PÖNIs BLOG (226): Vor zehn Jahren; Meisterwerk: „TÁR“; „Der Zeuge“; „Sonne und Beton“; „Die Spur der Knochen“; „Dog Gone“; TV-TIPPs; STING

0.)   START-Zeit. Mit Erinnerungen. Was passierte eigentlich vor zehn Jahren. Im Februar 2012. Da fand eine Birthday-Party statt. Im RollingStone-Magazin. Motto: Willander sieht fern. Thema: Zwei schrullige Kritiker veredeln regelmäßig das Sat.1-Frühstücksfernsehen mit Expertisen.
Einer der beiden regelmäßigen Honorationen war Icke. Ich trat bekanntlich seit Dezember 1999 an jedem Mittwoch live-dort auf, um Filmkritiken mal gemäßigt, mal (sehr) lauthals: zu verkünden. Was gut ankam. (Bis 2016). So dass sich nunmehr „Rolling“-Willander einmischte. Um zu Lob-Preisen. Tat mal so richtig gut. (Man ist ja auch eitel). Ein Jahrzehnt später fällt mir der Artikel – Überschrift: Klein, aber oho!  – wieder in die Augen. Tue ihn gern erneut kund. Hier und jetzt. Man ist ja immer noch eitel.

1.)   D I E CHEFIN. Titel = „TÁR“ von TODD FIELD (B + Produktion + R; USA 2021; K: Florian Hoffmeister; M: Hildur Guonadóttir; 158 Minuten; deutscher Kino-Start: 02.03.2023). LYDIA TÁR! 6fache „Oscar“-Nominierung. Was passiert und wie passiert es, wenn eine Frau – als erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker – das musikalische wie gesellschaftliche Zepter eingenommen = übernommen hat und dies seit Jahren vehement zu behaupten, zu „verteidigen“, Chefin-stark zu lenken, also uneinnehmbar, also konsequent-BÄRINNEN-STARK auszuführen weiß? Und mittlerweile alles erreicht, erlebt, einverleibt hat, was es überhaupt in diesem gigantischen Weltzirkus zu erobern, zu erreichen, zu bekommen, einzunehmen gibt?

CATE BLANCHETT. Zählt zu den führenden Charakterschauspielerinnen des Kinos. Seit Beginn der 1990er-Jahre eroberte die am 14. Mai 1969 in Melbourne geborene australisch-US-amerikanische Akteurin mit großartigen Auftritten („Elizabeth“/1998) die weltweiten Leinwände. Wurde mit über 150 internationalen Film- und Festivalpreisen geehrt. Ist bislang zweifach mit „Oscar“-Trophäen belobigt worden (2005 als „Beste Nebendarstellerin“ in „Aviator“ / 2014 als „Beste Hauptdarstellerin“ im Woody Allen-Meisterstück „Blue Jasmine). „TÁR“ gilt als einer der filmischen Höhepunkte 2022, ist Mitfavorit für die 95. „Oscar“-Verleihung am Montag, 13. März 2023/mitteleuropäische Zeit, und Cate Blanchett gilt als voraussichtliche „Oscar“-Queen in diesem Jahr.

Und wir bekommen umgehend mitgeteilt –  Tár ist solch eine Ausnahmegestalt. Hat alles gewonnen was es überhaupt zu gewinnen gibt/zu bekommen gilt. Die Lebenssiegerin lebt privat mit der Konzertmeisterin Sharon Goodnow (ebenfalls brillant: NINA HOSS) und ihrer Tochter zusammen, probt mit dem Orchester gerade an Mahlers Fünfter Sinfonie , bereitet ihre erste Buchveröffentlichung vor. Doch zeitgleich beginnt ihr Leben plötzlich zu wanken. Sich mit #MeToo-Gedanken und Bewegungen zu füllen. Nicht nur die Beziehung mit Sharon gestaltet sich zunehmend kompliziert, auch frühere Lebensentscheidungen, Anschuldigungen und ihre eigenen Obsessionen drohen sie einzuholen. In den darauffolgenden Wochen entgleitet ihr die Kontrolle über ihr eigenes Leben immer mehr … , weil sich Erinnerungen an Erlebnisse aus ihrem ereignisreichen Dasein immer öfter einmischen. Melden.

„TÁR“ zeichnet aufsehenerregend, tiefencool, sagenhaft empathisch das Bild einer hochkomplexen Frauenfigur in Verbindung mit einem explosiven, provokanten Porträt des klassischen Musikbetriebes. Berichtet atmosphärisch-beeindruckend wie mitreißend-zerstörerisch von toxischen Machtstrukturen und deren korrumpierende Wirkung sowie von Konflikten mit dem sich provokant zu Wort meldenden engagierten Nachwuchses.

Was für eine künstlerische-grandiose, cineastisch sich fest ein- bzw. anfühlende Melange zwischen bestechenden Farbkomponenten, wunderbaren musikalischen Effekten und unterhaltsam-spannenden Seelennoten. Klasse-Regie führte der dreifach „Oscar“-Nominierte TODD FIELD (u.a. 2002 „In The Bedroom“), der nach 16-jähriger Pause auf den Regiestuhl zurückkehrte und dessen Choreografie sich so etwas von begeisternd-stimmungsvoll bewegt. Schließlich von wegen überwältigender Musikalität: Die „pikante“ Musik stammt von der „Oscar“-prämierten Komponistin und isländischen Cellistin HILDUR GUONADÓTTIR („Joker“).

Bestes Kino: Die Empfehlung gilt UNBEDINGT. Wir werden kino-like geradezu überragend verwöhnt! (= 5 PÖNIs).

2.)   BEDEUTSAM-SCHWIERIG. Titel = „DER ZEUGE“ von und mit BERND MICHAEL LADE (B + R + HD; D 2021; K: Guntram Franke; M: Michael Kobs/auch Schnitt; 97 Minuten; deutscher Kino-Start: 02.03.2023). Bitte sitzenbleiben. Denn einfach macht es einem diese Dramaturgie nicht. Motiv: Das dialektisch erzähle Drama basiert auf realen Gerichtsprotokollen und stellt durch einen verblüffenden erzählerischen Kunstgriff die Frage nach Schuld und Unschuld im faschistischen Vernichtungsapparat des Nationalsozialismus ins Zentrum des Films. Der aufs Denken, Mitdenken, Mitfühlen und auf die unglaubliche, entsetzliche Wut  und Trauer setzt und „so“ eine enorm-nachhallende Wirkung erreicht.

Deutschland, kurz nach dem 2. Weltkrieg. Der Veranstaltungsort ist karg und nüchtern. Unverkleidete, fensterlose Betonwände weisen auf einen großen Keller hin. Als jahrelanger Häftling der KZs Buchenwald, Lichtenburg, Esterwegen, Sachsenhausen und Flössenburg erlebte Carl Schrade (BERND MICHAEL LADE) die Gräueltaten der Nazis aus nächster Nähe. 1934 war er von den Nazis verhaftet worden; verbrachte als sogenannter Berufsverbrecher insgesamt elf Jahre in unterschiedlichen Lagern. Jetzt soll der ehemalige Juwelenhändler als Kronzeuge der Anklage vor einem Gericht aussagen, um seine Peiniger hinter Gitter zu bringen. Auf der Anklagebank sitzen SS-Männer, NSDAP-Funktionäre und Ilse Koch (LINA WENDEL), die Frau des berüchtigten KZ-Kommandanten Karl Koch. Die Liste ihrer menschenverachtenden Verbrechen ist lang, die Liste der Ausreden und Rechtfertigungen beinahe noch länger. An der Schuld besteht kaum ein Zweifel. Aber woher stammt Carl Schrades umfassendes Wissen über die Abläufe in der Lagerverwaltung  und wie überlebte er mehr als zehn Jahre in den Lagern?

Die Bilder wechseln. Von Farbe zu Schwarz-Weiß. Je nachdem ob Carl Schrade oder die Täter sprechen. (Die Richter reden nicht; drücken ihre Sprache über ihre Gesichtsemotionen aus). Und – der Film ist zweisprachig. MARIA SIMON spielt die Gerichtsreporterin, die die Aussagen der Angeklagten übersetzt: „Hier ist euer Bestimmungsort in einem Deutschen Konzentrationslager. Ja, das ist die Rede, die ich da immer vorgelesen habe“.   „Yes, this is the speech I was always reading out loud“   /   Ich war ein gehorsamer SS-Soldat. Wenn schon in Teufels Küche, dann nur als Koch“.

Als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller entwirft Bernd Michael Lade, geboren am 24. Dezember 1964 in Ost-Berlin und bekannt geworden als Dresdner „Tatort“-Kommissar Kain von 1992 bis 2007, ein spannendes Gedankenexperiment, basierend auf realen Gerichtsprotokollen, die zu dem Erinnerungsbericht von Carl Schrade führten, der 2015 in Deutschland erschien. In einer die Zuseher direkt ansprechenden Art offenbart der Film die Mechanismen, die zur systematischen Ausbeutung und schlussendlichen Vernichtung von Millionen Menschen in den Konzentrationslagern führten.

„Der Zeuge“ sollte auch zur ständigen Begleitung des schulischen Geschichtsunterricht gehören (= 4 PÖNIs).

3.)    STADT-RAND. Berlin. Neukölln. Titel = „SONNE UND BETON“ von David Wnendt (Co-B + Co-Produzent + R; D 2021; Co-B: Felix Lobrecht; nach dem autobiografisch inspirierten gleichnamigen Bestseller von Felix Lobrecht/2017; K: Jieun Yi; M: Enis Rotthoff; Konstantin Scherer; 119 Minuten). Mit seinen Filmen „Kriegerin“ (2011), „Feuchtgebiete“ (2012/s. Kino-KRITIK) /1/2 PÖNI) und „Er ist wieder da“ (2014/s. Kino-KRITIK /1 1/2 PÖNIs) war ich überhaupt nicht zufrieden. Mit seinem vierten Kinofilm starte ich gerne mit, also: durch. Weil sich DAVID WNENDT jetzt in die realen gesellschaftlichen Spuren begibt. Wo Berlin hottet. Spukt. Spuckt. Je nachdem gen dorthin, nach Banditen-Town, oder halt mal hierhin, als Parkstürmer.

Achtung, Achtung : Berlin-Gropiusstadt im Hitzerekordsommer 2003. In den Parks stinkt es nach Hundescheiße; überall Scherben, Graffiti, in den Ecken stehen Dealer. Gangster oder Opfer, lauten hier die Fehlzündungen. Lukas (LEVY RICO ARCOS); Gino (RAFAEL LUIS Klein-Heßling) und Julius (VINCENT WIEMER) sind „Opfer“. Kein Geld fürs Schwimmbad, kein Glück in der Liebe und zu Hause nur Stress. Als sie im Park Gras kaufen wollen, geraten sie zwischen rivalisierende Dealer. Die verprügeln Lukas und wollen 500 Euro Schutzgeld. Wie soll Lukas DAS auftreiben? Sein neuer Klassenkamerad Sanchez (AARON MALDONADO-MORALES) hat DIE IDEE: Nichts wie hinein in die Schule, dort einbrechen, die neuen Computer aus dem Lager schleppen und verscherbeln. Damit seien doch die Geldsorgen schnell beseitigt. Und der Plan gelingt. Beinahe. Also – fast.

David Wnendt und sein (Bestseller-)Drehbuch-Mitschreiber Felix Lobrecht kriegen Typen, fiebernde Atmo, rotzige Sprache, schonungslosen Rhythmus und Problem-Halbwüchsige hin; beweisen Gespür für das „sonderbare Leben“ hier und vermitteln ein eindrückliches Bild von jenem Neukölln als Brennpunkt sozialer Hektik mit Ungerechtigkeit. Kino – robust mit reichlich Gegenwartsgeschmack  (= 4 PÖNIs).

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4.)    MISCH mit MASCH. Titel = „DIE SPUR DER KNOCHEN“ von Jorge Dorado (Spanien/Argentinien/D 2021; B: Natxop López; K: David Acereto; M: Eric Claus Kuschevatzky; 104 Minuten; deutscher HEIMKINO-Capelight-Pictures: 24.2.2023). Mario (ÀLVARO MORTE) ist ein Sonderling. Arbeitet freiwillig und mit Überstunden in einem Fundbüro. Wo er kaputt auftauchende „Sachen“ wieder herrichtet. Um diese dann, nach eingehender Recherche, ihren Besitzern nach Hause zurückzubringen. Halt – wie ein Sonderling. Irgendwann entdeckt er in einem roten Koffer die sterbliche Überreste eines Kleinkinds. Weil die Polizei damit nichts anzufangen weiß, macht sich Mario auf den Such- bzw. Erklärungsweg. Begibt sich ins kriminelle Milieu, wo er einer hübschen junge Frau begegnet. Jetzt wird’s krimihaft. Währenddessen verliebt sich Mario in diese Sara (CHINA SUÁREZ): „Ich will dir helfen, weiß aber nicht wie“! „Ich brauche aber keine Hilfe“, meint SIE. Doch vor Hiebe steht weiterhin Liebe auf dem Spielplan. Nochmal währenddessen =  beginnen die Bösen sich  zu positionieren. Währenddessen III : Sara ist schwanger. Ein Krimi mit Faustpfand-Austausch. Der Film hüpft in verschieden Stimmungslagen. Wird egal (= 2 PÖNIs).

5.)   LABRADOR mit Nebenbei-Story. Titel = „DOG GONE“ von Stefan Herek (USA 2021; B: Nick Santora; nach dem Buch „Dog Gone: A Lost Pet’s Extraordinary and the Family Who Brought Him Home“ von Pauls Toutonghi; K: Michael Martinez; M: Emily Bär; 95 Minuten; deutscher HEIMKINO-Netflix-Start:13.01.2023). Fielding (JOHNNY BERCHTOLD) hat den Collegeabschluss gemacht, ist aber sonst sozial eher unbeholfen. „Kriegt“ keinen Job. Was seine Eltern in Unruhe versetzt (KIMBERLY WILLIAMS-PAISLEY; Co-Produzent: ROB LOWE). Um alle etwas In Freude zu versetzen, schafft sich Fielding über das örtliche Tierheim einen Labrador-Welpen an. Die Eltern akzeptieren den Vierbeiner. Bei dem aber die Addison-Krankheit diagnostiziert wird, was bedeutet, dass er ab sofort jeden Monat eine lebensrettende Tierarzt-Spritze benötigt. Deshalb ist die Aufregung groß, als GONKER eines Tages verschwunden ist. Die umfangreiche Suchaktion sorgt dafür, dass man sich in der Familie immer besser versteht und schließlich sogar vereint.

Dieser Wir-mögen-uns-doch-in-dieser-Familie – Film wandelt auf den Spuren von MAHATMA GANDHI (2.10.1869 – 30.1.1948) , der einst verkündete: „DIE GRÖßE UND DEN MORALISCHEN FORTSCHRITT EINER NATION KANN MAN DARAN MESSEN, WIE SIE IHRE TIERE BEHANDELT“. Genau (= 3 PÖNIs).

6.)   TV-TIPPs:  Unter dem Titel „Mutig und selbstbewusst“ zeigt 3sat – als Free-TV-Premiere – anlässlich des Internationalen Frauentages am nächsten MITTWOCH-Feiertag, 8.3., ab 20.15 Uhr den Dokumentarfilm „DIE UNBEUGSAMEN“ von Torsten Körner (D 2021). Motto: Mi dem Film wird die Geschichte der Frauen erzählt, die Politik nicht allein den Männern überlassen wollten und mutig und selbstbewusst gegen Vorurteile ankämpften. Die Geschichte der Frauen der Bonner Republik. Zu Wort kommen unter anderen RITA SÜSSMUTH (CDU), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD) und Christa Nickels (Die Grünen). Ihre Erinnerungen sind zugleich komisch und bitter, absurd und bisweilen erschreckend aktuell. Historische Aufnahmen zeigen außerdem politische Vorreiterinnen wie Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Aenne Brauksiepe (CDU) und Pera Kelly (Die Grünen). Presse-Details sind zu empfangen über  –  s. Kino-KRITIK (5 PÖNIs).

Und am nächsten FREITAG, 10.3., präsentiert ARTE ab 20.15 Uhr den ausgezeichneten deutschen Polit-Thriller „NAHSCHUSS“ von Franziska Stünkel aus dem Jahr 2019, der bei seinem Kino-Start am 12.8.2021 auf sehr viel Interesse und Lob stieß (s. Kino-KRITIK /4 1/2 PÖNIs). Mit LARS EIDINGER und DEVID STRIESOW in den Hauptparts. Dringend empfehlenswert!

7.)   MUSIK: Kürzlich kam ich mit einem Lied von STING in Kontakt, das ich noch nicht kannte. Gefiel mir SEHR GUT und wird deshalb ab sofort zum Lieblingssong der Woche erhoben: SHAPE OF MY HEART. Lasst uns DEN zusammen mögen!

Wünsche eine beste März-Woche.

HERZlich:   PÖNI Pönack

email:   kontakt@poenack.de

 

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