„THE PURGE – DIE SÄUBERUNG“ von James DeMonaco (B + R; USA 2012; K: Jacques Jouffret; M: Nathan Whitehead; 85 Minuten; Start D: 13.06.2013; Heimkino-Veröffentlichung: 17.10.2013); ausgesprochen kluge amerikanische Genrefilme sind selten, dies ist ein solcher. Er wurde geschrieben und inszeniert von dem bislang weitgehend unbekannten, 1969 in Brooklyn/New York geborenen JAMES DeMONACO. Der mit Kurzfilmen begann und etliche Drehbücher zu auch bei uns bekannt gewordenen Spielfilmen wie „Verhandlungssache“ (1998) oder dem Remake „Das Ende – Anschlag bei Nacht“ (2005) schrieb. 2009 hatte der begeisterte Fan der „New York Yankees“ sein Kinospielfilmdebüt mit der schwarzen Krimi-Komödie „Staten Island“ (Mit-Produzent: Luc Besson), die hierzulande ohne Kinostart am 4.10.2010 gleich auf DVD (unter dem Titel „Staten Island, New York – Es gibt kein perfektes Verbrechen“) herauskam. Sein 2. Kinofilm „knallt“. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und erreicht eine Begeisterung wie sie beispielsweise einst John Carpenter mit seinem 1976er Reißer „Assault – Anschlag bei Nacht“ hervorrief. Von wegen Prädikat: Wild, wütend, hart. SEHR hart. Und dabei teuflisch gut.
Die USA im (Bald-)Jahr 2022. Es ist noch gar nicht so lange her, da stand das Land komplett vor dem totalen Ruin. In Sachen Verschuldung, Kriminalität, gesellschaftlicher Ohnmacht. Die Regierenden konnten nicht mehr „regieren“. Dies ist inzwischen Vergangenheit. Ein NEUES AMERIKA hat sich „entwickelt“. Eine Regierung, wie wir sie kennen, existiert nicht mehr. Stattdessen haben „DIE ERNEUERER“, die „New Founders of America“ (NFA), das Land übernommen. Als die „New Gründerväter“. Und ganz neue, aber wirkungsvolle Regeln eingeführt. Die Folgen: Anstatt andauernde soziale Unruhen = Vollbeschäftigung. Nur 1% Arbeitslose. Die Armutsrate hat sich dauerhaft auf unter 5% eingependelt. Und, vor allem: Die Kriminalitätsrate verläuft bei „höchstens“ einem Prozent. Eines der wirkungsvollsten Mittel für diese Geburt einer „Neuen Nation“ war – die Einführung der SÄUBERUNG. In jedem Jahr darf am 21./22. März, zwischen 19 Uhr abends und 7 Uhr morgens, „gehandelt“ werden. Ohne eine Strafe oder Strafverfolgung befürchten zu müssen. In diesen 12 Stunden darf der amerikanische Bürger „machen, was er will“. Darf sozusagen seine „böse Seite“ unkontrolliert „und engagiert“ herauslassen. Darf plündern, morden, vergewaltigen. Ganz wie er es mal „möchte“. Beliebt. „Alles“ bleibt straffrei. Die Polizei kommt Niemandem zu Hilfe. Alle Krankenhäuser werden geschlossen. Nur Regierungsbeamte dürfen nicht attackiert werden, und die Verwendung von „Klasse 4“-Waffen (atomare Waffen) ist nicht gestattet. Die NFA hat den 28. Verfassungszusatz durchgedrückt und ratifizieren lassen, um das Recht jedes Amerikaners auf „seine jährliche Säuberung“ festzuschreiben. In diesen dunklen 12 Stunden. Was im Fernsehen unter den üblichen Diskussions“verdächtigen“ zu viel Pro und Kontra führt. Die Einen nehmen erfreut zur Kenntnis, dass sich „dadurch“ das Land in einer „noch nie gekannten“ „tatsächlichen Freiheit und Ordnung“ befindet; die Anderen mokieren sich darüber, dass „dadurch“ ganz offensichtlich die Oberklasse sich der Unterschicht „entledigt“. Ganz offiziell. Genehm. Denn unter den alljährlichen vielen Säuberungsopfern befinden sich vor allem Arme, Schwarze. Alte. Menschen, die wir in Deutschland seit einigen Jahren als „Prekariat“ titulieren. Doch die breite Mehrheit der US-Bevölkerung ist von diesem Reglement angetan. Begeistert. Die Zustimmungsquoten sind gigantisch. Und „man“ freut sich schon auf den nächsten 21. März. Wenn es wieder „offiziell“ „los geht“ Los gehen darf.
21. März 2022. James Sandin (ETHAN HAWKE) kommt zufrieden nach Hause. Als Sicherheitsexperte und Hochkaräter von Sicherheitsentwickler hat er beste Abschlüsse getätigt, auch und vor allem in der Nachbarschaft, und darf mit einem riesigen Bonus rechnen. Natürlich hat er auch seine Luxus-Hütte bestens gesichert. Abgesichert. Schließlich soll SEINER Familie, bestehend aus Ehefrau Mary (LENA HEADEY) und den halbwüchsigen Kindern Charlie und Zoey, nichts passieren. In dieser Nacht. Und eigentlich kann dies auch gar nicht geschehen. Glaubt er. Felsenfest. Man wird „die erlebnisreichen Dinge“ „draußen“ über Monitore verfolgen. Und es sich ansonsten „bequem“ machen. Gemütlich. Im total abgeschotteten Haus.12 Stunden sind ja nicht die Welt, gehen ziemlich schnell vorüber. Doch dann hat sich der Lover seiner Tochter ins Haus eingeschlichen. Und sein Sohn Charlie hat Mitleid mit einem verletzten Schwarzen, der „draußen“ von einer Meute gejagt wird, und lässt ihn kurzerhand ´rein. Ins Heim. Hat Mitleid. Was der weißen Jäger-Gang vor dem Haus so gar nicht gefällt. Sie besteht auf Auslieferung. Auf die Ausübung der „legalen Säuberung“. Falls der Schwarze nicht herausgegeben werde, würde man hineinkommen. Und ihn holen. Und dabei natürlich dann auch die Familie selbst attackieren. Weil sie das allgemein gültige Recht auf Säuberung behindert habe. Der smarte anonyme Anführer (grandios satanisch: RHYS WAKEFIELD) gibt sich lächelnd selbstbewusst. Lasziv böse. Während die Familie Sandin plötzlich unter erheblichem Druck steht. Wie soll man sich verhalten? Für James Sandin ist klar, dass man schnell wieder zu Ruhe und Ordnung gelangen muss, also will er den „Eindringling“ schnell aus dem Haus haben. Will ihn „denen“ übergeben. Doch der Rest der Familie ist voller moralischer Zweifel. Der Kampf kann also beginnen. Gedanklich wie handfest. In der Festung der Familie Sandin. Was im übrigen dann auch ihre Nachbarn auf den mörderischen Plan ruft, denn denen ist der fette Gewinn, den der Sicherheitsexperte James gerade wieder mal eingefahren hat, ein neidisches Dorn im Auge. Da kommt der „Säuberungstag“ gerade Recht. Um „patriotische“ Rechnungen „richtig“ zu begleichen.
„Amerika wiederum kämpft mit unvorstellbaren 16,7 Billionen Dollar Staatsverschuldung, die Zahl macht selbst Europas Schuldenberge zu Hügeln“, heißt es in dieser Woche in einer USA-Titelgeschichte im „SPIEGEL“ (Nr.24 / 10.6.13). Und natürlich stellt sich hier gedanklich hier die fortlaufende Dauerfrage: Was wäre wenn…dieses Szenario Wirklichkeit werden könnte? Wenn es eine „solche“ USA-Welt tatsächlich demnächst einmal geben würde? Das fiktionale Kino von Hollywood war ja schon oft die verrückte Vision und reale Version von morgen?!? Oder ist eine „Purge – Säuberung“ doch nur vollends Blödsinn? Geradezu unvorstellbar? Wirklich? Hoffentlich.
Natürlich laufen diese Gedanken brillant parallel. Zu einer vergleichsweise ziemlich „unartigen“ Western-Thriller-Show. Mit einigem Hackebeil-Charme. Denn Gewalt, ob „genehmigt“ oder verboten, ist hart. Blutig. Obszön. Gemein. Widerlich. Der Film zeigt dies mit aller Konsequenz. Als gleichzeitige faszinierende, abschreckende Parabel. Auf „Politik“ und eine mögliche „saubere“ neue irdische Gesellschaft von morgen. Das Erschreckende: Bis zum März 2022 sind es schließlich nur noch knappe neun Jahre. Hin.
Die Schauspieler sind vorzügliche Begleiter und Akteure dieser unglaublichen wie originellen Spinnerei. Mit den vielen viehischen Gedanken. Machen ihre Ensemblesache überzeugend.
Über diesen exzellenten Spannungsfilm „The Purge – Die Säuberung“ wird man hinterher viel sprechen. Müssen. Und nach-denken. Als Meilenstein in der grausamen, faszinierenden politischen US-Kino-Unterhaltung (= 4 ½ PÖNIs).