Milk Kritik

MILK“ von Gus Van Sant (USA 2008; B: Dustin Lance Black; nach der Autobiographie von Harvy Milk; K: Harris Savides; M: Danny Elfman; 128 Minuten; Start D: 19.02.2009); der 1952 in Louisvillle/Kentucky geborene amerikanische Filmkünstler hat sich sowohl als Regisseur wie auch als Produzent, Fotograf, Musiker und Schriftsteller (Roman „Pink“/1997) einen guten Namen gemacht. Er gilt als Themen-Spezialist über unangepasste Jugendliche bzw. rebellische „junge Erwachsene“. Nach dem abgeschlossenen Studium an der „Rhode Island School of Design“ drehte er mit „Mala Noche“ 1985 seinen ersten Spielfilm. Danach folgten Werke wie „Drugstore Cowboy“ (1989/mit Matt Dillon); „My Private Idaho“ (1991/mit Keanu Reeves + River Phoenix); „To Die For“ (1995/mit Nicole Kidman); „GOOD WILL HUNTING“ (1997/der kommerzielle Durchbruch/“Oscar“-Nominierung/mit Matt Damon + Robin Williams); das missglückte Remake von „Psycho“ (1998); „FORRESTER GEFUNDEN“ (2000/mit Sean Connery) sowie zuletzt „Elephant“ (2003/“Goldene Palme“ von Cannes); „Last Days“ (2005/Rock ´n ´Roll-Drama um Kurt Cobain) sowie „Paranoid Park“ (2007; lief auch in Cannes, erhielt den „Jubiläums-Sonderpreis“ anlässlich des 60. Festivals).

Sein neuer Film, eine für vergleichsweise bescheidene 20 Millionen Dollar hergestellte Produktion, ist gleich 8fach „Oscar“-nominiert. Dabei im Blick- und Mittelpunkt: Harvey MILK. Amerika liebt seine Pioniere. Und HARVEY MILK (1930-1978) war auf seine Weise ein Pionier, der sowohl politisches wie gesellschaftliches Neuland betrat: Denn er war der erste bekennende Homosexuelle in den USA, dem es gelang, zum Mandatsträger zu avancieren, als er Ende 1977 in den Stadtrat von San Franzisco und damit in eine „öffentliche Position“ gewählt wurde. Das war die Krönung eines langen Kampfes um gesellschaftliche Anerkennung der amerikanischen Schwulen und Lesben, in dem Milk sich zu einem charismatischen Anführer entwickelt hatte.

Harvey Milk: In der 30er Jahren wuchs er im Mittelstandsmilieu von New York auf, bekannte sich von Anfang an zu einer Homosexualität. Nach einer wechselvollen Karriere als Offizier bei der Navy, Börsenmakler an der Wall Street, Hippie und Anti-Vietnam-Demonstrant, begegnen wir ihm erstmals am Vorabend seines 40. Geburtstages in New York. Den er mit Sean verbringt, einer großen Liebe. Man sinniert über das bisherige und folgende Leben („…den 50. werde ich sowieso nicht erleben“, wird geflachst), und ob es DAS war oder was noch so folgen könnte bzw. sollte. Jedenfalls soll künftig einfach „mehr passieren“. Gemeinsam ziehen sie gen San Franzisco. Dort eröffnet Harvey im Castro-Distrikt ein Fotogeschäft, das schnell „zur Anlaufstelle“ für die schwul-lesbischen Scene wird. Es ist die Zeit der Intoleranz, mit vielen bürgerlichen Anfeindungen, alltäglichen Übergriffen, brutalen Polizeieinsätzen. Und politischen Moral-Initiativen: Eine Gesetzesinitiative fordert z.B. die Entlassung homosexueller Lehrer aus dem Staatsdienst in ganz Kalifornien. Milk beginnt sich lautstark protestierend „zu melden“, zu engagieren, wird sozusagen „der Bürgermeister der Castro Street“; fängt an politisch zu denken, zu formulieren, zu arbeiten, sammelt Verbündete (Gewerkschaftsführer); beginnt mit der Kandidatur für ein regionales politisches Amt. Trotz vieler Anstrengungen, Attacken, privater Anfeindungen („Das Private ist politisch“) ist „seine Bewegung“ nicht mehr aufzuhalten, im Gegenteil, diese wird im Klima von Diskriminierungen, Anfeindungen, Übergriffen immer umfangreicher.

Im 4. Anlauf gelingt ihm schließlich der große Polit-Coup auf den Stuhl des Supervisors im Wahlbezirk 5 von San Franzisco. Die Schwulen und andere Minderheiten haben endlich einen gewählten Interessenvertreter „im Amt“. Ein Gegenspieler dort ist der Ex-Polizist und Stadtrat-Kollege Dan White (JOSH BROLIN/“No Country For Old Men“). Der ist konservativ und argumentiert oftmals fundamentalistisch-„religiös“; man schachert um Gemeinsamkeiten und Abstimmungen; ein labiler Typ, mal Unterstützer, mal offener Feind. Dem es eines Tages „zuviel“ mit und um Harvey Milk wird. Er tritt als Kommunalpolitiker zurück, widerruft dann seinen Entschluß, was aber gesetzlich unzulässig ist. Der liberale Bürgermeister George Moscone verweigert ihm die Wiedereinsetzung als Kommunalpolitiker. Noch bevor er diese Entscheidung öffentlich bekannt geben kann, erschießt Dan White den Bürgermeister und Harvey Milk am 27. November 1978 im Rathaus. Noch in der Mordnacht kommen über 30.000 Menschen und Sympathisanten aus dem gesamten Stadtgebiet zu einem Schweige-Trauermarsch zusammen. (Ein halbes Jahr später begann der Prozeß gegen White; er wurde zu 7 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt, 5 davon saß er ab; am 21. Oktober 1985 nahm er sich „draußen“ das Leben).

„THE TIMES OF HARVEY MILK“ hieß 1984 ein 90minütiger Dokumentarfilm von Rob Epstein, der den „Oscar“ als „Bester Dokumentarfilm“ zugesprochen bekam. Er kehrt in diesen Tagen wieder ins Kino-Programm zurück, parallel zum neuen Spielfilm von Gus Van Sant. Dem ein mitreißendes wie nahegehendes Porträt gelungen ist. Als spannender Menschen-Film. Über eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Dabei nähert sich der Film (B: Judith Coburn + Carter Wilson) Harvey Milk nicht als Helden-Beschreibung oder „Schwulen-Heiligen“, sondern als charismatischen Typen mit „Leader-Appeal“. Ohne tuntenhafte Exzentrik, als ein „Jedermann“ aus dem Volk. Das geschickt mit den Zeitebenen spielende Bio-Pic ist historisch interessant, emotional packend, mit viel Wucht und Wut und spannendem Archivmaterial überzeugend argumentierend.

Ein unterhaltsames Projekt über einen mutig-couragierten Aktivisten aus den 70ern, das vor allem natürlich deshalb funktioniert, weil der 48jährige „Oscar“-Preisträger SEAN PENN („Mystic River“) in der Titelrolle grandios überzeugt. Mimik und Gesten sind eher dezent, zurückhaltend und unaufdringlich. Penn vermeidet in gängige („Tunten“-)Klischees abzurutschen, vielmehr porträtiert er eine „ehrliche Haut“, die keine Lust mehr hat, sich „zu verstecken“, die sich „bekennt“, die ein würdevolles Leben inmitten der Gesellschaft führen will und sich selbst von extremen Rückschlägen und (auch privaten) Attacken nicht (mehr) aus der Bahn werfen lässt. Sean Penn, als Extrem-Schauspieler sowieso schon ein Qualitätsbegriff („Dead Man Walking“; „Sweet And Lowdown“ von Woody Allen/2001) und bekanntlich inzwischen auch als Regisseur ein Meister („Into The Wild“/2007), leistet wunderbare Überzeugungs-Schwerstarbeit, in der die zerstrittene, aber stets freundliche, optimistische Seele sichtbar, fühlbar UND hörbar wird. Eine überragende darstellerische Leistung, die mit einer „Oscar“-Nominierung zu Recht belobigt wurde. „MILK“ ist großartiges, authentisches Zeit-Kino, in der die Mischung aus Info und Performance unterhaltsam-spannend überzeugt (= 4 ½ PÖNIs).

P.S.: Der Film erhielt zwei „Oscars“: Für das „Beste Drehbuch“ und für SEAN PENN als „Bester Hauptdarsteller“.

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