0.) Das passiert. Oft. Man startet ins Leben, vermag aber nicht eigenmächtig zu entscheiden, wie DIES, nämlich DAS LEBEN, gestaltet werden soll. Heißt – das SYSTEM Leben packt einen an und drückt einen in vorgegebene Positionen. Rollen. Von denen man im Verlauf der Lebensjahre nicht loskommt. An denen, in denen man – festhängt. Weil: Zum Beispiel finanzielle Absicherung wichtiger, bedeutsamer, erscheint als etwa Spaß durch die eigene Phantasie in Bewegung zu bringen. Risiken einzugehen bedeutet, mit Ängsten umzugehen. Mut ins eigene Leben zu befördern. Diesen dort mit-einzubinden. Da bleibe ich doch lieber täglich – ABGESICHERT – am Bürotisch sitzen. Kennen (zu) viele. Davon handelt, erzählt, einer der – garantiert – wunderbarsten britischen Kinofilme in diesem Jahr. Nämlich:
1.) BEAMTETES LEBEN. Titel = „LIVING – EINMAL WIRKLICH LEBEN“ von Oliver Hermanus (GB 2021; B: Kazuo Ishiguro; K: Jamie Ramsay; M: Emilie Levienaise-Farrouch; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 18.05.2023). Zur Filmgeschichte. Am Anfang steht die Leo Tolstoi-Novelle „DER TOD DES IWAN ILJITSCH“, geschrieben 1886. 1952 folgte der japanische Film „IKIRU – EINMAL WIRKLICH LEBEN“, ein sozialkritisches Schwarzweißdrama von AKIRA KUROSAWA, mit TAKASHI SHIMURA in der Hauptrolle des Kanji Shimura. Der bedeutsame zeitgenössische Filmemacher OLIVER HERMANUS, geboren am 26. Mai 1983 im südafrikanischen Kapstadt, hat sich mit vier Filmen, zuletzt 2019 beim Venedig-Festival mit dem Drama „Moffie“, in die vorderste Künstler-Reihe als Autor und Regisseur katapultiert.
Mit „LIVING“, Originaltitel, erlebte OLIVER HERMANUS Ende Januar 2022 beim Sundance Film Festival eine glanzvolle Remake-Uraufführung. Bevor dann „LIVING“ in die Filmwelt einstieg. Das Drehbuch zu „Living“ stammt vom Briten KAZUO ISHIGURO, geboren am 8. November 1954 im japanischen Nagasaki. Sein dritter und berühmtester Roman ist „Was vom Tage übrigblieb“, 1989, und Kazuo Ishiguro erhielt für diesen Roman den hochangesehenen Booker Prize. 1993 wurde der Roman von Regisseur James Ivory mit Anthony Hopkins und Emma Thompson verfilmt und vielfach ausgezeichnet. Im Jahr 2017 erhielt Kazuo Ishiguro den NOBELPREIS für Literatur. Die Schwedische Akademie würdigte ihn als einen Schriftsteller, „der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“. Sein Drehbuch für „LIVING“, ist vorzüglich.
„LIVING“ ist orts- und zeitversetzt. Ist im England der nachkriegsfünfziger Jahre angesiedelt. Motto: Der Wiederaufbau in der bürokratischen Organisation. Oder – wie man in engen Räumen die Gestaltung „des Neuen“ anstellt. Bearbeitet. Der erfahrene Beamte Mr. Williams (überragend: BILL NIGHY) ist in solch einem Bürokratie-Getriebe ein fleißiges, ernstes, aber auch ohnmächtiges, resigniertes Rädchen. Mit Routine-Handhabungen. Nach Aktenlage. Bei staubigem Einerlei. Inmitten einer ruhigen, langweiligen Sprache. Jenseits von DEM, was wir als amtliche Normalität kennen; bezeichnen; dulden. Akzeptieren. Mr. Williams wird von den Aktenbergen „belästigt“, fühlt sich „Zero“, einsam zuhause. Seine Existenz ist für ihn schon lange leer und vor allem bedeutungslos. Was er weiß und längst akzeptiert. Hat. Dann jedoch erreicht ihn die Krebs-Diagnose. Zwingt ihn, traurige Lebensbilanz zu ziehen. Mr. Williams beschließt, die verbleibende Lebenszeit besser, also privater, also energievoll zu nutzen. Der deutsche Zusatzfilmtitel greift: Einmal – wenigstens – wirklich leben! Mr. Williams entdeckt „wirkliches Leben“. Und wenn es nur für nur noch wenige Momente erreichbar ist.
Was für Momente. Die sich im verblüffend-passenden 4:3-Bildformat atmosphärisch auf der Leinwand ausbreiten. In grandiosem-kammerspielartigen Ambiente. Mit einer überragenden Mr: Williams-Figur in der stummen Bewegung. Wie dann in den erst leisen, dann immer ironisch-aufmüpfiger werdenden, sperrigen Äußerungen. Um auch mit uns SO „zu sprechen“: Ich bin wie ich bin; ich will in der restlichen Lebensepoche mein Leben besonnener gestalten, also fühlen, und ich will mich fühlbar „besser“ verabschieden, sinnvoller, als das bisher der Plan war.
Einzigartig: BILL NIGHY. – Unvergessen aus zum Beispiel: „Tatsächlich … Liebe“ (2003) und „Radio Rock Revolution“(2009) -. Dessen Schritte, Blicke, Bewegungen hier „berichten“. Nicht, um als Mr. Williams der Nachwelt zu imponieren, sondern um klarzustellen: Ich, Mr. Williams, habe ES, das Leben, zu spüren begonnen. Habe Lust „darauf“, dies dem System mitzuteilen = auch spüren zu lassen. Auch wenn es nur noch Seitensprünge sein können. Doch auch – immerhin.
Kein Gejammer möglich. BILL NIGHY vermag wunderbar zu atmen. Dieser Film ist (s)ein Melancholie-Gewinn. Zum Empfinden und Denken und Zuschauen ist „LIVING“ ein Meisterwerk (= 5 PÖNIs).
2.) R A D A U. Titel = „FAST & FURIOUS 10“ von Louis Leterrier (USA 2021; B: Justin Lin; Dan Mazeau; Co-Produktion: Justin Lin; Vin Diesel; K: Stephen F. Windon; M: Brian Tyler; 141 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.05.2023). Erspare mir ausführliches Gestriges. Bin erst bei der Brachial-Kost 7 eingestiegen, am 1. April 2015 (s: Kino-KRITIK /4 PÖNIs). Um dann der Filmausgabe 8, einer Kino-Gigantonomie, am 4. April 2017 zu folgen (s. Kino-KRITIK /4 PÖNIs). Um im Juli 2021 schließlich mit der Folge 9 – Gehirn aus, Getränke freudig einpfeifen und ab geht die Kintopp-Luzie / Spaß darf sein – ins Action-Reine zu kommen (s. Kino-KRITIK /3 1/2 PÖNIs).
Nun also Ausgabe Zehn. Mit dem urigen wie üblichen Karacho – die Guten, auch erprobt als DIE FAMILIE, gegen Massendrecksäcke, mit einem ekligem Arroganzspinner-Irren-Anführer namens Dante Reyes (lächerlich: JASON MOMOA), Sohn eines von vor langer Zeit abgemurksten Gangster-Wahnsinnigen beziehungsweise Sohn des brasilianischen Drogenbarons Reyes. Dante quatscht andauernd entsetzlich-dämlich und herumscharwenzelt wie ein Obermacker von der Augsburger Puppenkiste. (Achtung: Gag von mir). Es darf gerast, gekloppt, geballert und noch mehr gerast und sagenhaft volle Pulle getrickst werden. An der Front bewegt sich natürlich Glatzbirne Dominic „Dom“ Toretto (VIN DIESEL), dessen Familie ausradiert werden soll. Von Dante und Anhang. Dieser Dante, heißt es, hat zwölf Jahre damit zugebracht, Rache zu planen. An „Dom“, an seinem kleinen Sohn und am Team.
So was in der Gedöns-Art. Ein zweigeteilter Filmstreich. A) Action hoch – höher – am höchsten-hoch; B) während die Bilder mit unglaublichen Tricks- und Stunt-Einheiten verblüffen. Details lieber ansehen als lesend zu empfangen. Kinematografisch ist „10“ faszinierend, ereignisreich, wenn Autos in der Luft „fahrend“ an Seilen hängen oder auf den Straßen unaufhaltsam brettern und zusammenkrachen. Oder wenn eine Riesen-Kugel Rom plus Vatikan-Immobilien prächtig attackiert. Ich schalte ab, lass die Show auf mich wirken und stelle das Interesse am Personal und dem Rede-Volk ein. Weil sie ziemlich plump erscheinen. Bin nur begeistert von dem vielen oberlauten Krawumm. Was mit folgender Pressepapier-Beschreibung einhergeht: Dantes Plan: Doms Familie vor sich herzutreiben von Los Angeles zu den Katakomben Roms, von Brasilien nach London und von Portugal in die Arktis. Neue Allianzen werden geschmiedet, alte Feinde tauchen wieder auf. Ah ja.
Verstehe. Die grandiosen Ländereien und Eismassen werden flott angebaggert. Oder so ähnlich. Und wenn das KINO weiterhin so beeindruckend-phantasievoll Lärm-Bilder veranstaltet, können die Streamer nicht mithalten. Was uns Kino-like hoffen lässt. Übrigens: Im Nachspann taucht eben mal Dwayne Johnson auf, nach vorher-mal-kurz, wie hübsch – Gal Gadot. Es passiert also demnächst noch so einiges mit dem munteren „Fast & Furious“-Power-Stoff (= 3 PÖNIs).
3.) Gegessen. Titel = „ASTERIX & OBELIX IM REICH DER MITTE“ von Guillaume Canet (Co-B + R + D; Fr 2021; Co-B: Julien Hervé; Philippe Mechelen; K: André Chemetoff; M: Mathieu Chedid; 112 Minuten; deutscher Kino-Start: 18.05.2023). Zur filmischen Allgemeingeschichte: Zuletzt wollten Asterix & Co. nicht mehr schmecken; der Insgesamt-Kinofilm Nummer 14, am Computer hergestellt, kam im März 2019 in die Lichtspielhäuser und zog sich ziemlich hin („Asterix und das Geheimnis des Zaubertranks“ /s. Kino-KRITIK /1 1/2 PÖNIS).
Heuer: Das Thema nun mal wieder, nach zehn Jahren, in real. Es ist mit CHINA in Verbindung zu betrachten. Handelt von der chinesischen Kaisertochter Fu Yi (JULIE CHEN), die nach einem Staatsstreich in das bekannte gallische Dorf flüchtet und um Hilfe der gallischen Krieger bittet, die sich daraufhin auf den Weg gen China machen. Der auf den chinesischen Markt zugeschnittene Film basiert nicht auf einer Asterix-Comicgeschichte. Im Gegensatz zu den vergangenen vier Filmen änderte sich die Besetzung, denn Gérard Depardieu – u.a. „Asterix & Obelix: Im Auftrag Ihrer Majestät“/s. Kino-KRITIK 3 PÖNIs – spielt nicht mehr die Obelix-Rolle. Er wurde durch Giles Lellouche („Ein Becken voller Männer“) ersetzt, während jetzt Regisseur GUILAUME CANET als Asterix mitmischt. Doch irgendwie will hier keine volle Stimmung einkehren. Der Ablauf wirkt wie eine Aneinanderreihung von Sketchen, in denen zum Beispiel auf tänzerische Pop-„Dirty Dancing“-Zitate ebenso nicht verzichtet wird wie chinesische Kampfkunst powert. Übrigens von: „Die spinnen, die Römer“ ist hier nichts zu hören. Dieser speziellen Coup allerdings, den Fußball-King-Wüterich ZLATAN IBRAHIMOVIC als dollen, kampferprobten Römer Antivirus einzuflechten bereit ist, ist tatsächlich Gag-witzig. Aber zusammengenommen: Der Comic-Charme fehlt hier immens (= 2 PÖNIs).
4.) TV-TIPP: Der Siegerfilm der Cannes-Filmfestspiele von 1996 war „LÜGEN UND GEHEIMNISSE“ von Mike Leigh. Der auch als Drehbuch-Autor in diesem Drama die Geschichte einer jungen schwarzen Frau aus der britischen Mittelschicht erzählt, die ihre leibliche Mutter sucht. MARIANNE JEAN-BAPTISTE und BRENDA BLETHYN spielen die Hauptrollen in diesem mit auch dem „Golden Globe Award“ ausgezeichneten, sehr empfehlenswerten britischen Film, den ARTE am MONTAG, 22.5. ab 20.15 Uhr zeigt.
5.) MUSIK: Eine weiße Katze mit blauen Augen / Eine alte Vase auf dem Fernseher / In der Luft liegt der Duft von Kerzen / Zwei rote Bäckchen, rot wie Äpfel / Diesen Titel höre ich gerne: „MAMMA MARIA“ von der Gruppe RICCHI E POVERI. Sie wurde 1967 in Genua gegründet. Nach ihrem Durchbruch in Italien nahm sie am Grand Prix Eurovision 1978 teil und war in den 1980er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum erfolgreich. 1982 kam ihr Hit „MAMMA MARIA“ heraus, den ich eben gerade mal wieder im Radio hörte. Der für flotte Bewegungen am Bürotisch sorgte. Mein Favorit für diese musikalische Stimmungswoche:
P.S.: An diesem SONNTAG, 21.5. ist ab 20.15 Uhr wieder ARD-„TATORT“-Time. Diesmal ist „München“ an der Kriminalreihe. Mit den Ermittlern Franz Leitmayr und Ivo Babic. Titel: „Game Over“. Nach der ersten Ausstrahlung schreibe ich die Kritik und veröffentliche sie an den bekannten Stellen, also hier und auf Facebook.
Wünsche eine stimmungsvolle Woche.
HERZlichst: PÖNI Pönack
email: kontakt@poenack.de