PÖNIs: (5/5)
„PARASITE“ von Bong Joon-ho (B + R; Südkorea 2018; K: Hong Kyung-pyo; M: Jeong Jae-il; 132 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.10.2019); der Parasit. Auch: Schmarotzer genannt. Auf seine spezielle Art: pfiffig! (Über-)Lebt vom Bestand, vom Vorrat anderer. Meist größerer Organismen. „Besorgt“ sich aber immer nur so viel wie er für sich braucht. Was er für sich benötigt. Was dazu führt, dass er seine Lebensgrundlage erhält. Sowie: Sein „Geber“ bemerkt ihn, den „Mit-Esser“, oft gar nicht. So dass es zu einer insgesamt gerechten Verteilung kommt. Der, der zuviel Substanz besitzt, gibt unbewusst dem, der wenig hat, von sich ab. Der Bedarf orientiert sich am Überschuss. Von wegen: eine exzellente, weil eigentlich gerechte Verteilungspolitik beim Auftauchen – von Parasiten.
„In den modernen Gesellschaften tut man so, als habe man die Hierarchien und die sozialen Klassen abgeschafft. Aber so ist es ja nicht. Die Kluft zwischen den beiden ist eher noch größer geworden, und ich befürchte, dass Arm und Reich immer weiter auseinanderdriften werden. Jemand, der heute in Armut hineingeboren wird, kommt nicht mehr heraus“ (der Autoren-Regisseur Bong Joon-ho/Interview in „Berliner Zeitung“ vom 10.10.2019).
BONG JOON-HO. Geboren am 14. September 1969 in Daegu/Südkorea. Absolvent der Koreanischen Filmakademie. Danach viele Kurzfilme. „Hunde, die bellen, beißen nicht“ war 2000 sein erster abendfüllender Spielfilm. „Memories of Murder“ folgte drei Jahre später und erhielt vier einheimische „Oscars“ (die „Grand Bell Awards“). Der Monsterfilm „The Host“ erschien 2006 und katapultierte Joon-ho endgültig zum Starregisseur des südkoreanischen Kinos; in weniger als drei Wochen kam dieser Film auf über 10 Millionen Kinozuschauer und setzte für Südkorea eine neue Rekordmarke. Das französische Fach-Magazin „Cahiers du cinéma“ führte ihn als drittbesten Film des Jahres. Der nächste (Regie-)“Grand Bell Award“ war fällig. Im September 2014 lief bei uns seine Thriller-Parabel „Snowpiercer“ an (s. Kino-KRITIK) und stieß auf viel Zuspruch und Begeisterung (= 4 1/2 PÖNIs). Sein neues Werk erhielt im Frühjahr bei den Filmfestspielen von Cannes den Hauptpreis, die „Goldene Palme“. Es war das erste Mal, dass ein südkoreanischer Film diese Auszeichnung erhielt. Das „Filmfest München“ widmete Bong Joon-ho kürzlich eine Retrospektive.
In „PARASITE“ existieren zwei Welten. Selbstverständlich. Am Beispiel: Es regnet stark. Natürlich ebenso intensiv bei Arm UND Reich. Dennoch zeigen sich erhebliche Unterschiede. Für den Jungen aus der reichen Familie Park halten sich die Beeinträchtigungen in Grenzen; bei den armen Kims dagegen quillt die Kanalisation aus dem Klo heraus. Mit ekligen Folgen. Doch neben diesen „praktischen Auswirkungen“ fällt natürlich ein Motiv ins Gewicht: Die Angst beziehungsweise das Bewusstsein der vierköpfigen Unterschichten-Sippe Kim, nie aus diesem schimmeligen „Keller-Dreck“ herauskommen zu können. Keine normalen Lebens-Chancen zu haben. Diese nie zu bekommen.
Ein Zufall ändert dies. Kim-Sohn Ki-woo bekommt vertretungsweise den Job als Englisch-Lehrer für den Teenager Da-hye aus der Park-Familie. Die in einer komfortablen, hypermodernen Villa in der Oberstadt lebt. Arm zu sein bedeutet ja keineswegs auch „doof“ zu sein. Ganz im gerissenen Gegenteil. Mit diskreter Bauernschläue „bemüht“ sich fortan die Kim-Sippe, „mehr“ zu bekommen als nur „Brotkrumen“. Sie setzen viele amüsante wie konsequente Hebel in Gang und Bewegung, um nach und nach ihre Familienmitglieder HIER – bei den Parks – „gewinnbringend“ unterzubringen. Und: um das bisherige Personal „zu verscheuchen“. Das Wie will ich nicht beschreiben, denn Regisseur Bong Joon-ho hat in Cannes und bei vielen Vorführungen danach immer wieder gebeten, nach Möglichkeit so wenig wie möglich seine – listigen, gedanklichen wie visuell pikanten wie handlungsintensiven – exquisiten Auswüchse innerhalb einer Kritik bekannt zu machen. Zudem ist es hier in der Tat sehr viel spannender, faszinierender und überraschender, wenn sich die verblüffenden Ereignisse unbekannt entwickeln. Tragikomisch wie stürmisch ausbreiten. Dabei zeigt sich Bong Joon-ho nicht als larmoyanter Sozialkritiker, der mit ideologischer Fahne wedelt, um auf eine gesellschaftliche Instabilität hinzuweisen, aufmerksam zu machen, sondern: Sein Film mischt „Soziales“/viel: Suspense/Komik/Schwarze Komödie zusammen als böse Klassenkampf-Satire, die tiefgründig-emotional bis in geheimnisvolle Räume vordringt, bei denen der erfinderische Wahn-Charme von unerwartetem Pöbel-Horror auftaucht. Motto: Der nächste Dark-Room wartet.
Mit prächtigen Cinemascope-Bildern verführend, die während der ganzen Zeit schon den abscheulichen Schmutz und Geruch von Orten und Geschehen besonders „fein“ = nuanciert beleuchten. Wobei Licht, Schatten in Verbindung mit dem Sound eine zutiefst verführerisch-unheimliche wie irrwitzig-schöne (Be-)Deutung besitzen. Beispiel: Alleine „den Treppen“ und ihrem „Begehen“ gilt es, eine besondere Interpretations-Metapher-Aufmerksamkeit zu widmen.
Auf den Geschmack gekommen? So soll es sein. Alleine – wer Aufklärung, „Lösung“, gar ein Happy-End erwartet, wird – hoffentlich – ebenso angenehm-angefressen-irritiert sein wie ich. Wieso??? Die (Ab-)Rechnung serviert zu bekommen, bedeutet keineswegs, das angepeilte Glück zu empfangen. Denkste. Stichwort: Menschen sind immer auch: unberechenbar.
„Parasite“ ist natürlich auch ein gerissener politischer Film: „Ein Film kann die Welt nicht verändern, und ich drehe auch keine Filme mit der Absicht, dies zu tun. Ich drehe Filme auch aus Freude an der Schönheit. Und es geht mir um den Menschen. Wenn man als Filmemacher das Leben von Menschen darstellt, ist das immer auch ein politischer Akt“ (Bong Joon-ho).
„Parasite“, schon der Titel platziert die ironische Betonung, zählt zu den ganz gewichtigen Unterhaltungsfilmen dieses Jahres. Neben „Joker“ der zweite überragende Muss-Film in diesen Wochen (= 5 PÖNIs).