LIVING – EINMAL WIRKLICH LEBEN

PÖNIs: (5/5)

„LIVING – EINMAL WIRKLICH LEBEN“ von Oliver Hermanus (GB 2021; B: Kazuo Ishiguro; K: Jamie Ramsay; M: Emilie Levienaise-Farrouch; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 18.05.2023; Remake des sozialkritischen Schwarzweißdramas „Living“ von Akira Kurosawa/1952);

BEAMTETES LEBEN. Titel = „LIVING – EINMAL WIRKLICH LEBEN“ von Oliver Hermanus (GB 2021; B: Kazuo Ishiguro; K: Jamie Ramsay; M: Emilie Levienaise-Farrouch; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 18.05.2023). Zur Filmgeschichte. Am Anfang steht die Leo Tolstoi-Novelle „DER TOD DES IWAN ILJITSCH“, geschrieben 1886. 1952 folgte der japanische Film „IKIRU – EINMAL WIRKLICH LEBEN“, ein sozialkritisches Schwarzweißdrama von AKIRA KUROSAWA, mit TAKASHI SHIMURA in der Hauptrolle des Kanji Shimura. Der bedeutsame zeitgenössische  Filmemacher OLIVER HERMANUS, geboren am 26. Mai 1983 im südafrikanischen Kapstadt, hat sich mit vier Filmen, zuletzt 2019 beim Venedig-Festival mit dem Drama „Moffie“, in die vorderste Künstler-Reihe als Autor und Regisseur katapultiert.

Mit „LIVING“, Originaltitel, erlebte OLIVER HERMANUS Ende Januar 2022 beim Sundance Film Festival eine glanzvolle Remake-Uraufführung. Bevor dann „LIVING“ in die Filmwelt einstieg. Das Drehbuch zu „Living“ stammt vom Briten KAZUO ISHIGURO, geboren am 8. November 1954 im japanischen Nagasaki. Sein dritter und berühmtester Roman ist „Was vom Tage übrigblieb“, 1989, und Kazuo Ishiguro erhielt für diesen Roman den hochangesehenen Booker Prize. 1993 wurde der Roman von Regisseur James Ivory mit Anthony Hopkins und Emma Thompson verfilmt und vielfach ausgezeichnet. Im Jahr 2017 erhielt Kazuo Ishiguro den NOBELPREIS für Literatur. Die Schwedische Akademie würdigte ihn als einen Schriftsteller, „der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“. Sein Drehbuch für „LIVING“, ist vorzüglich.

„LIVING“ ist orts- und zeitversetzt. Ist im England der nachkriegsfünfziger Jahre angesiedelt. Motto: Der Wiederaufbau in der bürokratischen Organisation. Oder – wie man in engen Räumen die Gestaltung „des Neuen“ anstellt. Bearbeitet. Der erfahrene Beamte Mr. Williams (überragend: BILL NIGHY) ist in solch einem Bürokratie-Getriebe ein fleißiges, ernstes, aber auch ohnmächtiges, resigniertes Rädchen. Mit Routine-Handhabungen. Nach Aktenlage. Bei staubigem Einerlei. Inmitten einer ruhigen, langweiligen Sprache. Jenseits von DEM, was wir als amtliche Normalität kennen; bezeichnen; dulden. Akzeptieren. Mr. Williams wird von den Aktenbergen „belästigt“, fühlt sich „Zero“, einsam zuhause. Seine Existenz ist für ihn schon lange leer und vor allem bedeutungslos. Was er weiß und längst akzeptiert. Hat. Dann jedoch erreicht ihn die Krebs-Diagnose. Zwingt ihn, traurige Lebensbilanz zu ziehen. Mr. Williams beschließt, die verbleibende Lebenszeit besser, also privater, also energievoll zu nutzen. Der deutsche Zusatzfilmtitel greift: Einmal – wenigstens  – wirklich leben! Mr. Williams entdeckt „wirkliches Leben“. Und wenn es nur für nur noch wenige Momente erreichbar ist.

Was für Momente. Die sich im verblüffend-passenden 4:3-Bildformat atmosphärisch auf der Leinwand ausbreiten. In grandiosem-kammerspielartigen Ambiente. Mit einer überragenden Mr: Williams-Figur in der stummen Bewegung. Wie dann in den erst leisen, dann immer ironisch-aufmüpfiger werdenden, sperrigen Äußerungen. Um auch mit uns SO „zu sprechen“: Ich bin wie ich bin; ich will in der restlichen Lebensepoche mein Leben besonnener gestalten, also fühlen, und ich will mich fühlbar „besser“ verabschieden, sinnvoller, als das bisher der Plan war.

Einzigartig: BILL NIGHY. – Unvergessen aus zum Beispiel: „Tatsächlich … Liebe“ (2003) und „Radio Rock Revolution“(2009) -. Dessen Schritte, Blicke, Bewegungen hier „berichten“. Nicht, um als Mr. Williams der Nachwelt zu imponieren, sondern um klarzustellen: Ich, Mr. Williams, habe ES, das Leben, zu spüren begonnen. Habe Lust „darauf“, dies dem System mitzuteilen = auch spüren zu lassen. Auch wenn es nur noch Seitensprünge sein können. Doch auch – immerhin.

Kein Gejammer möglich. BILL NIGHY vermag wunderbar zu atmen. Dieser Film ist (s)ein Melancholie-Gewinn. Zum Empfinden und Denken und Zuschauen ist „LIVING“ ein Meisterwerk (= 5 PÖNIs).

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