäre. Inmitten „feinster“ übler Schurkereien. Angesiedelt an der Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit. Der Irrsinn, die Sünde, der Schrecken aus den Erzählungen des Edgar Allan Poe werden „lebendig“. Was „den Schreiberling“ zum Ermittler in der Wirklichkeit werden lässt. Eine wunderbar konspirative Idee. Und Show. Mit viel Spannungswirkung. Nach 1935 („Der Rabe“ von Louis Friedlander; mit Bela Lugosi + Boris Karloff) und 1963 („Der Rabe – Duell der Zauberer“ von Roger Corman; mit Vincent Price, Peter Lorre, Boris Karloff + Jack Nicholson als Zauberer Rexford Bedlo) nun das dritte und überzeugendste Fantasy-Fiction-Abenteuer um das „Nimmermehr“-Schatten-Poem. Das vielfach in der Populärkultur „Anwendung“ fand (so z.B. durch „The Alan Parsons Project“ in ihrem Album „Tales of Mystery“). Und hier vorzügliche Denk- wie Fühl-Basis für einen kultivierten Genre-Blutreigen ist.
Der australische Regisseur JAMES McTEIGUE, einst erster Regie-Assistent bei der „Matrix“-Trilogie der Wachowskis, dann mit seinem exquisiten 2006er Suspense-Debüt „V wie Vendetta“ bekannt geworden (danach 2009 „Ninja Assassin“), schuf einen bilder-prächtigen Reigen aus Horror-Philosophie und niveauvollem Splatter-Krimi. Mit brillantem Düster-Charme, „leckerer“ Augen-Ausstattung, inmitten „souveräner“ 1849er Baltimore-Architektur, die an den Drehorten Budapest und Belgrad beeindruckend aufgetan wurde. Der 31jährige britische Waliser LUKE EVANS („Immer Drama um Tamara“/2010; „Die drei Musketiere“/2011) gibt dem verdatterten, geschockten Oberpolizisten Emmett Felder stilfeines Profil und findet angemessene Stichworte für den herrlich cholerischen, genervten, hin- und hergerissenen „Helden“ JOHN CUSACK, inzwischen 44, als – so der Untertitel – „Prophet des Teufels“: Edgar Allan Poe. Cusack gelingt es bravourös, dessen permanent gespaltene Seele feurig wie fiebrig hervorzukitzeln. Und spannend aufzubröseln. Der Schriftsteller, der für seine „bösen“ Geschichten „Verantwortung“ übernehmen soll, übernehmen muss, übernimmt. Dessen Emotionen ihn zur Empathie befähigen. John Cusack („Bullets Over Broadway“, High Fidelity“; „Das Urteil“), wieder von seiner regelmäßigen deutschen Stimme Andreas Fröhlich bestens begleitet, zeigt, offenbart, schwarz-ironisiert sensible wie robuste Stimmungsschwankungen und ist hier in Neugier, Figuren-Dichte und Schmutz-Charme grandios charismatisch präsent. Prima „heftig“.
Gehobene Unterhaltung: „The Raven“ gehört derzeit zu den besten DVD-Spannungsangeboten in den Regalen.
Anbieter: „Universum Film“