1.) ARTE-FILMPREMIERE: „I DANCE, BUT MY HEART IS CRYING“. Vor dem Zweiten Weltkrieg floriert im nationalsozialistischen Berlin die jüdischen Musikszene mit großen Plattenfirmen und internationalen Künstlern. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde diese Musiksammlung komplett zerstört und galt seitdem als für immer verloren. Das Wunder der Wiederentdeckung dieser musikalischen Schätze über 70 Jahre später bildet das Herzstück des ARTE-Films „I DANCE, BUT MY HEART IS CRYING“. Der Regisseur CHRISTOPH WEINERT erzählt die Geschichte der beiden Plattenlabels „Semer“ und Lukraphon“. Nach 1933 wurden sie zu einem Zufluchtsort für jüdische Musiker und Kabarettisten, denen die Auftrittsmöglichkeiten in Deutschland genommen wurden. Ihre Musik zeugt von der jüdischen Identität und dem Widerstand gegen das NS-Regime. Mit den aus den entlegensten Winkeln der Welt in akribischer Kleinarbeit zusammengetragenen Schellackplatten und der von einem internationalen Musikensemble neu arrangierten Musik nähert sich der Film der fast unglaublichen Geschichte der beiden Berliner Plattenlabels, dem tragischen Schicksal ihrer jüdischen Interpreten und der Wiederauferstehung einer Musik, die bis heute nicht an Aktualität und Brisanz verloren hat.
Zur Premiere des 90minütigen Films vor dem Kinostart im Juni dieses Jahres laden ARTE und Claims Conference herzlich ein: MITTWOCH, 10. April 2024, 19 Uhr; BABYLON KINO, Rosa-Luxemburg-Straße 30, 10178 Berlin. Der Eintritt ist frei.
2.) TUT RICHTIG LISTIG GUT. Titel = „KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE“ von Thea Sharrock (GB 2022; B: Johnny Sweet; basierend auf einer wahren Begebenheit; die „Littlehampton Letters“ erregten im Jahr 1920 die Öffentlichkeit und waren Gegenstand einer Debatte im britischen Unterhaus; K: Ben Davis; M: Isobel Waller-Bridge; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.03.2024). Der Vorspann warnt: „Diese Geschichte ist wahrer, als man meinen würde“.
Wenn ein Film so nachhallt wie dieser, darf man sich freuen. Und gerne öfters erinnern. Dem Produzenten Graham Broadbent (von Blueprint) erging es ähnlich. Broadbent begegnete dem Drehbuch offensiv, als es sagte, dass bei der Suche nach wahren Geschichten für Filme „die Wahrheit stets seltsamer ist als Fiktion“. Um fortzufahren: „Wenn jemand in einen Raum käme und sagte, ich habe eine tolle Idee für einen Film über zwei Frauen, sie sind Nachbarinnen , die sich bekriegen, aber sie waren einmal beste Freundinnen, und es geht außerdem um garstige Schmähbriefe und es spielt alles in einer kleinen Gemeinde‘, dann würde man wohl eher mit Achselzucken reagieren. Aber wenn man weiß, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt und sich ein bisschen mit der Angelegenheit beschäftigt und entdeckt, wie extrem die Geschehnisse sind und wie verrückt sich alles entwickelt hat, dann hat man eine Grundlage für die Geschichte, die sich authentisch anfühlt – oder kurz gesagt: tolle Unterhaltung“.
Die lebhafte Rose Gooding (JESSIE BUCKLEY) hat wenig mit der frommen Edith Swan (OLIVIA COLMAN) gemeinsam außer dass sie Nachbarinnen in der englischen Küstenstadt Littlehampton in den 1920er Jahren sind. Doch eines Tages erhalten Edith und andere in der Stadt anstößige Briefe, gespickt mit mit gemeinen Beschuldigungen in unflätig-ekliger Sprache, und der Verdacht fällt sofort auf Rose. Die Polizei ermittelt, und Rose droht sogar, das Sorgerecht für ihre Tochter zu verlieren. Während die skandalösen, säuischen Briefe weiterhin in der Stadt auftauchen, ahnt nur die junge Polizistin Gladys Moss (ANJANA VASAN), dass etwas nicht stimmt. Zusammen mit einer Gruppe einfallsreicher Frauen versucht Gladys, das Geheimnis zu lüften. Und kriegt es mit der herrschsüchtigen regionalen Männerdomäne zu tun, die auf ihr Vorrecht bestehen, dass Männer alles besser wüssten, was zu tun ist.
Die Hauptrollen „an der Rampe“ werden durch zwei überragende Frauen dargeboten: „Oscar“-Preisträgerin OLIVIA COLMAN („The Favourite – Intrigen und Irrsinn“) und JESSIE BUCKLEY („Oscar-nominiert /2022/“Frau im Dunkeln“). Während als biestiger, ständig ausrastender Edith-Vater Edward der wunderbare TIMOTHY SPALL („Mr. Turner – Meister des Lichts“) kaum seine (Rollen-)Kontrolle als Familien-Chef zu beherrschen weiß. Wunderbar.
„Kleine schmutzige Briefe“ ist ein unerhört faszinierender, mit dann kriminalistischem Wut-Charme ausgestatteter Luxus-Streifen, bei dem es vor allem auch auf die – siehe Titel – tatsächlich schmutzigen „Drecks“-Worte ankommt. Was JESSIE BUCKLEY angemessen zu werten weiß: „Die Sprache funktioniert tatsächlich wie eine eigene Figur. Die Leidenschaft hinter dem, was und wie man es sagt, kann eine ungebundene, losgelöste Qualität haben. Beim Dreh hatten wir viel Spaß mit den vielen unflätigen Sprüchen. ES GIBT NICHTS BESSERES ALS EINEN GUTEN FLUCH: Man wusste immer, dass man einen Volltreffer gelandet hatte, wenn sich die ganze Crew nach einem Spruch den Bauch vor Lachen halten musste“.
Als dann – Höflichkeit wird bekanntlich überbewertet; ein ebenso großes Vergnügen … wünsche ich den Herrschaften … im Kino und dann auch zünftig außerhalb (= 4 1/2 PÖNIs).
3.) UNBEDINGT ANSEHEN. WIRKEN LASSEN. AKTUELL SPÜREN. Titel = „ONE LIFE“ von James Hawes (GB 2022; B: Lucinda Coxon; Nick Drake; das Drehbuch basiert auf einer Biografie der Nicholas Winton-Tochter Barbara über ihren Vater; K: Zac Nicholson; M: Volker Bertelmann; 113 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.03.2024). Der Titel des Films bezieht sich auf das hebräische Sprichwort „WER EIN LEBEN RETTET, RETTET DIE GANZE WELT“. (Zitat aus dem Talmud). Im Abspann sieht man den echten Nicholas Winton, der von Königin Elisabeth II. für seine Verdienste um die Menschlichkeit zum Ritter geschlagen wird.
„Wenn etwas nicht unmöglich ist, dann muss es einen Weg geben!“. Mit dieser Lebenseinstellung schrieb Sir Nicholas ‚Nicky‘ Winton Geschichte, als er in einem Wettlauf gegen die Zeit kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 669 überwiegend jüdische Kinder vor den Nazis rettete. Dezember 1938. Der junge Londoner Börsenmakler Nicholas Winton (JOHNNY FLYNN) erfährt über seinen Freund von den entsetzlichen Zuständen in tschechischen Flüchtlingslagern. Kurzentschlossen fährt er nach Prag und erlebt aus erster Hand, wie jüdische Familien auf der Flucht vor Verfolgung ohne Obdach und Nahrung ihrem Schicksal ausgeliefert sind. Bestürzt entwickelt er einen waghalsigen Plan. So beginnt, mit Unterstützung seiner tatkräftigen Mutter (HELENA BONHAM CARTER), in London und einer Hilfsorganisation von Ort eine beispiellose Rettungsaktion. Immer bedroht von der nahenden Invasion der Faschisten.
London 1988. Noch Jahrzehnte später wird Winton vom Schicksal der Kinder verfolgt, die er nicht retten konnte. Erst als die BBC-Fernsehshow „That’s Life“ die überlebenden „Winton-Kinder“ ausfindig macht und diese unglaubliche Geschichte ans Licht bringt, vermag er sich seinem Kummer und den Schuldgefühlen zu stellen, die er so lange mit sich herumgetragen hat.
Basierend auf wahren Erlebnissen gelingt dem britischen Regisseurs James Hawes mit „ONE LIFE“ ein bewegendes Porträt eines außerordentlich couragierten Mannes, der gegen alle Widrigkeiten und mit unerschütterlicher humanitärer Kraft das unmögliche möglich zu machen versucht. Dabei vereint dieser Film ein brillantes Schauspielerensemble, das den Film zu einem berührenden Zeitzeugnis werden lässt wie zum Beispiel – durch den zweifachen „Oscar“-Preisträger Sir Anthony Hopkins (1992 /“Das Schweigen der Lämmer“; 2021 /The Father“) als Nicholas Winton, der 2002 zum Ritter geschlagen und 2015 im Alter von 106 Jahren gestorben ist; und der vielen als „britischer Schindler“ gilt; eine Bezeichnung, die er selbst nicht gemocht hat. Glaubt man seiner wundervoll zurückhaltenden, warmherzigen Darstellung von Anthony Hopkins, muss er ein Mensch gewesen sein, der selbst nie einen Wirbel um seine Person und seinen Taten gemacht hat, wobei er dazu jedes Recht gehabt hätte.
Ich sah den Film zusammen mit Publikum, und am Ende war totale Ruhe im gutgefüllten Kino-Saal. Nachspann-Minutenlang. Die Betroffenheit war immens. Zu spüren. „ONE LIFE“ hält sich international seit Wochen in den Kinocharts, etwa in Großbritannien, Italien, den Niederlanden bis nach Australien und Neuseeland; und allein in Frankreich sahen am ersten Wochenende mehr als 355.000 Besucher diese bewegende Geschichte über einen herausragenden Menschen.
Die KINO-Besuch- Nachahmung wird unbedingt empfohlen (= 4 1/2 PÖNIs).
4.) FUCK JU CHANTAL. Titel = „CHANTAL IM MÄRCHENLAND“ von BORA DAGTEKIN (B + R; D 2022; K: Christian Rein; M: Eímear Noone; 123 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.03.2024). Dreimal waren SIE, die schulischen Kanonen, im Erfolgsland. Bei den Kinohits „Fack Ju Göhte“ (2013 /s. Kino-KRITIK /3 1/2 PÖNIs); „Fack Ju Göhte 2“ (2015 /s. Kino-KRITIK /3 PÖNIs); „Fack Ju Göhte 3“ (2017 /s. Kino-KRITIK /2 PÖNIs). Mit Millionen-Besuchern. Kompliment.
Zwei Ausgaben lustig, zuletzt, bei Teil 3, heißt es in meiner – gutgemeinten – Kritik am Schluss: „Lassen wir es gut sein“. Klappt aber nicht. Funktioniert eher mäßig. Tun SIE aber nicht. Folge 4 stellt die Rollen-prollige JELLA HAASE als CHANTAL in den Aktionskanal. Inzwischen zum vielen mögen aufgestiegen und mit beziehungsweise bei Leinwand- und Bühnen-Aktivitäten gerne besucht. Gesehen. Allerdings aktuell – nur mehr oder eher weniger. Denn – der neue Film ist zu lang und viel zu bräsig. Düst lange Zeit in „Märchen umgekehrt“ herum, um dann in der letzten halben Stunde auf chaotische Komödien-Vollkultur provozierend zu schalten. Motto: Was passiert temporeich-unanständig, wenn sich die populäre Ex-Schülerin Chantalle (= ist komisch?) – mit Freundin Zeynep (GIZEM EMRE) und Bekannten (wie Max von der Groeben; Nora Tschirner; Frederick Lau) auf der Rückseite des Märchen-Anstands aufhält. Um dort Rabatz zu veranstalten. Mit Sprache, bei der es schwierig ist, sie komplett zu verstehen. Und mit Gag-Darbietungen, bei denen ’ne ganze Menge Luft-Trägheit pustet.
Lese beim Pressezettel: Unsere Bitch oder: „Chanti is bäck – im wahrscheinlich geilsten Märchen ever! Chantal, ewige Influencerin ohne Follower, und ihre beste Freundin Zeynep geraten durch einen antiken Zauberspiegel, den sie für ein Social Media Gimmick halten, in die Märchenwelt“. Und dann geht ab die Post. Nach Dornröschen. Wo „Wachküssen nur auf eigene Gefahr!“ stattfindet. Aha. Und: Was wohl kann ich hier mit einem fliegenden Teppich anstellen?
Fazit: (Viel) zu lang; ziemlich zu lahm, und mit zu viel Hammer-Humor belegt. Bei Feen und Hexen. Und bei der goldenen Chantal-Halskette, die mit dem Wort „Fotze“ wirbt. Zum Beispiel. Die spöttischen Effekte dagegen toben bunt herum. Und signalisieren – dieser schwache Film stänkert meistens nur plumpig (= 1 1/2 PÖNIs).
5.) TV-TIPP: Éric Toledano und Olivier Nakache schufen 2011 mit „Ziemlich beste Freunde“ ein französisches Hit-Movie! 2019 folgte von ihnen die französisch-belgische Co-Produktion „Alles außer gewöhnlich“ – mit u.a. VINCENT CASSEL besetzt – und bekam viel Lob. Motto: Ein unterhaltsames Plädoyer für Humanität und Menschlichkeit, das (sehr) lange nachhallt. Bei 3sat läuft er heute, SAMSTAG, 30.3., ab 23.10 Uhr; mit Kritik-Vorlauf (s. Kino-KRITIK /4 1/2 PÖNIs). Am nächsten DONNERSTAG, 4.4., präsentiert ARTE am Nachmittag, ab 14.15 Uhr, den französischen Film „PASSAGIERE DER NACHT“ aus dem Jahr 2023, mit Charlotte Gainsbourg, der beim Kino-Start verblüffte und in meiner Kritik mit dem Wort „ein Filmschatz“ verabschiedet wurde (s. Kino-KRITIK /4 1/2 PÖNIs).
6.) Der Streifen wird am Montag, 1. April ab 20.15 Uhr sowie am Dienstag, 2.4., ab 22.15. auf VOX gezeigt. NEIN. Kein TV-TIPP. Vermag auch heute wenig mit dem Publikumslieblingsfilm „DIRTY DANCING“ von 1987 anzufangen. Warum nicht, habe ich Anno-Dunne-Mal über meine RIAS 2-Sendung „Film aktuell“ zu erklären versucht; und dabei bleibt’s.
Bitte AUF GAR KEINEN FALL anklicken:
https://youtube.com/shorts/GUIXJBeriIo?si=cUNpmkBpjNj9gA6G
7.) MUSIK: Es war ein Abkommen. im Jahr 1957. Zwischen meiner Mutter, Platzanweiserin im „Kant-Kino“, und mir. Wenn Du (= also Ich) zum kirchlichen Kindergottesdienst gehst, darfst Du (also Icke) anschließend ins Kino gehen. Um dir den deutschen Heimatfilm „DIE GROSSE CHANCE“ anzusehen. Dies habe ich nie vergessen, weil dieser bunte Schrott-Streifen der allererste Film war, in dem – immerhin – FREDDY QUINN – als Freddy Quinn auftrat und seinen ersten Musikfilm bespielte. Sein Song lautete: „EINMAL IN TAMPICO“. Was für ein tolles Geträller. Bei dem übrigens auch WALTER GILLER als Freddy-Kumpel Walter Geber mitspielte. Für mich gilt aktuell die wöchentliche Hit-Belebung von damals:
Eiderdaus. Bedeutet: An diesem OSTER-MONTAG (1.4.) will uns die ARD mit einem neuen BREMEN-„TATORT“ ab 20.15 Uhr erfreuen. Dabei waren bisher die norddeutschen Krimis von dort ziemlich „nicht so doll“. Um es höflich zu melden. Der Titel übrigens lautet: „ANGST IM DUNKELN“. Nach der Krimi-Ausstrahlung folgt die TV-KRITIK. Am Montag! Auf den bekannten Kanälen. Na dann Bremen, strengt Euch mal an.
Beste OSTER-Grüße aus der netten Hauptstadt
PÖNI Pönack