PÖNIs BLOG (194): „WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN“; „VIER WÄNDE FÜR ZWEI“; „Liebesdings“-bums; WOODY ALLEN; TV-TIPP; ABSCHIEDE; UDO JÜRGENS

1.)   „Karikatur ohne Bissigkeit, Drastik, Schärfe ergibt für mich keinen Sinn. Man hat mir oft Geschmacklosigkeit und Brutalhumor vorgeworfen. Wer denn, wenn nicht Satiriker, soll die Dinge beim Namen nennen?“ (Manfred Deix). Der Zeichner Manfred Deix provozierte, schockierte und rüttelte an gesellschaftlichen Tabus wie selten zuvor ein österreichischer Künstler. Am 25. Juni 2016 verstarb er nach schwerer Krankheit im Alter von 67 Jahren. Seine Frau Marietta und seine 23 Katzen waren bis zuletzt bei ihm. MANFRED DEIX wurde am 22. Februar 1949 geboren und ist in St. Pölten und in Böheimkirchen aufgewachsen. Er studierte bereits in frühen Jahren das Milieu der Bauern und Arbeiter, die zu den Gästen des Wirtshauses seiner Eltern zählten, und fertigte erste Karikaturen an: „Schon als Zwölfjähriger hatte ich das Privileg, als Schankbursche im elterlichen  Gasthaus die Menschen wirklich hautnah erleben zu können. Es waren überwiegend die sogenannten ‚kleinen Leute‘, die bei uns zu Gast waren. Da standen sie also meist im Arbeitsgewand an der Budel und tranken ihre Gspritzten, Seidel oder Viertel, unterhielten sich über alles Mögliche von der Politik über die Arbeit bis zu den Frauen, erzählten sich herbe Männerwitze, lachten oder stritten sich über Belangloses und ahnten natürlich nicht, dass sie vom hellwachen Buben hinter der Theke gnadenlos ausgehorcht und beobachtet wurden. … Aus ihnen habe ich die mittlerweile bekannten ‚Deixfiguren‘ geformt und ihnen zu fragwürdiger Berühmtheit verholfen. Strafe muss sein“ (Manfred Deix). 

Marcus H. Rosenmüller, bekannt zum Beispiel mit seinen „besonderen Heimatfilmen“ wie „Wer früher stirbt ist länger tot“ (Deutscher Filmpreis 2006/rd. 1,8 Millionen Besucher)  oder „Schwere Jungs“ (2007/s. Kino-KRITIK/4 PÖNIs), inszenierte zusammen mit Santiago López Jover seinen ersten Animationsfilm. Thema: Vom gepeinigten Leben und kessen Aufwachen eines Jungen in der österreichischen Provinz in den 1960er Jahren, basierend auf dem Figurenkosmos des Karikaturisten, Grafiker und Cartoonisten Manfred Deix. Mit frechem Humor und politischer Brisanz erzählt dieser beeindruckend angriffslustige Film vom speziellen Mut, gesellschaftliche Wertesysteme zu hinterfragen und Träume eines couragierten Bub ins Leben zu beordern. Manfred Deix hat das Drehbuch noch zu Lebzeiten abgenommen und als Art Director am Film mitgewirkt: Ein pfiffiger, aufmüpfig-denkender, durchtrieben-handelnder ROTZBUB. Titel = „WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN“ von MARCUS H. ROSENMÜLLER und SANTIAGO LÓPEZ JOVER (Österreich/D 2013 – 2020; B: Martin Ambrosch; Produktion: Josef Aichholzer; Ernst Geyer; Schnitt: Philipp Bittner; M: Gerd Baumann; 85 Minuten; tiefschwarze ANIMATION; deutscher Kino-Start: 7.7.2022). Motto: Heimatfilm-Courage. Die Örtlichkeit: 1967, in der ultrakonservativen Kleinstadt Siegheilkirchen im Hinterland der jungen Zweiten Republik Österreich. Wo die Ewiggestrigen, die hier hausen, größtenteils fettleibig und eingefleischte Nazis sind. Der Gendarm erledigt seinen Dienst meist besoffen, der Pfarrer ist ein gewalttätiger Tyrann und Friseur Kurz könnte sich durchaus vorstellen, der nächsten Führer zu sein. Mittendrin der „Rotzbub“ (Stimme: Markus Freistätter), der mit der spießigen Enge seiner Heimat so seine „Schwierigkeiten“/Probleme hat. Allerdings  – sein außergewöhnliches Zeichentalent verschafft nicht nur seinem eigenen Unmut ein „dolles“ Ventil. Denn damit unterhält er auch seine Mitschüler, verschafft den lächerlichen Obrigkeiten viel schamloses Gelächter und rettet auch seine Angebetete, die schöne Mariolina, vor den bösartigen Nachstellungen einiger üblen Vorgestern-Denker. Natürlich: Hier wird – buchstäblich – viel Dreck, und dann sogar Scheiße hin- und her-befördert. „WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN“ ist ein mutiger, konsequenter Schmutzfilm (= 5 PÖNIs).   P.S.: Gerade wurde der Streifen beim Österreichischen Filmpreis geehrt, und zwar mit dem Preis in der Kategorie „Publikumsstärkster Kinofilm“. Damit wurde jene einheimische Filmproduktion ausgezeichnet, für die die meisten Kinotickets verkauft wurden. Der Beobachtungszeitraum war vom 14.6.2021 bis zum 12.6.2022!

2.)   INVENTAR LEBT. „Das ist leider lustig!“ Titel = „VIER WÄNDE FÜR ZWEI“ von Bernabé Rico (Co-B + R; Spanien 2019; Co-B: Juan Carlos Rubio, basierend auf dessen Theaterstück „100 m 2“; K: Rita Noriega; M: Julio Awad; 94 Minuten; deutscher Kino-Start: 7.7.2022). Sevilla. Es ist Vorweihnachtszeit. Als sich „zufällig“ zwei Frauen begegnen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die 75jährige Lola (KITI MÁNVER) besitzt eine komfortable Wohnung, die ein linkischer Immobilienmakler Oscar (Running Gag: CARLOS ARECES) gerade „günstig“ an die 39jährige Sara (JUANA ACOSTA) vermittelt hat. Weil Lola Geld braucht. Der „günstige“ Haken: Sara darf die 100 Quadratmeter-Wohnung übernehmen, also erst dort einziehen, wenn die derzeitige Eigentümerin verstorben ist. Sara trifft sich mit Lola, die sich als wortgewandte, kettenrauchende und freigeistige Überlebende eines dreifachen Bypasses präsentiert. Eine Naturgewalt, deren Lebensfreude und Pointen („Alt werden ist Scheiße“) mit Saras eher konservativer Einstellung kollidiert. Die in ihrem Chef-Job bei einem Versicherungsunternehmen allerdings sehr knochig-erfolgreich ist. Als Sara mitbekommt, dass ihr Gatte sie betrügt, sucht sie Trost und Rat bei Lola, der vor langer Zeit ähnliches widerfuhr. Nach und nach schließen die beiden Frauen einen Pakt. Der mit Zuneigung, Gefühlen und, vor allem, viel Humor geprägt ist. Von wegen: Rest-Jung-Sein bedeutet „praktisch“, also stets von oben-herab, aufzutreten; Alt-Sein-Müssen und es bleibt dabei: Schnoddrig-kontern, zudem = Konservativ-Sein weiterhin schrecklich finden. Was bedeutet: Es lebe die zwischenmenschliche Melancholie; quatscht Euch komisch zusammen, passt Euch nicht an, vermeidet unangenehme Einsamkeit. Seid angemessen unanständig. Na gut (= 3 1/2 PÖNIs).

3.)   G Ä H N. Titel = „LIEBESDINGS“ von Anika Decker (B + R; D 2021; K: Moritz Anton; M: Jean-Christophe Ritter; 99 Minuten; deutscher Kino-Start: 7.7.2022). Deutsche Spielfilme hauen manchmal fürchterlich daneben. Kürzlich erst diese fürchterliche Stasi-Komödie unter der Regie von Leander Haußmann, und nun DAS-hier. Auch. Eine Inhaltsangabe lohnt sich nicht. Stattdessen Skizzen: ELYAS M´BAREK heißt Marvin Bosch. Ist ein deutscher Filmstar. 1.) Hat aber „davon“ die Schnauze voll. Immer diese zahlreichen Belästigungen. 2.) Redet fürchterlich-trockenen Dialog-(Drehbuch-)Stuss. 3.) Spart sich die gerade angesagte komfortable Premierenfeier. 4.) Weil ihn eine so-genannte Boulevard-Journalistin – Bettina Bamberger – (ALEXANDRA MARIA LARA) kaputt-geredet hat. 5.) Marvin haut ab. Flüchtet in ein kurz vor der Pleite befindliches feministisches Off-Theater („3000“). 6.) Wird dort von der Künstlerin Frieda (LUCIE HEINZE)  ein- bzw. aufgefangen. 7.)  Erstmal wird nett gebumst. Sie dabei viertel-angezogen. 8.) Dann äußert sich die Gender-Family-dort. 9.) Die ganze Zeit herrscht eine verkrampfte „Ich hab‘ die Irgendwie-Schnauze voll“-ATMO. 10.) Er muss kotzen. „Ich muss nochmal kotzen“, raunzt Marvin. Was Bettina Bamberger auf den (Arbeits-)Plan ruft: „Sag‘ mir wie die Kotze schmeckt“, beauftragt Frau Bamberger einen freien Mitarbeiter, die Kotze von Marvin zwecks Auswertung mundhaft zu prüfen. 11.) Der so-genannte Inhalt wird immer blöder. Eine konfuse Story. Mit saudummen Erklärungen für dieses penetrante, primitive Hin- und Her-Gewusel. 12.) Nach Filmindustrie-Geschmäckle und Medienkritik folgen Bühnenauftritte bei „3000“. 13.) Eine Zwischendurch-Frage tönt herum: „Hast Du den gestern gebumst?“ 14.) Thema: So was wie ein Selbstfindungsprozess. 14.) ER sagt: „Es geht immer nur um Kohle und Erfolg!“ 15.) Viele beknackte Nebenhandlungen mit einfältigem Nonsens-Geblödel. 16.) Und auch noch mit-dabei: ein Arschloch-Krimi-Gepuste. 17.) Fazit: Mal Sozialplotte; mal bisschen Krimi; mal behaupteter „Gag-Reigen“; mal Gesichtsfilm mit Marvin und Frieda. „Liebesdings“ will vieles sein, bietet reichlich Dumpfbacken-Plattheiten. 16.) Familiengründung wird von IHM eingeleitet. Mit sperrigen Dialogen. 17.) Ende, ER auf und von der Moralbühne: Habt ihr’s endlich kapiert!?

18.) Ausgezeichnet mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ durch die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung, die am Film vor allem das Drehbuch lobt, „das vor inhaltlichem Reichtum fast überbordet“. Es sei ein Glücksfall, dass Buch und Regie aus einer Hand sind. 19.) Im Jahr 2022 offenbarte eine Reportage, dass sich wegen überdimensionaler Tampons in einem Trailer zum Film, ein öffentlich-rechtlicher Sender zierte, diesen zu zeigen. Na sowas bzw. Ah ja (= 0 PÖNIs).

4.)   WALLACE SHAWN als WOODY ALLEN. Titel = „RIFKIN’S FESTIVAL“ von Woody Allen (B + R; Spanien/USA/Italien  2019; K: Vittorio Storaro; M: Stephane Wrembel; 92 Minuten; Original mit deutschen Untertiteln; deutscher Kino-Start: 7.7.2022). ER ist nicht Woody Allen, sondern Mort Rifkin. Ein Filmenthusiast, dessen Enthusiasmus allerdings „begrenzt“ wirkt. Obwohl er viel davon „‚rauslässt“. Dort in San Sebastian, wo gerade Filmfestspiele laufen. Der filmbegeisterte Mort (WALLACE SHAWN) begleitet seine attraktive Frau, die PR-Agentin Sue (GINA GERSHON), und hegt die Befürchtung, dass ihm seine Gattin „abhanden“ kommen könnte. Denn um sie geistert gerade ein junger Klient, Philippe (LOUIS GARREL), der anscheinend mehr als nur berufliches Interesse bei der Gattin weckt. Genervt von den überschwänglichen Lobeshymnen auf Philippes neuem (Festival-)Film, beschäftigt sich der New Yorker Dozent Mort viel lieber mit den Kinoklassikern, über die er einst als Professor unterrichtet hat, also mit Godard, Bergman, Fellini, Truffaut und Bunuel. Und „befasst“ sich mit seinen aufkommenden Herzschmerzen. Durch die er aber Dr. Jo Rojas (ELENA ANAYA) kennenlernt, eine Art Gleichgesinnte, die ihm „abrät“ von herzigen Problemen und die sich als Gleichgesinnte herausstellt, weil ihr auch ihre Ehe – mit dem überkandidelten Maler Paco (schön bekloppt: SERGI LÓPEZ) – zu schaffen macht. Während Sue ihre Tage mit Philippe verbringt, vertieft sich Morts Beziehung zu Jo. Zugleich betrachtet Mort die Ereignisse seines Lebens durch das Prisma der Filmklassiker und schöpft neue private Hoffnungen und neue Sichtweisen für die Zukunft. Woody Allens Festivallaune ist mit teilweise absurdem Humor ummantelt und vermischt irreale (Traum-)Situationen mit Geschichten von Romantik und Herzschmerz. Zudem begegnet er dann auch Mr. Death, gespielt von CHRISTOPH WALTZ, der ihm erläutert, warum in seinem Alter gesunde Ernährung bedeutsam sei. Zudem II: Und auch an die Mitnahme einer Darmspiegelung rät der schwarz gekleidete Mr. Tod. Woody Allen ist immer, egal in welcher Stimmung, eine pikante Unterhaltungslust (= 3 PÖNIs).

5.)   TV-TIPP: Diesmal gilt die Empfehlung einem französischen ISABELLE HUPPERT-Film, der ab August 2016 in unseren Lichtspielhäusern lief. Die Autoren-Regisseurin MIA HANSEN-LOVE (die ihren untypischen Nachnamen ihrem dänischen Großvater väterlicherseits verdankt) bereitete der einmal mehr ausdrucksstarken Isabelle Huppert eine belebende Bühne, denn die großartige Französin zelebriert ein wahres Seelen-Beben. Mit dem Film „ALLES WAS KOMMT“ (s. Kino-KRITIK / 4 PÖNIs) kann ARD ONE an diesem Sonntag, 10.7. ab 15.15 Uhr prächtig punkten. 

6.)   ABSCHIED. Geboren am 13. Oktober 1940, gestorben gestern, am 7. Juli 2022 in München. ER war buchstäblich-wortwörtlich DER AUTORENFILMER: KLAUS LEMKE, dessen Karriere 1967 mit „48 Stunden bis Acapulco“ begann. Sein Durchbruch gelang ihm in den 1970er Jahren mit Anarcho-Clips wie „Rocker“ und „Amore“, der 1979 den Adolf-Grimme-Preis in Silber zugesprochen bekam. Mit dem Mainstream konnte Klaus Lemke nichts anfangen. Seine Filme polarisierten und provozierten. Fanden aber oft eine eingeschworene Fan-Gemeinde. Im Kino ging es um Drogen und Sex, um junge Mädchen und Gewalt. Radikal lenkte er seit den 60er Jahren mit seinen Werken den Blick auf soziale Schwachstellen. Viele seiner Filme gleichen Schwabinger Milieustudien – und sorgten für Erfolg und Preise. 2014 widmete ihm das Münchner Filmfest eine eigene Reihe. Angepasst hat er sich deswegen nicht, sondern rumorte weiter lauthals über – die ungerechte – staatliche Filmförderung. Sein jüngster und nunmehr letzter Film heißt „Champagner für die Augen – Gift für den Rest“ und hatte einen Tag vor seinem Tod im BR-TV Premiere. Tschüs Klaus.

(Fotoquelle: Unknown author, James Caan 1976, Ausschnitt von mm, CC BY-SA 3.0 NL)

ABSCHIED II: Der amerikanische Schauspieler JAMES Edmund „Jimmy“ CAAN, geboren am 26. März 1940 in New York, stieg 1972 im Alter von 33 Jahren als Sonny, hitzköpfiger Sohn eines Mafiapatrons, in Francis Ford Coppolas „Der Pate“ zum Star auf. Sein eindrucksvoller Auftritt in dem Gangster-Epos brachte dem sportlich-athletischen Mimen – neben seinen Set-Kollegen Al Pacino und Robert Duvall – eine Nominierung für den Nebenrollen-„Oscar und den „Golden Globe“ ein. (Alle drei hatten das Nachsehen gegen „Cabaret“-Star Joel Gray). In den folgenden Jahren glänzte Caan in Filmen wie Norman Jewisons futuristischem Action-Reißer „Rollerball“ oder Sam Peckinpahs blutigem Agentenduell „Die Killer-Elite“ oder in Rob Reiners brillanter Stephen-King-Verfilmung „Misery“, wo er, als Schriftsteller-Star, von einer Psychopathin gefangen gehalten wird. JAMES CAAN ist am 6. Juli 2022 in Los Angeles gestorben. Die vielen filmischen Erinnerungen leben.

7.)   MUSIK-aktuell: Wenn Manfred Deix und Klaus Lemke auf UDO JÜRGENS treffen. Um gemeinsam zu feiern. Mit welchem Titel? Klare Sache, denn mein Lieblingssong dieser Woche ist die am wenigsten gespielte Pop-Ballade in sämtlichen Rundfunkstationen unseres Landes. . Warum? Weil der Titel, der da heißt ES LEBE DAS LASTER!“, frech und nochmal anstößig sowie deutlich-deftig pulverisiert. Motiv: So lässt sich Stimmung toll-beweglich erzeugen:

Wünsche eine bewegungsvolle, stimmungsintensive Woche.

HERZlich:   PÖNI PÖnack

e-mail:     kontakt@poenack.de

 

 

 

 

Teilen mit: