PÖNIs: (5/5)
Nun haben wir vor einiger Zeit im Kino und auch vor dem Fernsehen gesessen und haben staunend die interessanten und ausdrucksstarken italienischen Polit-Thriller des Elio Petri („Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“) oder des Damiano Damiani („Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) bewundert. Und dabei gefragt, warum „so etwas“ bei uns nicht machbar ist? Warum bei uns die vielen Kostüm- und Historien-(Um-)Wege, die dauernden Literatur-Anklänge, die vielen privat-bürgerlichen Verrenkungen?
Ich habe mir damals vorgestellt, einmal aus deutschem Kino die Zusammenhänge zwischen der Politik des früheren Verteidigungsministers Franz Josef Strauß und den vielen Starfighter-Abstürzen und Toten bei der Bundeswehr spannend erzählt zu bekommen. Oder wieso es bei uns dazu kommen konnte wie es wurde; das mit den Alt- und Neu-Nazis, das mit den zunehmenden gesellschaftlichen Aggressionen bei uns (auch der von „Staats-wegen“); oder das mit der Entwicklung des Terrorismus; das mit der immer größeren Sucht nach Drogen-Betäubung; das mit der übermäßigen Arbeitslosigkeit, das…
Es gibt doch so vieles, worüber gerade im deutschen Film zu streiten wäre. Film, das könnte auch in der Bundesrepublik eine der starken Kommunikations- und Unterhaltungsmöglichkeiten sein. Aber wenn ich mir das Programm diesbezüglich so ansah (und heute ansehe): Viel Utopie (auch wenn sie bisweilen sehr schön ist, bleibt sie doch eine solche), ein paar allgemeine, ziemlich unverbindliche Gesellschaftsattacken, viel zu viel literarische („sichere“) Papierübernahme und Kostümhaftes und läppische Sex-Banalitäten. Ganz selten einmal etwas Konkretes, etwas Spannend-Direktes von dem, was wir Leben nennen. Kino, das bedeutet bei uns vorwiegend immer noch eine Stätte der bunten, sauberen Ruhe oder anspruchslosen, dummen Verarschung. In letzter Zeit gibt es einige beachtliche Versuche, davon endlich wegzukommen (neulich: „Die gläserne Zelle“ von Hans. W. Geißendörfer, davor „Der amerikanische Freund“ von Wim Wenders), aber noch sind das Ausnahmen aus einer eingefahrenen, uninteressanten und langweiligen deutschen Film-Szene.
Reinhard Hauff hat zwar kein totales Neuland betreten, geht aber mit:
„MESSER IM KOPF“ von Reinhard Hauff (BRD 1977; B: Peter Schneider; K: Frank Brühne; M: Irmin Schmidt; D: Bruno Ganz, Angela Winkler, Hans Christian Blech, Heinz Hoenig, Hans Brenner, Udo Samel; 113 Minuten; BRD-Kinostart: 27.10.1978; DDR-Kinostart: 09.01.1981); einen großen Schritt nach vorn. Bei seinem Film habe ich endlich einmal diesen befriedigenden Eindruck, im Kino „richtig“ gedanklich wie emotional angesprochen zu werden. Was er macht, sind Dinge zu zeigen, die mich, die uns permanent beschäftigen (also beunruhigen). Da passieren Sachen, die irgendwo einen Bezug zu mir, zu vielen anderen um mich herum besitzen. Sachen, die täglich vor unseren Augen ablaufen und denen wir nicht entweichen können – es sei denn, wir sind schon völlig verkorkst, schon völlig zum apathischen Großstadtbewohner heruntergekommen.
Dazu kommt die Präsenz bei diesem Film, er ist „aufregend“ (intellektuell wie handwerklich) gemacht, es spielt ein wahnsinnig-guter BRUNO GANZ mit, er besitzt den Reiz zum Zusehen, vor allem aber auch: zum Zuhören. Zugleich ist er nicht so verbiestert-streng und verkrampft inszeniert, so wichtigtuerisch wie oft sonst, sondern er ist immer und überall eine wichtige Verbindung von Gesellschaft & Kino. Kino in seiner hervorragendsten und ansprechendsten gesellschaftskritischen Bedeutung.
Dieser Film macht Mut und Hoffnung in einer großen Phase der (BRD-)Resignation (= 5 PÖNIs).