NOMADEN DES HIMMELS

NOMADEN DES HIMMELS“ von Mirlan Abdykalykov (B+R; Kirgistan 2015; K: Talant Akynbekov; 81 Minuten; Start D: 14.04.2016); hört sich hochgestochen an, ist aber „wirklich“: Der Reiz, der mich einst zum „Film“ gebracht hat, war vor allem der Wunsch, „so“ viele Orte der Welt kennenzulernen. Natürlich ist die „Manipulation“ durch die übermächtigen amerikanischen Spielfilme immens. Was Tempo, also Bewegung, Denk- und Handlungsweise plus die vielen „technischen Mätzchen“ angeht. Vor allem aber nervt mich in den letzten Jahren bei Ami-Filmen die ständig zunehmende Drecks-Ideologie, Probleme ausschließlich mit und durch Gewalt „zu lösen“. Was sich schlimm in den Köpfen manifestiert. Denkfaul festsetzt.

Warum diese – hoffentlich nicht ausschweifende – Einleitung hin zur Betrachtung eines neuen kirgisischen Spielfilms?: Weil der Kulturschock ebenso verblüffend wie hochinteressant wie faszinierend ist. Denn hier besteht Leben, Existieren, das Miteinander, aus Ursprünglichkeit. Weit weg von jeglicher „heftigen“ Zivilisation. Ohne deren Krach-Wucht. Weit weg von dem Wunsch, ständig „berieselt“, also gelenkt & betäubt, zu werden. Weit weg von der permanenten Suche nach Unterhaltung, Ablenkung, durch Unruhe, Neuem, dem Immer-Machen. Klar, erscheint dies aus unserer Sicht „langweilig“. Retro, wie es neu-deutsch heißt. Die Menschen hier aber haben dieses „Nichts-Passieren“ in unserem Sinne verinnerlicht. Leben danach. Und machen nicht den Eindruck, mit und in dieser Zurückgezogenheit viel zu „versäumen“. Ansichtssache Leben, könnte dieser feine, kleine Film auch heißen, den Kirgistan für die diesjährige Auslands-„Oscar“-Nominierungen einreichte. Dessen Spannung „anders“ als Film-gewohnt abläuft.

Der Langfilm-Erstling des kirgisischen Schauspielers, Drehbuch-Autoren und Regisseurs MIRLAN ABDYKALYKOV, 33, ist hoch oben in den kirgisischen Bergen angesiedelt. Inmitten einer wunderschönen und noch unberührten Bergschluchten-Landschaft (= eine Eisenbahnweg soll demnächst hier in der Gegend gebaut werden, ist – zunächst, nebenbei – zu vernehmen). Hier lebt eine Nomadenfamilie: Ein alter, weiser Hirte (TABYLDY AKTANOV) als besonnenes Oberhaupt, dessen Gespür für die „Stimmungen“ innerhalb der kleinen Gemeinschaft, innerhalb der Sippe, ausgeprägt ist; seine Frau als steter „Bedenkenträger“, ihre Schwiegertochter Shaiyr und die kleine Enkelin Umsunai. Der Ehemann von Shaiyr ist vor Jahren bei dem Versuch, Fohlen aus dem Fluss zu retten, ertrunken. Doch die siebenjährige Umsunai ist fest davon überzeugt, dass Papa weiterlebt. Als Adler, der seine Kreise sichtbar über den Gipfeln zieht. Und wie es in einer der heimischen Legenden heißt.

Als der in der Nähe stationierte Meteorologe Ermek auftaucht und sanft um Shaiyr wirbt, ahnen die Großeltern, dass die Sippe auseinanderzubrechen droht. Denn junge Leute zieht es vermehrt in die Stadt. Wo inzwischen auch Shaiyrs Sohn und Umsunais größerer Bruder als Student lebt. Seine Hin-und-Wieder-Besuche bei seiner Hirten-Familie im Tal und seine vielen „aufregenden Geschichten“ über das Stadt-Leben sind für die Alten Vorboten für familiäre Entfremdung und kommende Verzweiflung. Die Tradition beginnt zu bröckeln. Und dann sieht der Alte das schwere Baugerät, das plötzlich auf den Wiesen wie dunkle Omen auftaucht und schmerzhafte Veränderungen ankündigt. Mit jedem Stück Natur, das langsam verschwindet, scheint sich auch ein Stück Menschen- und Orts-Seele zu verflüchtigen.

Davon wird erzählt. „Darum“ geht es. Leben im Einklang mit der Natur. Und den Pferden. Um die Qualität des Miteinanders. Und die im Raum stehenden „Bedenken“: Macht „das“ überhaupt noch Sinn? Oder ist „solch“ ein Da-Sein längst nur noch altbacken, „exotisch“, überholt, zwangsläufig bald nicht mehr „gültig“? Der Film beobachtet. Den täglichen Ablauf. Dieser kleinen Gruppe. Wo die Unmittelbarkeit zur Umgebung und zu den Tieren „Aktion“ bedeutet. Und wo die Gelassenheit gegenüber den – aus unseren Augen – vergleichsweise bescheidenen Gegebenheiten imponiert. Emotionale Großakzente, reißerische Konflikt-Motive, Figuren-Duelle: Fehlanzeige.

„Nomaden des Himmels“ ist ein Film zum Innehalten. Der meditative Sog. Man empfindet sich „hinein“ in diese ganz ferne Welt, mit ihren würdevollen Menschen und in diese einzigartige Schönheit von – noch – unberührter Landschaft. Der Traditionalist Mirlan Abdykalykov im Presseheft: „Kirgistan ist ein kleines Land, und in Zeiten der Globalisierung besteht die Gefahr, dass es verschwinden könnte, wenn wir nicht sein einzigartiges Gesicht erhalten: unsere Kultur, Sprache und Identität. Ich möchte in meinem Film…..von der Reinheit der menschlichen Beziehungen, der Liebe und der Familienformen erzählen, wenn die Traditionen an erster Stelle gesetzt werden“.

„Nomaden des Himmels“ bedeutet, sich auf eine ungewöhnliche Film-Reise zu begeben (= 4 PÖNIs).

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