TIP-Interview mit Philipp Sonntag anlässlich des Kinostarts seines Regie-Debüt-Films „Die Momskys oder Nie wieder Sauerkraut“ im Juni 1981
Begegnung mit einem Komiker
An sich wollte man sich treffen, um über den Debüt-Film zu reden und über ihn, den Komiker und Entertainer Phillip Sonntag. Aber dann wurde es ein Gespräch über die Deutschen und ihr gespaltenes Verhältnis zur Komik, über Vorurteile gegenüber Gastarbeitern, über Rassismus, über die Kulturhierarchie hierzulande. Über Zensur und die Zensoren und über die Chancen, vernünftig überleben zu können.
In Schlesien geboren, in Oberammergau aufgewachsen, in München lebend, so das Personenkurzdiagramm des Phillip Sonntag. Der am 18. Dezember 1941 geboren wurde und nach dem Abschluss der Schneiderlehre mit dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste (Bühnenbild und Kostüm) begann und gleichzeitig die Schauspielschule besuchte. Alle Abschlüsse, die erforderlich waren, wurden getätigt. 1964 dann das erste Engagement an einem Münchner Kellertheater, daneben stattete er einige Theaterstücke und Opern aus. Weitere Laufbahnstichworte: Gastschauspieler am Theater in Düsseldorf, Essen, Hamburg, Köln, Bonn.
Erste Filmrollen, u.a. bei Franz Josef Spieker, Fernseharbeiten. 1973 erster eigener Kurzfilm „Arche PS“, wenig später Mitwirkung bei der WDR-Serie „Früherfahrung“. Autor eines Theaterstückes und mehrerer Kinderbücher, Mitarbeit bei der TV-Serie „Das feuerrote Spielmobil“. Seit 1978 Entertainer mit eigenem Programm. 1980 Verwirklichung des ersten eigenen Spielfilmprojektes.
„Was mich an der Schauspielerei gereizt hat, waren zwei Sachen“, beginnt er das Gespräch. „Das eine war so ein bisschen der Nimbus, so im Sinne – einsames Gauklertum, mit einem Auto durch die Gegend fahren, mal hier, mal da, solche Vorstellungen, solche Bilder; und das andere war eben die Lust, die Leute zum Lachen zu bringen. Das Selbstvertrauen, dass ich ein gewisses komisches Talent habe“.
Aber komisch zu sein, ein Komiker zu sein in Deutschland, das gilt doch nichts?
„Stimmt schon. Die Deutschen haben ein sehr gespaltenes Verhältnis zur Komik. Ich glaube, das hängt mit dem Wunsch nach Tiefe zusammen. Es gibt da ja auch ganz tolle Leute bei uns, die diesen Wunsch irgendwie gerechtfertigt haben. Durch wirkliche Leistungen, was Tiefe betrifft. Sie, die Deutschen, neigen zum fast fanatischen Engagement für links, rechts, rot, grün, völlig wurscht, Hauptsache, es ist nur alles fanatisch. Sie wollen bloß nicht so gerne auf ihre menschlichen Schwächen angesprochen werden, beispielsweise über den Humor, die Komik: es gibt ihnen nichts, wenn man sie daraufhin anspricht. Die Deutschen wollen am liebsten alles ordnen, und das haben wir ja auch alle in uns, sonst wüsste man es ja nicht“.
Und deswegen haben die Komiker so viele Schwierigkeiten mit der Komik?
„Ja. Ich glaube, dass es bei uns sehr viele Menschen gibt, die keinen Humor haben und die auch damit nichts zu tun haben wollen“.
Aber, was macht nun der, der sich berufen fühlt, dennoch Komiker zu sein, was macht der in einer solchen Situation?
„Da existiert noch das ganz einfache Publikum. Da hat’s so ein Komiker nicht schwer. Da muss er nicht Millowitsch oder Hallervorden sein, das kann er sein eigenes Niveau ruhig zeigen. Die Leute werden ihn akzeptieren, werden mit ihm lachen. Das sind andere Leute als die, die in der Kulturszene stecken, also über das Wohl und Weh eines Künstlers bestimmen, die voller Vorurteile gegenüber der Komik sind. Denen Komik nicht behagt, weil – Komik entthront ja alles, was bedeutend sein will, was sich aufblasen will. Und bedeutend zu sein, ist ja einer der weit verbreitetesten Wünsche bei uns. Man möchte gerne etwas darstellen, möchte gerne „tief“ sein, man möchte zeigen, dass man nicht „sinnlos“ ist.
Dabei spielt natürlich auch die Angst eine Rolle, bloß nicht lächerlich zu sein, zu wirken. Deswegen können die Deutschen auch immer so gerne über andere lachen. Aber über sich selbst nicht“.
Ganz im Gegensatz also zum jüdischen Witz, wo man sich über sich selbst ausschüttet. Und bei den Engländern ist es auch weit verbreitet, über sich selbst zu lachen, das ist dort ganz selbstverständlich. Wie war denn das mit seinen Ein-Mann-Shows? Die kamen doch sowohl beim Publikum als auch bei der Presse ganz gut an?
„Ja, weil sie zufällig so auf einer Linie saßen. Da kam gerade diese Clowns- und Theaterfestwelle hoch, wurde Mode, und dann waren diese Shows auch ein bisschen punkig. Nicht vom Äußerlichen her, sondern vom Geist, von der Auffassung. Irgendwie passte meine Sache zu diesem Moment“.
Stichwort punkig, anarchistisch. Hat das auch was mit Dir zu tun?
„Ja, weil ich gewisse starre Formen ablehne. Ich fühl mich auch als Anarchist, aber nicht um jeden Preis. ich erkenne einfach Einengungen, Gesetze, die wir uns gegenseitig auferlegen, nicht an, wenn sie mir nicht in meine inneren Gesetze passen. Also bin ich anarchistisch, vielleicht kann man das so nennen“.
Wir wollen jetzt mal über den Film reden. der ja eigentlich typische Gastarbeiter-Vorurteile bestätigt: schlitzäugig, Knoblauchfressend, unappetitlich, ein unkultivierter Haufen Menschen-Müll. Zu Hause einen Saustall.
„Und jetzt ein Film, der die Frechheit hat, das noch alles zu übertreffen. Der diesen bescheuerten, bekloppten Vorurteilen noch „Zucker“ gibt. Die bildliche Darstellung ist geeignet, um die schlimmsten Ängste nur mehr zu bestätigen, aber da ist ja dann das KINO, das sie gleichzeitig lachend befreit, wegnimmt. Ich versteh das so, dass die Leute heutzutage eine wahnsinnige Angst vor Dingen haben, die vielleicht als rassistisch gelten können. Und sich höllisch vorsehen, überhaupt gewisse Worte nur zu benutzen, weil sie im Grunde Rassisten sind. Wenn einer gegen Griechen, Juden, Schwarze nichts hat, deswegen kann er noch immer tausend Mal ein Rassist sein. Der gegen seine Mitmenschen aus einer anderen Klasse, sowohl einer höheren als auch einer niederen, permanent anrennt. Und die Leute, die sich über den Film so ärgern, die sind rassistisch – und fühlen sich in ihrem Rassismus ertappt“.
Wie bist Du bei dem Projekt vorgegangen, wie ist es entstanden?
„Es schwebte mir so ein Genre vor. Ganz gewisse Typen versuchen eine kriminelle Tat zu machen. Und das im Rahmen einer Komödie. Wir haben angefangen, die Motive zu suchen, und in München, da gibt’s nicht so viele Straßen, die irgendwie ganz gut noch riechen. Die noch was Schräges haben. Dann sind wir auf ein Viertel gestoßen und haben gemerkt: dies ist doch eine Straße, da ist doch noch irgendwas los. Da hörte man so gewisse Geräusche, und die war auch schön. Und so entstand das. Die meisten Schauspieler hatte ich schon vorher, die kannte ich und die mochte ich, und mit denen wollte ich zusammenarbeiten“.
In der ablehnenden FSK-Begründung ist von ‚Verletzung der Würde‘ in Zusammenhang mit den Schlägen die Rede, die die propere, dufte Blondine manchmal bekommt.
„So viele Leute hängen an einer Würde. Gut, jede Generation hat eine andere Form, aber es gibt so eine äußerliche Würde, das Bedürfnis ist ganz stark da. Und der Film verletzt das vielleicht. Warum auch nicht?“
Blöde Frage, aber mir fällt keine andere Formulierung im Moment ein. Wie willst Du „Die Momskys“ sehen, welche Aussage steckt darin außer der, dass es viel zu lachen gibt?
„Mir geht’s darum zu sagen, wir haben alle die und die Fehler wie Eifersucht, Aggression, Lieblosigkeit, und dies wird offen ausgesprochen. Gelichzeitig wird bewiesen, dass man gerade den Menschen so nehmen soll wie er ist. Und nicht immer von ihm verlangen, dass er so toll, so perfekt ist. Es war nicht unbedingt die Absicht, solch einen Tiefgang in den Film zu bringen, aber das sind halt meine weltanschaulichen Überlegungen meinen Mitmenschen gegenüber. Und die kommen da halt aus Versehen drin vor“.
Aber Du würdest doch gelten lassen, packt man den Film zunächst in die Schublade „Humor-Kintopp?“
„Klar. Im Publikum existiert das Bedürfnis nach Schubladen. Insofern, wenn man den Film verkaufen will, sollte man ruhig die Schublade anbieten. Damit erstmal die Leute drauf reagieren können und sagen können, okay, das ist meine, die interessiert mich“.
Nun gab’s ja schon ziemlich viel Ärger und Enttäuschungen mit dem Film, viele, vor allen Dingen „amtliche“ Personen und Instanzen, haben das, was Du da gemacht hast, abgelehnt, haben gesagt, das mögen wir aber gar nicht. Wie war/ist Deine Reaktion darauf?
„Es ist schon wie ein persönlicher Angriff. manchmal“.
Wo fühlst Du Dich angegriffen?
„Wenn Leute nicht die Fehler sehen, die in dem Film vielleicht sind, weil’s der erste ist, weil nur so und so viel Geld da war, sondern weil sie irgendwelche Fehler sehen, die gar nicht drin sind, die sie aber über ihre Fantasie hinein interpretieren. Und wenn sie die Absicht nicht erkennen, nicht honorieren, wie weit man auf dem Wege zu seiner Absicht ist. Das ist so, als wenn einer eine Sprache zu sprechen versucht und er kann sie schon ganz gut, aber da die Leute die Sprache in ihrer perfekten Ausübung gar nicht kennen, können sie nie honorieren, wie gut der diese Sprache schon spricht“.
Zählst Du dazu auch unsere staatlichen Filmförderer?
„Filmförderung macht alles noch schlimmer. Gremien bestimmen, was dem Volk vorgesetzt wird und was nicht. Also, das bedeutet Zensur/Zensoren. Die können sich ja drehen und wenden wie sie wollen und sich in Details verlieren, es bedeutet nichts anderes als Zensur“.
Also weg mit unserem Filmförderungssystem?
„Auf die Gefahr hin, dass ich was Undurchdachtes sage – aber es ist so mit Künsten, die so viel Technik und damit Geld brauchen: da kommt automatisch erstmal Korruption in das Gewerbe. Wo Geld ist, ist auch Korruption. Das ist ganz normal und auch nicht so wahnsinnig tragisch, damit könnte man vielleicht noch fertig werden. Wenn aber jetzt ein weiterer Schritt gemacht wird, das nun auch noch so eine Art staatliches Onkelposition, so eine väterliche Sache abläuft, die sagt, das hast du gut gemacht und das schlecht, dann kommt zur Korruption noch was dazu – nicht Arschkriecherei, aber noch eine neue Quelle der Entsetzlichkeit, eine neue Gefahrenquelle. Für eine ganz besondere Art von Intrigen: der geistigen Manipulation. Der Gängelei. Irgendwie ist dieses System ja auch meinungsüberwachend, meinungsbildend. Die Förderungen sind vom Staat. Und dem geht es ja nicht um das Geschäft mit Filmen, mit Waffen ja, aber nicht mit Filmen. Und der gibt ja nicht sein Geld aus Liebe. Bestimmt nicht. Sie wollen auf diese Weise Zensur. Das haben schon viele gesagt, und sie haben Recht. Da können die tollsten Leute drinstecken, dieses System schafft Zensur“.
Aber ohne Zensur ist doch hierzulande keine Filmherstellung mehr möglich?
„Wer sagt denn das? Vielleicht würden von hundert Filmemachern nur einer oder zwei noch einen Film machen können. Aber lieber der eine, die zwei. Und wenn auch der eine ein reiner Porno-Film wäre, damit Geld wieder reinkommt. Aber dies ist die einzige Chance, das was entstehen kann meiner Meinung nach“.
Und die anderen 99? Die dann auf der Straße. Was machen die?
„Viele von den Leuten, die mit/in diesem System Filme machen, die sind – sagen wir mal – nicht unbedingt prädestiniert für das Kunstmedium Film. Die könnten durchaus in anderen Berufen arbeiten“.
Also wirklich lieber diese ganze Filmförderung einstellen?
„Ja , und ich finde, beim Theater ist es dasselbe. Das sind Kunstsärge. Die Kunst wird dadurch getötet, dass sie ganz schnelle immer gleich zur Kultur rübergekauft wird“.
Aber Du hast Dich doch auch bemüht, Förderungsgelder zu bekommen?
„Na und? Ich bin doch nicht größenwahnsinnig, wenn ich das Geld kriegen kann…“.
Aber was für ein Widerspruch steckt doch in Deinem Verhalten?
„Ja, aber jeder hat einen Widerspruch. Wenn einer widerspruchslos versucht zu leben, das geht nicht“.
Wie wirst Du weitermachen?
„Mit Komik. Komik hat was mit Liebe zu tun. Komik mit Aggression, die aber was Befreiendes hat. Auf der einen Seite gibt es wahnwitzige Aggression, auf der anderen gibt es eine unheimliche Disziplinierung der Aggression. Wir selber disziplinieren ja unsere Aggression auch andauern. Und suchen schon Psychiater auf, die uns dann wieder erlauben, aggressiv zu sein. Meistens dann sogar am falschen Platz“.
Beispielsweise beim Filmemachen?
„Nein, höchstens in der Herstellung von Dreck. Weil doch alles bei uns so sauber gehalten wird, in München ist das noch schlimmer als in Berlin. Das kommt mir vor wie Leute, die immer Unkraut jäten, weil sie einfach nicht sehen, wie schön Unkraut ist. Wenn jeder das Mauerumfeld um seine Balkone streichen könnte wie er wollte, dann wäre im Detail vielleicht irgendwo eine verschmierte, schlampige Geschmacklosigkeit sichtbar, okay. Was uns aber nichts angeht. Aber im Ganzen wäre das ein total menschliches, buntes Bild. Man hindert die Menschen daran, das Phänomen Stadtpositiv weiterzutreiben. Indem man’s immerfort reparieren will. Die Stadt hat unheimlich viele Nachteile, aber sie ist auch eine ganz tolle Sache. Wie sie sich alle zusammendrängen…Und der einzige Ausweg aus dieser Misere ist so eine Art scheinbares Chaos“.
Aber das würde gegen jede Regel, Ordnung, gegen alle Erziehung verstoßen?
„Das ist nur die Angst vor dem Unkontrollierten. Es wurde doch schon in erlaubtem Rahmen im Fernsehen tausend Mal festgestellt, Leistungsstress, Erziehung zur gesellschaftlichen Tüchtigkeit, Schülerselbstmorde, da ist ein Zusammenhang, das muss geändert werden. Und trotzdem werden diese Erkenntnisse einfach nicht genutzt. Wir leben heute in einer heidnischen Zeit. Inzwischen haben sich in dem Vokabular des Bürgers so Sachen eingeschlichen wie – sich durchsetzen, eine große Persönlichkeit sein, und das widerspricht ja alles ganz anderen Erkenntnissen, auf den unsere Kultur mal basierte.
Es schaffen…und alles andere, was sie bunt macht und menschlich, dass sie es nicht schaffen, das sie es wirklich nicht den ganzen Tag durchhalten, das sie sozusagen gesellschaftliche Dilettanten sind – das finde ich, ist die einzige Chance. Die Chance zur Unvollkommenheit. Wenn alle Pläne, auch die guten, funktionieren würden, dann wäre das die Hölle. Die einzige Chance ist, dass wir’s nicht schaffen. Kaum haben wir was gerade betoniert, reißt es drüben schon die Mauer ein. Kaum ist das Schiff fertig, setzt unten schon der Rost an. Das ist unsere einzige Chance. Sonst würden die Verbesserer einfach ein totes, perfektes System schaffen, in dem alles kaputt geht, was Leben ist. Und deshalb ist es bei den Momskys eben so schön chaotisch“.