PHASE IV

Heute klinke ich mich mal aus dem aktuellen Angebot aus und stelle – gerne – einen der wirklich ungewöhnlichsten Spielfilme aller Zeiten vor:

PHASE IV“ von Saul Bass (USA/GB 1973; B: Mayo Simon; K: Dick Bush; Insected Sequences by Ken Middleham; M: Brian Gascoigne; 80 Minuten; Start D: 27.1.1977; Video-Veröffentlichung: 22.10.2002; DVD-Veröffentlichung: 05.01.2012).

Sich mit nur einem einzigen eigenen Film cineastisch unsterblich zu machen, schaffen wenige. SAUL BASS, geboren am 8. Mai 1920 in New York, verstorben am 25. April 1996 in Los Angeles, hat dies vollbracht. Saul Bass studierte in New York an der „Art Students League“ und am „Brooklyn College“ (beim ungarischen Maler György Kepes) und arbeitete zunächst als freier Designer. 1946 ging er nach Los Angeles. Wurde dort zu einem der begehrtesten Titel-Designer, Vorspann-Experten und Plakat-Entwerfer. War für Regisseure wie Otto Preminger („Carmen Jones“, „Der Mann mit dem goldenen Arm“), Robert Aldrich („Hollywood-Story“) und Alfred Hitchcock („Psycho“, „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“) tätig. Saul Bass ist für den populärsten Mord in der Filmgeschichte mit-verantwortlich, denn er zeichnete das Storyboard für die berühmte Duschmordszene im Schwarz-Weiß-Klassiker „Psycho“ von Alfred Hitchcock (1960) und war auch an der Realisierung dieser historischen Sequenz beteiligt. 1964 war Saul Bass Teilnehmer der „documenta III“ in Kassel. 1969 bekam er den „Oscar“ für seinen animierten Dokumentar-Kurzfilm „Why man creates“. 1978 wurde er in die „New York Art Directors Hall of Fame“ aufgenommen. 1988 erhielt er den „Lifetime Achievement Award“ des „Art Directors Club Los Angeles“ für „sein Lebenswerk“ zugesprochen.

„Phase IV“ basiert motivhaft auf der Kurzgeschichte „Empire of the Ants“ des englischen Schriftstellers und Pioniers der Science-Fiction-Literatur H. G. WELLS (1886-1946) aus dem Jahr 1905. „Als die Auswirkungen eintraten, blieben sie fast unbemerkt, weil sie sich an einer kleinen und unbedeutenden Form von Leben zeigten“, erklärt uns der Biologe Ernest D. Hubbs (NIGEL DAVENPORT) eingangs nüchtern. Während die Kamera auf kleine, harmlose Ameisen blickt. Doch Hubbs hat (als einziger) festgestellt, dass DIE keineswegs so harmlos und „unschuldig“ sind wie bislang allgemein angenommen. Wurde. Ganz im Gegenteil, sie vermögen mittenmal untereinander „zu kommunizieren“. Sie versammeln sich, tauschen sich aus, breiten sich vor. Doch — auf WAS??? Ameisen??? Hubbs hat „mitten drin“, also mitten unter ihnen, ein hermetisch abgedichtetes Versuchslabor eingerichtet, um das veränderte Verhalten der kleinen „tüchtigen“ Krabbeltiere zu erforschen. Gemeinsam mit dem herbeigerufenen, auf tierische Kommunikation spezialisierten Forscher James R. Lesko (MICHAEL MURPHY). Denn im Memorandum von Hubbs lautete das erste bedrohliche Fazit: „Störung des biologischen Gleichgewichts in einem Hochlandtal von Arizona“. Was so viel bedeutet wie – Ameisen haben offensichtlich dem Menschen den Krieg erklärt.

Die meisten ansässigen Farmer haben den Landstrich inzwischen fluchtartig verlassen, sie waren den Attacken der gigantischen wie „diszipliniert kriegerischen“ Ameisenvölkern nicht mehr gewachsen. Diese haben inzwischen riesige monolithische Türme „gebaut“ und die letzte hier noch lebende Farmer-Familie angegriffen. Die einzig überlebende Enkelin Kendra (LYNNE FREDERICK) wird von den Forschern in ihrem engen Labor aufgenommen. „Draußen“ beweisen die Tiere Überlebenskräfte, passen sich den ausgestreuten Giften schnell resistent an. Und: Trotz immenser „Verluste“ werden sie immer mehr. Und: Sie vermögen offensichtlich sogar „richtig zu denken“. Indem sie „logischen Gesetzen“ folgen. Nach denen handeln. Sozusagen taktisch-praktisch. Errichten große Spiegel, die das Sonnenlicht reflektieren, um die Laborstation mit hoher Hitze zu zerstören. Zugleich greifen sie „bewusst“ die Klimaanlage an, um sie auszuschalten. Unfassbar, aber dann wird es wahrhaftig – es ist sogar eine „Kommunikation“ zwischen den Kontrahenten möglich. Aus der deutlich wird…..die Viecher gieren nach einem Opfer. Unterdessen machen sich die drei Menschen auf, deren „Führerin“, die Königin, auszuschalten.

Natürlich ist das Fiktion. Science Fiction. „Phase IV“ ist ein phantastischer NATUR-THRILLER. Allerdings mit SEHR viel realistischem Geschmack. Wie wir heute wissen. Menschen haben diesen Planeten durch ihr Plünderungs- und Zerstörungsverhalten in Gefahr gebracht. Haben in ihrem Hochmut eine Technik entwickelt, von der sie glauben, dadurch unangreifbar zu sein. Sind und wirken „dadurch“ aber eher abgestumpft. Und empfindungslos. Halten sich für die Alleswissenden, Alles-Beherrschenden, Allergrößten. Haben Computer errichtet, die sie nur noch bedienen, „schalten“, müssen, damit alles einwandfrei funktioniert. Alle Anderen auf diesem Planeten, zum Beispiel die Tiere, sind zu „Sklaven“ degradiert. Die von der „Gunst“ des Menschen abhängig sind, um überhaupt zu existieren. Mitleben zu dürfen. Dass DIE aber weitaus „mehr“ vermögen, gar klüger und überlegener sein können oder gar sind – erscheint absolut unmöglich. Der Mensch ist einzig der Maßstab ALLER DINGE. Auf der Erde. Denkt er. Und handelt ständig „so“. Schließlich: Lachhaft, wieso sollen, können, wollen gerade AMEISEN dies ändern…korrigieren??? Geht doch gar nicht. Oder? Etwa doch?

In den – amerikanischen – 1950er Kinojahren übernahm Hollywood unterschwellig die Angst der Menschen vor atomaren Katastrophen mit Monsterfilmen wie „Formicula“ oder „Tarantula“. In den 1970er Jahren wurde die filmische Unterhaltungskritik an der „falschen Behandlung“ des Menschen im Umgang mit der Natur an Genrefilmen wie „Frogs“ oder „Mörderspinnen“ deutlich. Allerdings kam es vorrangig mehr auf das Spektakel als auf eine offene Auseinandersetzung mit den „menschlichen Schandtaten“ an.
Dem Film „Phase IV“ von Saul Bass gelingt, ebenso auf- wie anregend, bildhaft sensationell sowie vor allem auch akustisch hochkarätig atmosphärisch, der spannende Mittelweg. Indem er auf die Dünnhäutigkeit sowie Arroganz der Scheinbar-Mächtigen verweist, den Homo Sapiens. Um sich dann aber, vortrefflich intensiv, auf optisch erstaunliche, also brillante, faszinierende Weise auf die „wirklich Starken“ zu konzentrieren: „Saul Bass macht die phantastische Geschichte nachvollziehbar, indem er von vornherein einen Stil einführt, der reale Vorgänge filmisch verfremdet und auf breite Grundmuster reduziert. Dabei bedient er sich aller erdenklichen technischen Mittel, von extremen Brennweiten und Zeitraffern angefangen bis hin zu frappierenden Kreationen im Trickstudio. Immer wieder lässt er Aktionen zu grafischen Formeln einfrieren, setzt er alltägliche Natur-und Landschaftsaufnahmen in apokalyptische Reizbilder um“ (aus „film-dienst“-Kritik vom 15. Februar 1977). In der Tat, WIE das kreative Team um Saul Bass damals in diese Ameisenwelt einblickte und mit diesen Ameisen-Darstellern „arbeitete“, ist beklemmend, eindrucksvoll, grandios. Da haben die „paar Spezis Mensch“ definitiv keine Chance. Gegen diese abertausenden von fleißigen, opferbereiten, nur „ihrem Ziel“ verpflichteten majestätischen Krabblern. Von einem höllisch spannendes Duell wird hier erzählt: Von total ungleichen Gegnern, von gnadenlos überlegenen wie absolut cleveren Sechsfüßlern und von überraschten, irritierten, lächerlichen Zweibeinern. Deren Möglichkeiten in Sachen Wehren und Überleben bald hilflos wie ausgeschöpft scheinen.

Was für ein Film-HAMMER. „Phase IV“ gewann 1975 auf dem „Filmfestival der Science Fiction“ in Triest den „Grand Prix“. Passt auch heute immer noch oder längst schon wieder prächtig in jeden Bauch und Kopf. Beziehungsweise umgekehrt!
Schade, dass dieses Juwel von Realo-Fiction-Horror ohne jedes Bonusmaterial daherkommt. Hierzu, hierfür gäbe es hinterher viel zu erfahren. Hätte man sich bei solch einem Wüsten-Klassiker unbedingt gewünscht. Vielleicht kann der Anbieter das ja demnächst nachholen. Es wäre wünschenswert. Denn „Phase IV“ ist ein Meisterwerk der Filmgeschichte. Dass es zu hüten und zu pflegen ebenso wie zu kommentieren gilt. Immer und immer mal wieder. Neu. In unseren Umkipp-Zeiten (= 5 PÖNIs).

Anbieter: „Paramount Home Entertainment“

 

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