1.) LEBENDIGE GEFÜHLE. Titel = „THE QUIET GIRL“ von Colm Bairéad (B + R; basierend auf der Kurzgeschichte „Foster“ von Claire Keegan/2010; Irland 2020; K: Kate McCullough; M: Stephen Rennicks; 96 Minuten; deutscher Kino-Start: 16.11.2023). Was für ein wunderbarer stiller Genuss von Spielfilm, der als Beitrag von Irland für die „Oscar“-Verleihung 2023 eingereicht wurde. Nennen wir es sogleich beim Namen – wenn SIE in diesem Kinojahr UNBEDINGT einen Film sehen sollten, dann zählt dieser UNBEDINGT mit-dazu. Auch, weil sie unbedingt das Filmdebüt der irischen Kinderdarstellerin CATHERINE CLINCH in dem Titelpart als Cáit erleben, also genießen dürfen. IHR zu begegnen, tut so gut. Ist ein immenser wie dezenter Seelenschmaus.
Denn: Selten waren Empfindungen so nah, so dicht, so sagenhaft-unaufdringlich-berührend-nachvollziehbar.
Im ländlichen Irland im Jahr 1981. Die 9-jährige Cáit wird zu entfernten Verwandten aufs Land gebracht. Zuhause bleiben ihre drei Schwestern zurück sowie der Rüpel von Vater und ihre Mutter, die schon wieder schwanger ist. Das schweigsame Mädchen soll hier den Sommer verbringen, ohne ihrem Elternhaus zur Last zu fallen. Nur mit den Kleidern, die sie auf dem Leib trägt, zieht Cáit in das gepflegte Landhaus ein, zu dem eine Allee mit üppig-grünen Bäumen und Pflanzen führt. Wann und ob sie wieder nach Hause zurückkehren wird, weiß sie nicht. Seán und Eibhlin Cinnsealach (ANDREW BENNETT und CARRIE CROWLEY) sind hart arbeitende Farmer, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben. Tante Eibhlin kümmert sich behutsam und liebevoll um Cáit, gibt ihr Geborgenheit und Nähe. Zu Onkel Seán ist das Verhältnis distanziert, bis auch er sich dem ruhigen Kind langsam öffnet. In der Obhut ihrer Pflegefamilie blüht Cáit langsam auf und entdeckt ein ganz neues Leben. Doch auch in diesem – friedlichen – Haus, wo es so etwas wie Liebe geben könnte, herrscht eine Stille, die sich vom leisen, aber dauernden Schmerz seiner Bewohner ernährt. Inmitten dieser kargen, schönen irischen Landschaft liegt ein Geheimnis verborgen, auf dessen Spuren sich Cáit mit neu gewonnenem Mut und Vertrauen begibt.
„THE QUIET GIRL“ ist eine stille Sensation im Kinojahr. Der erste irische Film, der für einen „Oscar“ nominiert wurde, ist eine sanfte und zutiefst hoffnungsvolle Erzählung über Menschen, die versuchen Schmerz und Einsamkeit hinter sich zu lassen. In zutiefst beeindruckenden Leinwandbildern, die von leuchtenden Farben gesättigt sind, erzählt dieser völlig unaufdringliche und dabei auch so zu spürende Film davon, wie Liebe und Geborgenheit einen gemeinsamen Raum der Sprachlosigkeit entstehen lassen. „VIELE LEUTE VERPASSEN DIE CHANCE, NICHTS ZU SAGEN“, benennt, beschreibt Seán einmal die Gefühlslage.
„THE QUIET GIRL“ ist ein starker und intensiver Film der Bilder, der jene Menschlichkeit sucht, die sich jenseits von Worten entfaltet. Ist ein kinematografisches Wunderstück, das mit ruhigen Blicken und leisen Gesten sehr viel mehr nahezubringen weiß als über zahlreiches Wort-Geschnatter. Die unbedingte Kino-Empfehlung gilt – „THE QUIET GIRL“ passt vorzüglich in diese emotionale Jahreszeit (= 5 PÖNIs).
2.) „Ja“, sagt STEPHEN KING zu dem Film. Titel = „THE LESSON“ von Alice Troughton (GB/D 2022; B: Alex MacKeith; K: Anna Patarakina; M: Isobel Waller-Bridge; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.10.2023). Dieser Regie-Debütfilm der Britin Alice Troughton entpuppt/entwickelt sich zu einem formidablen Kammerspiel-Thriller.
Als frischgebackener Absolvent der englischen Literaturwissenschaft nimmt Liam Sommers (DARYL McCORMACK) eine Stelle als Hauslehrer für Bertie Sinclair (STEPHEN McMILLAN) an, den verwöhnten mürrischen Sohn seines literarischen Idols, des Star-Autors J.M. Sinclair (begnadet-wüst: RICHARD E. GRANT). Um Bertie bestmöglich für seine Aufnahmeprüfung vorbereiten zu können, zieht Liam kurzerhand auf den mondänen Landsitz der Sinclairs. Wenn er nicht gerade den wenig motivierten Bertie unterrichtet, kann er an seinem eigenen ersten Roman arbeiten. Zudem hofft Liam, den zunehmend zurückgezogenen lebenden Sinclair als Mentor für sich selbst gewinnen zu können. Doch schon bald merkt Liam, dass er in ein engmaschiges Netz aus Familiengeheimnissen und Vergeltung verstrickt ist. Sinclair, seine Frau, die geheimnisvolle Kunstkuratorin Hélène (JULIE DELPY) und ihr Sohn haben eine dunkle Vergangenheit, die Liams Zukunft ebenso bedroht wie ihre eigene. Während die Grenzen zwischen Mentor und Schützling verschwimmen werden Klasse, Ehrgeiz und Verrat in diesem spannenden, sehr atmosphärischen Noir-Thriller zu einer unsauberen, gefährlichen Kombination.
Die Werbung schielte nach STEPHEN KING, der da wertete: „Kalt, intelligent und spannend. Hervorragende Schauspieler und eine gut getimte Wendung am Ende. Der perfekte Thriller für einen heißen Sommertag oder -abend“ (Bestseller-Autor Stephen King auf Twitter.com, während „THE TIMES“ notierte: „Richard E. Grant ist großartig als hochmütiger und verschlagener britischer Autor“). Meine ich auch! (= 4 PÖNIs).
3.) FINCHERS FEST. Als Krimi-Menü. Titel = „THE KILLER“ von DAVID FINCHER (USA 2021/2022; B: Andrew Kevin Walker; der Film basiert auf der gleichnamigen Comic-Serie von Texter Matz = Alexis Nolent = und Zeichner Luc Jacomon; K: Erik Messerschmidt; M: Trent Reznor; Atticus Ross; 119 Minuten; deutscher Kino-Start: 26.10.2023; deutscher HEIMKINO-Netflix-Start: 10.11.2023). DAVID FINCHER. Ich mag IHN. Meistens. Schließlich verbinde ich mit IHM tolle Filme. Wie „Sieben“ (1995); „Fight Club“ (1999); „Panic Room“ (2002): „Zodiac – Die Spur des Killers“ (2007/s. Kino-KRITIK /3 PÖNIs); „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ (2009/s. Kino-KRITIK /5 PÖNIs); „The Social Network“ /2010/s. Kino-KRITIK /4 1/2 PÖNIs); „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ (2014/s. Kino-KRITIK /4 PÖNIs); „MANK“ (2020/s. Heimkino-KRITIK /5 PÖNIs). David Fincher wurde mehrmals mit Preisen ausgezeichnet und über 100-mal nominiert. Dreimal war er für den „Oscar“ nominiert.
Sein aktueller Film ist ein exzellenter Kammerspiel-Thriller. Handelt von einem namenlosen amerikanischen Auftragskiller. Dessen Lebens- und „Berufs“-Philosophie er uns diverse Male „interessant“ wie präzise erläutert. In sardonischen Off-Kommentaren sinniert er über die Unterschiede zwischen Skeptizismus und und Zynismus und den angeborenen Mangel an Güte in der Menschheit. Währenddessen er dann erstmals „patzt“. Beruflich. Und viele Umweg-Wege benutzen muss, um halbwegs aus dem Für-Ihn-Nun-„Schlamassel“ zu entkommen. Dabei „trennt“ er sich, ungern, aber deutlich, von seinen eisernen Regeln, die besagen, dass Jobs niemals persönlich einwirken dürfen. Ganz im Gegenteil, lautet nun sein existentielles Motto.
Der Film ist in sechs Kapitel unterteilt, die jeweils an einem neuen Schauplatz spielen nach dem sie benannt sind, gefolgt von einem Epilog. Und: Schließlich taucht auch TILDA SWINTON auf, als „The Expert“, und zahlt für ihr „unbeherrschtes Benehmen“.
Ach so ja – DIE einzige wirkliche Actionszene des Films, in der es zu einer Schlägerei zwischen dem Killer und dem von dem Neuseeländer SALA BAKER gespielten Typ Brute kommt, wurde von dem Stunt-Experten DAVE MACOMBER populär choreografiert.
DER STAR in diesem coolen Streifen aber ist ER, MICHAEL FASSBENDER, geboren am 2. April 1977 in Heidelberg, Baden-Württemberg als Sohn eines deutschen Vaters und einer irischen Mutter. Wie ein deutscher Tourist gekleidet und einem Fischerhut auf dem Kopf, der sein Gesicht verdeckt, ist ER nach Paris gereist, um „ordnungsgemäß“ einen Job zu erledigen. ER bezieht in einem angemieteten Loft/WeWork-Büroraum im Obergeschoss eines Gebäudes Stellung und nimmt ein Fenster in dem gegenüberliegenden Fünf-Sterne-Hotel ins Visier. Wartet darauf, dass der Mann, mit dessen Tötung er engagiert wurde, in seiner Suite auftaucht, um ihn mit seinem Präzisionsgewehr eine Kugel in den Kopf zu jagen. Wie stets verbringt er die Zeit des Wartens mit Yoga.
Mit seiner ganz und gar kühlen, rationalen Figur erinnert der namenlose Killer an Figuren aus dem früheren französischen Gangsterfilmmilieu, die – so unvergessen und einzigartig – von Stars wie Alain Delon („Der eiskalte Engel“) oder Lino Ventura („Der zweite Atem“) faszinierend-cool gespielt wurden. Fassbender schließt sich ihnen heute an. ER ist konsequent stocksteif, besessen professionell und mit inneren = „selbstverständlichen“ Monologen gefüllt. Bereit, sie uns zu erklären. Ursprünglich sollte Brad Pitt, einer der Hauptakteure von „Sieben“, auch hier die Titelrolle übernehmen. Doch nach dem Herstellungswechsel zu Netflix wurde Pitt durch den deutsch-irischen Akteur Michael Fassbender ersetzt. Auf dass wir uns an einen kommenden Superstar in der Vorentwicklung zu gewöhnen beginnen. Mit Sätzen wie – „Mir ist alles Scheiß egal“. / „Untersage dir Empathie. Empathie ist Schwäche“. / Na gut (= 4 PÖNIs).
4.) HEIMKINO-CAGE mit B-WUT-CHARME. Titel = „SYMPATHY FOR THE DEVIL“ von Yual Adler (Co-Produzent + R; USA 2022; B: Luke Paradise; K: Steven Holleran; Co-Produzent: NICOLAS CAGE; M: Ishai Adar; 90 Minuten; deutscher HEIMKINO-DCM-Start: 09.11.2023). Ich mag den Kerl. Obwohl ER ja andauernd „flotten Film-Müll“ abliefert. Jedenfalls seit vielen Jahren. „Vorher“ war er bekannt, populär, geschätzt geworden durch seinen „Oscar“-Part in „Leaving Las Vegas“ (1996). Die Filme „The Rock – Fels der Entscheidung“; „Con Air“; „Face/Off – Im Körper des Feindes“ sowie „Nur noch 60 Sekunden“ bescherten ihm in der Folgejahren vier seiner größten Kinokassen-Erfolge. Ab den 2010er Jahren spielte Cage vermehrt in Filmen mit, die keine oder nur eine eingeschränkte Kinoauswertung erfuhren oder direkt beim Video-Markt ausgewertet wurden. Im November 2021 allerdings wurde auch die kritische Filmwelt auf ihn wieder einmal neugierig mit dem herausragenden Movie „PIG“ (s. Kino-KRITIK /5 PÖNIs).
Hier nun startet ER mal wieder voll durch. Mimt einen aggressiven Rächer. DER einfach bei einem Normalbürger ins Auto einsteigt, um…, ja um was? Von wegen, was ist überhaupt los? Denn jener Fahrer, David (JOEL KINNAMAN), beabsichtigt eigentlich nur ins Krankenhaus zu fahren, wo seine schwangere Frau ihr Kind bekommt. Doch der Fahrgast signalisiert mit seiner Waffe, dass ER ab sofort die Fahrrichtung bestimmt. Warum – weshalb – wieso … und was ist eigentlich hier wirklich los? Nur: Fragen und keine richtigen Antworten. Ab sofort schwitzt die Tonspur. Zudem: Der B-Streich ist blutig angestrichen. Mit einem eklig-bunten sadistischen Draufgänger. Namens NICOLAS CAGE. In einem heimischen Spätabend-Knaller. Wo er die meiste Zeit das Sagen, das Bestimmen hat. Und das Erzählen. Mal als Geschrei, mal züchtiger. Ach so ja, die roten Klamotten und die rötlichen Haare vom Typ B fallen auch auf. Das reicht (= 3 PÖNIs).
5.) MENSCHLICHE TIERE. Titel = „KRÄHEN – DIE NATUR BEOBACHTET UNS“ von Martin Schilt (B + R; Schweiz/Österreich 2022; K: Attila Boa; M: Peter Scherer; Schnitt; Marina Wernli; Erzählt von: ELKE HEIDENREICH; 89 Minuten; deutscher Kino-Start: 16.11.2023). Krähen und Raben begleiten und beobachten uns seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte. Sie haben unsere ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen und unsere ersten artikulierten Laute gehört. Sie haben mit uns neue Kontinente erobert und all unsere Kriege und Schlachten erlebt. Sie feien mit uns Hochzeiten, ernähren sich von den Überresten romantischer Picknicks und wilder Partys und machen sich auf den Müllhalden der Megacities oder als Begleiter der Müllabfuhr über unseren Abfall her. Krähen und Raben folgen uns, weil wir die besten Jäger, die grausamsten Krieger, die größten Ausbeuter, die verschwenderischsten Konsumenten sind. In unserer Nähe gibt es immer genug zu fressen. Fast überall, wo Menschen leben, gibt auch Rabenvögel.
Und es werden immer mehr! Gut so. (= 4 PÖNIs).
6.) TV-TIPP = Heute am Samstag-Abend (18.11.) läuft im RBB ab 23.30 Uhr ein kultiger französischer Klassiker. Von 1980. Titel: „D I V A“. Von Jean-Jacques Beineix (B + R). Ich erinnere mich noch, wie er Uns-Damals aufscheuchte. Begeisterte. Ein junger Postbote schneidet heimlich das Konzert einer von ihm bewunderten Opernsängerin mit und gerät in tödliche Gefahr, als das Band mit einem zweiten verwechselt wird, das einen mächtigen Gangsterboss belastet. „Mit märchenhaften Zügen gestalteter Kriminalfilm; er verdichtet klassische Genre-Elemente mit mythisch-surrealen Motiven zu einer witzigen und einfallsreichen Persiflage auf die Extravaganzen der Konsumgesellschaft und die Ästhetik ihrer Werbung“ (Lexikon des Internationalen Films). Unvergesslich: WILHELMINA WIGGINS-FERNANDEZ als Sopranistin Cynthia. (= 5 PÖNIs).
7.) MUSIK: Thomas Earl „Tom“ Petty (1950 – 2017) mochte ich. Hörte ihn gerne. Er war ein US-amerikanischer Musiker, der zunächst mit seiner Band TOM PETTY & the HEARTBREAKERS und später auch als Solokünstler erfolgreich war. 1991 entstand „LEARNING TO FLY“, das Lied von Jeff Lynne und Tom Petty, das heuer mein Lieblingssong der Woche ist:
Hey Tom Petty – gute Grüße in Dein-Land
PÖNI Pönack