„NETWORK“ von Sidney Lumet (R + Schnitt; USA 1976; B: Paddy Chayefsky; K: Owen Roizman; M: Elliot Lawrence; 122 Minuten; BRD-Kinostart: 10.3.1977; deutscher Heimkino-Start: 19.4.2018); dies passiert nicht sehr oft – dass ein über 40 Jahre alter Film heute noch genauso aktuell und brisant erscheint wie bei der Uraufführung. Der für 6 „Oscars“ nominierte Film „NETWORK“ von SIDNEY LUMET (25. Juni 1924 – 9. April 2011), einer der renommiertesten amerikanischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts, erhielt schließlich 4 Trophäen: posthum für den britischen Hauptakteur PETER FINCH (28.9.1916 – 14.1.1977); für die Hauptdarstellerin FAYE DUNAWAY; für den renommierten Drehbuch-Autoren und Komponisten PADDY CHAYEFSKY (29.1.1923 – 1.8.1981 /“Westwärts zieht der Wind“/1969) sowie für BEATRICE STRAIGHT für ihren 6-minütigen Auftritt, dem kürzesten Auftritt aller Zeiten mit „Oscar“-Auszeichnung, als „Beste Nebendarstellerin“. Regisseur SIDNEY LUMET musste sich mit einem „Goldenen Regie-Globe“ „begnügen“. Apropos – für Liebhaber auf der Suche nach bestem Filmfutter – Sidney Lumet führte bei mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen aus allen Genres die Regie, und die meisten davon gelten als weit überdurchschnittlich bis herausragend. Filme wie „Die zwölf Geschworenen“ (1957/“Goldener Berlinale-Bär“); „Der Pfandleiher“ (1964); „Ein Haufen toller Hunde“ (1965); „Der Anderson Clan“ (1971); „Serpico“ (1973); „Mord im Orient-Express“ (1974/mit Albert Finney als Hercule Poirot); „Hundstage“ (1975); „The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ (1982); „Nacht über Manhattan“ (1997) und sein überragender „Abschiedsfilm“ von 2007, „Tödliche Entscheidung“ (s. Kino-KRITIK), sind Meisterwerke. 2005 übrigens wurde der auch als „Meister der Justizfilme“ gepriesene Filmkünstler mit dem „Ehren-Oscar“ für „Sein Lebenswerk“ gekürt. Sein jetzt wieder zu entdeckender Medien-Geniestreich „NETWORK“ wurde zudem von den Juroren des „American Film Institute“ 1998 und 2007 in die Liste der „100 besten amerikanische Filme aller Zeiten“ eingemeindet. Und im Jahr 2000 wurde „Network“ als „kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsam“ in den amerikanischen „Library of Congress“ aufgenommen.
Sehr viel Ehre und Würdigung für einen Film, der überhaupt nicht gealtert ist und dessen Thema heutzutage aber so etwas von weiter-„brennt“. Es rumort im New Yorker TV-Sender UBS („Union Broadcasting System“). Dessen Aushängeschild seit vielen Jahren ihr Nachrichtensprecher Howard Beale (PETER FINCH) ist. Doch dessen Quoten befinden sich im Abwärtstrend. Was bisher „hingenommen“ wurde. Die seriösen Nachrichten bleiben unangetastet, hatte man dem Chef des Nachrichtenressorts, Max Schumacher (WILLIAM HOLDEN), versprochen. Doch neue Eigentümer und deren Büro-Adlaten („Der Profit muss maximiert werden“) sowie neue „dynamische“ Mitarbeiter verkünden Restrukturierungsmaßnahmen. Was so viel bedeutet wie: Howard soll abdanken. Der denkt aber gar nicht daran. Verkündet am nächsten Abend laut und aggressiv: In einer Woche werde er sich an diesem Platz vor aller TV-Öffentlichkeit live eine Kugel in den Kopf jagen. Diana Christensen (FAYE DUNAWAY) ist begeistert, riecht eine gigantische Quoten- und ebensolche Werbeeinnahme-Chance: „Das amerikanische Volk wird sauer. Von allen Seiten hat es Katastrophen gehagelt: Vietnam, Watergate. Die Amerikaner brauchen jemand, der ihren Zorn artikuliert und ausspricht. Ich will zornige Sendungen; ich will Anti-Kultur!“. Fortan ist Howard Beale wieder gefragt. Im System. Darf „beschissen“ sagen, wenn ihm etwas beschissen vorkommt, wird als neuer Zorn-Prophet des Senders präsentiert. Wie, das soll gegen alle Regeln seriöser Programm-Gestaltung verstoßen? Der UBS-Chef Frank Hackett (ROBERT DUVALL) vermag darüber nur zynisch zulachen: „Wir machen kein seriöses Programm: Wir sind ein Nutten-Sender und müssen nehmen, was wir kriegen“. Und der eben noch geschaßte Howard Beal geht auf in seiner neuen allabendlichen Rolle als beliebter Schrei-Hals, der den Leuten endlich „die Wahrheit(en)“ vermitteln darf. Sein: „Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken; ich lass‘ mir das nicht mehr länger gefallen“ wird zur nationalen Schimpf-Hymne. Aber die programmatische Umgestaltung – vom Normal- zum Unterhaltungsfernsehen mit „Provokations-Charme“ – geht weiter. „Der unterhaltsame Terrorismus“ wird Programm-Bestandteil, wo sich Irre – auch schon mal praktisch-beobachtet bei einem Bank-Überfall – „zeigen“ können. Präsentieren dürfen. Was auch Howard in seiner täglichen Abend-Kolumne auf die Palme bringt: „Das Fernsehen ist nicht die Wahrheit. Ist nichts weiter als ein gottverdammter Rummelplatz, ist ein Zirkus mit Märchenerzählern, Akrobaten, Abnormitäten und Fußballspielern. Unser Gewerbe ist nur da, um die Langeweile zu vertreiben. Wir lügen wie die Teufel. Wir handeln mit Illusionen, nichts davon ist wahr. Die RÖHRE ist ein MASSENWAHNSINN!“ Währenddessen feilschen Kommunisten und Terroristen um die Honorar-Verteilung für ihre abendlichen TV-Events. Und der ganz Oberste beim Sender-Unternehmen, ein gewisser Arthur Jensen-Allesbestimmer (NED BEATTY), Howard Beale die Losung erklärt: „Es gibt nur das Dollar-, also das Geld-System. Die Welt ist ein einziges Geschäft!“.
Aber irgendwann wird die „aufklärerische“ Howard-Luft dünner. Verbraucht sich. Wird Quoten-dünner. Der Reiz an ihm sinkt. SIE beraten sich im Büro: „Wir werden ihn umlegen müssen“, denkt Frank Hackett laut. „Was halten Sie von einem Attentat?“, wird Diana Christensen praktisch.
„NETWORK“, die kluge, zynische, schwarzhumorige, also höchst köstlich unterhaltsame – lt. Sidney Lumet = „Medien-Reportage“ (anstatt Medien-Satire) von 1976 sieht sich 2018 an wie eine Auch-Zustandsbeschreibung des heutigen kommerziellen (Reality-)TV-Alltags. Wo die primitive Geilheit auf Quote(n) das alles Unanständig-Bestimmende ist. Und die Moral tatsächlich auf einen „Ihr könnt mich alle mal am Arschlecken“-Wert tief gefallen, gesunken ist. Im vorzüglichen Bonusmaterial gibt es einen exzellenten Audiokommentar von Sidney Lumet; ein Interview mit dem Autoren Paddy Chayefsky (= über den Lumet sagt, dass keiner ein besseres Gespür für die Lächerlichkeit besitzt, wie wir leben, als „er“) sowie u.a. ein Video-Essay des Autoren Dave Itzkoff. Motto bei Allen: Jeder ist korrupt. Außer die Verrückten. Womit wir bei Howard Beale alias diesem sagenhaften PETER FINCH angelangt sind: Obwohl schon während der Dreharbeiten erkrankt und geschwächt, besitzt seine Performance eine unglaublich kraftvolle überzeugende Charakter-„Spielball“-Stärke, die mit einer unglaublichen Authentizität verbunden ist. Am 14. Januar 1977 verstarb er an den Folgen eines Herzanfalls in Los Angeles; der „Oscar“ wurde ihm am 26. März 1977 bei der 49. „Oscar“-Veranstaltung posthum zugesprochen.
Ein Klassiker – ein Muss-Film. Zu allen HEIMKINO-Zeiten: „NETWORK“! (= 5 PÖNIs).
Anbieter: „Studiocanal / Arthaus“.