„DER NAME DER LEUTE“ von Michel Leclerc (Co-B+R; Fr 2009; 104 Minuten; Start D: 14.04.2011); es ist der (nach dem bei uns nicht gelaufenen) Debütfilm „J´Invente Rien“ (2006) zweite Spielfilm des ehemaligen Kurzfilmers. Der im Original „Le Nom Des Gens“ heißt und eine „neue AMELIE“ (siehe „Die fabelhafte Welt der Amelie“) originell, vergnüglich und herrlich pointiert auf die Leinwand lupft. In Gestalt der wilden, fröhlichen Polit-Aktivistin Bahia. Nachname: Benmahmoud. Eine „weiße“ algerischstämmige Französin. Das Ebenbild ihrer Ex-Hippie-Sponti-Mama. Die mit dem „sanften“ algerischen Arbeiter Mohamed verheiratet ist, der eigentlich viel lieber ein Maler wäre. Bahias Motto fällt deutlich in der Filmmitte einmal: „Scheiß auf Wurzeln“. Soll heißen – nicht die Herkunft zählt, sondern das Jetzt. Mach dich frei von diesem oftmals quälenden Familien-Gestern. Und tu etwas. Vernünftiges. Spezielles. Spaßiges. Für dich. Deshalb stürzt sich Bahia viel lieber auf „die Rechten“. Auf Reaktionäre, Faschisten, Fremdenhasser. Neoliberale.
„Make love, not war“: Die schärfste Waffe „gegen DIE“ ist für die „religionsfreie“ Muslima ihr Körper. Der respektlose SEX. Sie schläft mit diesen „Feinden“, um sie „zu bekehren“. „Umzupolen“. Mit einigem Erfolg: Die energiegeladene extrovertierte Idealistin benötigt „dafür“ manchmal nur eine Nacht, manchmal aber „dauert“ es auch Wochen. Arthur Martin ist ein unscheinbarer, leicht verklemmter introvertierter Zoologe. Den Bahia auch für „solch einen Typen“ hält. Doch weit gefehlt. Der bekennende jüdischstämmige Linkswähler und Anhänger des sozialistischen Politikers Lionel Jospin (der auch einen höchstpersönlichen Kurzauftritt hat) passt eigentlich nicht in ihr „Beuteschema“, aber…ich weiß auch nicht. Erklärt sie. Die beiden so unterschiedlichen und so Herkunfts-verschiedenen Menschen werden ein Paar. Wobei er sich mit ihrem „körperlichen Polit-Engagement“ abfinden muss. Dadurch aber endlich, dank ihrer „Funktionalität“, bereit ist, sich selbst zu öffnen. Innerfamiliäre „Angelegenheiten“ anzusprechen. Unliebsame Fragen zu stellen anstatt diese weiterhin lächelnd zu verdrängen. Ober-Fazit also: Es gilt, die Welt „anders“ umzukrempeln. Vögeln als Waffe; Liebe als Elixier.
Klingt konstruiert? Intellektuell? Verworren? Gar verstörend? Mag sein. Ist aber keineswegs so. Vielmehr ist „Der Name der Leute“ INSGESAMT herrlichstes, weil witziges, kluges wie spitzzüngiges und zutiefst amüsantes Zuhör-Pointen-Kino. Das für viele Schmunzel-Bauchschmerzen sorgt. Und für vielfältige Kopf-Späße. Auf vielen individuellen wie gesellschaftlichen Seelen-Schauplätzen. Um den „Ismen“ des Lebens zweideutig-eindeutig den Garaus zu bereiten: Antisemitismus, Rassismus, Feminismus. Wie es ein Online-Kollege („kino.de“) auf den thematischen Ironie-Punkt bringt. Dabei – keine Problemüberfrachtung, sondern in der unglaublich stimmungsvollen Mixtur aus französischem Independent-Mainstream gelingend. Oder umgekehrt. Leicht, aber nie seicht. Locker, aber nie doof. Kurzweilig. Ohne „Fahne“, Botschaft(en), Ausrufungszeichen. Als köstliche Gedankenspielerei. Intelligent provokant. Einfach virtuos unterhaltend. Mit „komischen“ Super 8-Erinnerungseinlagen. Und auf verschiedenen, verständlichen und dabei sehr atmosphärischen Personen- und Zeitebenen tanzend.
Und mit einem formidablen Ensemble aufwartend. Jeder Akteur „ein Treffer“. Die Sensation aber heißt SARA FORESTIER. Die zur Drehzeit 20jährige, die kürzlich im französischen Biopic „Gainsbourg“ unauffällig mitmischte, betritt hier als Bahia DIE GROSSE BÜHNE. Ist ein uriges Kraftpaket, mit dem Charme einer jungen Jeanne Moreau, mit der fordernden Frechheit einer unbeugsamen „Amelie“-Rebellin wie Audrey Tautou. Sie ist thematische „Zentralstelle“, mit ihrer körpersprachlichen Wucht und Wonne. WAS FÜR EINE SAGENHAFTE ENTDECKUNG! Der französische „Oscar“ hierfür, der „Cesar“, als „beste Hauptdarstellerin“, war neulich vollauf verdient. Genau auf ihrer stimmigen Wellenlänge agiert JACQUES GAMBLIN (glänzte 2009 als Taxifahrer in der melancholischen Familienkomödie „C`est la vie – So sind wir, so ist das Leben“) als sensibler, neurotischer Staunling. Die Beiden sind ein erfrischend- eigentlich nicht zusammen passendes Paar. Mit viel feiner Dis-Harmonie-Strömung. Und Duftnote eins.
Die Co-Drehbuch-Autorin und Lebensgefährtin des Regisseurs, Baya Kasmi, und Regisseur Michel Leclerc haben mit „Der Name der Leute“ für DIE französische Kino-Entdeckung dieses Frühjahrs gesorgt. Für die ein WOODY ALLEN durchaus als cineastischer Fern-Pate infrage kommt…(= 4 PÖNIs).