Maria Knilli

Interview mit MARIA KNILLIim Juli 1985 anlässlich des Kinostarts Ihres Films „Lieber Karl“ (s. Kino-KTITIK)

TIP: Ich würde Sie bitten, sich am Anfang einmal persönlich vorzustellen, da Sie bei uns eigentlich überhaupt nicht bekannt sind.

Knilli: Ich heiße Maria Knilli, bin gebürtige Österreicherin, habe aber 14 Jahre meines Lebens in Berlin verbracht, ich bin im Prinzip hier aufgewachsen. Ich bin Absolventin der Münchener Filmhochschule und “Lieber Karl“ war mein erster abendfüllender Spielfilm.

TIP: Jetzt muss ich natürlich die Frage stellen: Wie kam es zum Film, wie kam es zum Kino, warum musste es ausgerechnet Film sein?

Knilli: Das ist eigentlich ein Schritt nach dem anderen gewesen. Ich habe nach dem Abitur, das ich in Berlin gemacht habe, erst einmal zwei Jahre bei einer Zeitung als Lokalreporterin gearbeitet und zwar in Österreich, in meiner Heimatstadt. Dann wurde es mir irgendwie langweilig, es war alles zur Routine geworden, dann habe ich mir überlegt, es einmal mit dem Journalismus im Fernsehen zu probieren.

Ich wollte aber auch noch eine Ausbildung machen, weil ich sehr jung war, damals zwanzig und dann habe ich mich an der Münchener Filmhochschule an der Dokumentarabteilung beworben, bin dort aufgenommen worden und habe dort aber ganz schnell Blut geleckt in Sachen Spielfilm, weil ich gesehen habe, wie die Kollegen, die so ihre ersten Übungsfilme mit Schauspielern gemacht haben, versuchen mit Schauspielern umzugehen. Wie das oft sehr schwierig war, und da habe ich gemerkt, daß das etwas ist, was mich reizt, was mir auch liegt. Also ich habe eigentlich aufgrund der Lust daran, mit Schauspielern zu arbeiten, angefangen mich mit Spielfilmen zu befassen. Und mein zweiter Film an der Schule war dann schon ein Spielfilm.

TIP: Sind Sie früher viel ins Kino gegangen, kam daher mal der Dreh, haben Sie viel erlebt, früher im Kino oder durch das Kino, oder ist das der letzte, interessanteste Ausweg gewesen, irgendetwas Interessantes zu machen.

Knilli: Nein, ein Ausweg war das nie, das war eigentlich ein zielstrebiger Weg dorthin, ohne dass ich das Ziel wusste.

Ich bin, glaube ich, ganz normal ins Kino gegangen, normal viel, wie jeder andere und noch dazu eben Fernsehen, wir sind ja schon mit dem Fernsehen aufgewachsen. Also Berufsangabe nach dem Abitur, da habe ich gesagt, ich will Journalistin werden, etwas anderes hätte ich mir auch nie angemaßt, also diesen Mut, Spielfilm zu machen, der eigenen Phantasie zu vertrauen, Geschichten zu erfinden, den habe ich eigentlich erst langsam bekommen.

TIPWie kam es zum Projekt “Lieber Karl“?

Knilli: Auslösend war im Grunde genommen ein Zeitungsartikel, den ich gelesen habe in einer Tageszeitung, eine dicke fette Schlagzeile, ungefähr so: Studentenselbstmord, die Eltern haben den überfordert, haben zu hohe Erwartungen an ihn gestellt, er konnte sie nicht erfüllen… Ich habe mir gedacht, es ist schon verrückt, also wenn jemand stirbt, dann steht es in der Zeitung, aber die Entwicklung da hin, in den meisten Fällen kommt es ja gar nicht so weit, dass dann einer stirbt, sondern der stirbt vielleicht nur innerlich, aber nicht, so dass er dann weg ist und in der Zeitung steht. Dann habe ich mir gedacht, diese leise Entwicklung, diese scheinbar normalen Familien, in denen der eine den anderen schön langsam kaputt macht, das interessiert mich. Also diesen schleichenden unspektakulären Druck zu erzählen. Druck, der immer gut gemeint ist, nämlich aus Liebe.

TIP: Das hört sich an wie eine journalistische Recherche, auch für die Zeitung. Warum glauben Sie, mussten da auch Bilder herauskommen?

Knilli: Der Ausgangspunkt war sicher, wenn man so will, ein dokumentarischer, also der Stoff ist aus der Realität gegriffen. Nun erzähle ich aber den Film nicht über die Story, sondern ich erzähle die inneren Zustände von dem Karl. Diese inneren Zustände zeige ich durch meine Bilder, das sind aber nicht nur die Bilder, das ist das Bild, das ist der Ton, der eine ganz eigene Erzählebene ist, das sind die Farben, die Ausstattung, die Musik, das heißt, ich schaffe Atmosphären, um den Zuschauer in ähnliche Zustände zu versetzen, wie sie dieser Karl erlebt.

TIP: Glauben Sie, dass der Zuschauer diese ruhigen, sensiblen Bilder heute noch aufnimmt, wenn man vergleicht was drum herum im Kino läuft, was damals lief, als Sie den Film anfingen. Woher nehmen Sie den Mut, zu glauben, dass das heute so noch jemand interessiert, wenn wir heute sehen, was im Kino uns dauernd erschlägt.

Knilli: Ja, “Lieber Karl“, ist sicher ein frecher Film und auch mutig, aber er ist ganz bewusst eine Antwort auf das Kino, das einen sozusagen nur füttert mit Reizen und einen nicht mehr braucht. Ein Film wie “Lieber Karl“, braucht den Zuschauer, braucht die Beteiligung vom Zuschauer. Ich habe schon viele Publikumsgespräche nach der Vorführung von “Lieber Karl“ gehabt, meine Erfahrungen sind, es ging sogar so weit, dass die Leute sich bedankt haben, endlich einmal wieder ein Film, wo sie teilnehmen konnten, und nicht nur Konsumenten sind.
Also ich will das andere nicht verdammen, aber es gibt durchaus ein Publikum für Filme, die etwas in Bewegung setzen, die Gedanken, die Gefühle, wo einem was hochkommt.

TIP: Was mir bei diesem Film am Anfang auffiel, meine ersten Gedanken waren, aha, wieder typisch Europa, typisch im deutschsprachigen Raum. Ich, der versaut bin, durch unglaublich viele amerikanische Filme, mit anderen Worten, Jugend drüben über dem großen Teich, ist ganz anders, hat ganz andere Dinge im Kopf, die Jugend hier ist wiederum in sich gekehrt, also ein völliger Unterschied zu dem, was wir sonst erleben. Das waren meine ersten Gedanken: Aha, da ist der amerikanische Film, die amerikanische Jugend, hier ist die europäische, die deutsche Jugend, Guck an, hier die Tränen und da die Lust.

Knilli: Ja, ich verstehe mich 100%tig als europäische Filmemacherin. Ich finde auch, dass das etwas ist, was man ruhig kultivieren kann, auch gerade deswegen, weil die amerikanischen Filme auf unserem Markt dominieren. Es ist ganz witzig, “Lieber Karl“ war wirklich fast auf der ganzen Welt auf Festivals, und ich war auch selber mit dem Film in der USA und hatte dort sehr gute Resonanzen, ich habe dort auch mit dem Publikum gesprochen. Ich weiß nicht, ob man das so verallgemeinern kann, ich glaube, dass die Geschmäcker sich in einem so großen Land auch verteilen. Da gibt von allem etwas.

Wie war das, Tränen und Lust? Also ich empfinde das amerikanische, dass ist aber jetzt eine riesige Verallgemeinerung, wie Sie sie auch gemacht haben, aber ich empfinde letztlich das europäische Kino lustvoller als das amerikanische. Ich ziehe selten Lustgewinne aus amerikanischen Filmen ‚ das ist jetzt sehr böse verallgemeinert, ich kann Ihnen auch gleich ein paar Gegenbeispiele nennen. TIP: Sie sagten vorhin, Sie haben die Story angefangen zu erkennen, aus einer Zeitungsgeschichte. Wenn wir uns Zeitungsgeschichten der letzten Wochen und Monate ansehen, dann fallen uns ja nur Stories ein, meine Frage soll darauf hinauslaufen, es werden kaum noch Filme gemacht, die mit der Realität etwas zu tun haben. Dieser Film bricht ins Private ein, er macht vielleicht den Versuch etwas Realistisches zu erzählen, aber um uns herum bewegen uns ja laufend Geschichten, die man gern auf der Leinwand sehen würde, die aber niemand mehr macht. Ich möchte damit sagen, ist auch bei Ihnen nur der Mut da, ins Private zu gehen, Geschichten zu erzählen, oder könnten Sie sich vorstellen, auch politische Tagesgeschichten zu erzählen?

Knilli: Ja, da vermischt sich jetzt einiges, man muss unterscheiden zwischen Filmen, die sich mit Realität befassen oder Filme, die sich mit aktuellen Phänomenen oder Problemen befassen. “Lieber Karl“ ist sicher ein Film, der ganz real ist und eine ganz reale Bedrohung auch darstellt, weil, sagen wir mal so, wie kann eine Gesellschaft besser werden, oder wie können die Menschen besser werden, besser leben, wenn nicht der einzelne eine Möglichkeit hat sich zu entfalten, letztlich geht es in “Lieber Karl genau darum. Es ist jetzt, im weitesten Sinne natürlich, auch politisch. Andererseits empfinde ich die heutige Zeit so, oder die Entscheidung für “Lieber Karl“, so wie er gemacht ist, ist ganz bewusst, ein Film möglichst zeitlos zu gestalten, also zumindest so, dass er plus/minus 10 Jahre, dass man das gar nicht richtig orten kann. Weil ich eben die heutige Zeit oft so wahrnehme, dass man ständig aktuellen Ereignissen und auch Konflikten hinterherrennt und sich mit denen befasst und die simpelsten Dinge, die grundlegend zum Leben dazugehören, um die man gar nicht herumkommt, die hat man noch gar nicht verstanden oder im Griff. So ein Einsatz steckt hinter “Lieber Karl“.

TIP: Haben Sie über den Film mal mit Jugendlichen gesprochen, mit Pennäler mit Beteiligten, möglicherweise auch mit Eltern? Wie waren die Reaktionen von denen?

Knilli: Das ist sehr spannend, das macht mir auch Spaß. Einmal war ich in einem Kino, da saßen wirklich 300 Jugendliche drin. Danach haben wir heiß diskutiert, die waren alle sehr betroffen. Sie haben diesen Karl auch gar nicht anachronistisch empfunden, obwohl er als Erscheinung jetzt nicht nach der neuesten Mode gekleidet ist, da habe ich schon erklärt, warum. Sie haben sich wiedererkannt, sie haben ihre Gefühle, ihre Zustände wiedererkannt. Der Film wirkt wahnsinnig anregend auf die Leute, sie reden gerne danach, und das Gleiche war eigentlich mit Erwachsenen. Das ist ein Film, der ist so, dass er die Leute danach beschäftigt und schon deshalb habe ich nur Positives gehört.

TIP: Obwohl ich manchmal den Eindruck habe, dieser Karl ist eine Kunstfigur, warum?
Weil, Ja Gott, er ist alles das, wo ich glaube, dass es gemacht ist. Er ist oftmals so zurückhaltend, so schüchtern, so sensibel, so empfindlich, dass ich mir sage, mein Gott noch mal, ein bisschen mehr Leben könnte dem Burschen auch nicht schaden, bisschen mehr Hornhaut könnte er ruhig haben, der ist so ‚ dass man wünscht, dem auch einmal einen Tritt in Hintern zu geben. Die Ohrfeige des Vaters so unberechtigt mir gar nicht erscheint.

Knilli: Ja, aber das ist genau toll, wenn einer so im Kino sitzt und sich das wünscht oder sich schon ärgert über den Karl, dann bin ich schon ganz zufrieden. Das ist ja schon eine ungeheuerliche Beteiligung. Es ist richtig, diese Figur, alle Figuren im Film sind in dem Sinne Kunstfiguren, dass sie Extrakte sind, sie sind Extrakte von Schicksalen, sie sind exemplarisch gemeint. Also “Lieber Karl“ ist keine Fallstudie, es geht nicht um den Fall Karl Hutter, sondern ich erzähle den Fall vom Karl, um zu erzählen, wie es abläuft zwischen Eltern und Kindern.

TIP: Ich habe den Schluss nicht verstanden, ich sehe da einen Liebesbrief brennen, der symbolisch zu deuten ist, ich sehe plötzlich auch Bücher brennen, ist jetzt für den Burschen Feierabend, ist Schluss, wird der sich jetzt auch selbst verbrennen, ich hätte gerne keine Lösung, aber ich hätte gerne mehr gewusst, was ist nun, ist der nun erwachsen geworden, oder steigt der nun aus, oder geht er gar zum Strick?

Knilli: Also, der ist bestimmt ein Stück erwachsen geworden, ich finde es aber immer schade, wenn man irgendwie was über den Schluss verrät oder spricht, ja, das nimmt die Spannung auch vorweg. Der Schluss ist so gemacht, dass er offen ist, dass es wirklich jedem selber überlassen ist, wie er ihn deutet, wobei, eigentlich, so viel kann ich sagen, für mich steht die Hoffnung am Schluss.

Also dieser Karl macht einen Schritt mit dem Feuer, in seinem Leben ist etwas in Bewegung geraten und es wird sich was tun. Aber der Schluss wird sehr unterschiedlich gedeutet, und das ist auch absolut berechtigt oder auch so gemacht. Es hängt eigentlich sehr von der Psyche des Zuschauers ab. Ich habe das an meinen Freunden ganz gut beobachten können, wie die unterschiedlich den Schluss verstanden. Das ging meistens so zusammen, so wie ich sie im Innern kenne und wie sie dann den Schluss interpretiert haben.

TIP: Also ich fände es von der Dramaturgie her, die mir Kino anbieten soll, fände ich es besser, wenn es wenigstens eine Richtung andeuten würde, wo es hingeht, dann gehe ich befriedigter aus dem Kino heraus, als wenn mir gesagt wird, es könnte so, es könnte so, es könnte aber auch so sein.

Knilli: Wenn wir jetzt schon darüber sprechen, ich kann Ihnen schon sagen, Ich gebe schon Indizien, dieses Feuer am Schluss ist ein ganz begrenztes, kleines Feuer. Es gibt den Walzer, der eine Mischung ist zwischen melancholisch und heiter. Es sieht für mich so aus, als würden diese Flammen tanzen. Der Karl guckt auch ganz wach und seine Augen sind… ‚ er guckt nicht wie einer, der sich jetzt umbringt, er guckt eigentlich ganz fasziniert, wach ist eigentlich der richtigste Ausdruck.

Ich stelle mir eben immer vor, in dieser Familie, in der immer alles ohne Reibung und verdrängt verläuft. Wenn die Eltern hoch kommen und diese gottverdammten, sauteuren Bücher sind verbrannt, dass es in dieser Familie knallt, dass es da eine Auseinandersetzung gibt, als ob er ein Zeichen setzt, das auch nicht mehr vertuscht werden kann. Weil die Geschichte in Graz, als er da weg war, das haben die irgendwie so weggesteckt, da wurde gar nicht viel darüber geredet. Das hat eben noch nicht zum Knall geführt.

TIP: Diesen Knall hätte ich zu gern auf der Leinwand erlebt, ich finde es halt ganz schön, wenn es ein bisschen knallt.

Knilli: Ja, aber ich glaube, das ist sehr unglaubwürdig, nachdem der Film so anders verläuft, die 85 Minuten davor.
Es ist halt so, ich glaube, dass das, was der Karl erlebt hat, dass was er getan hat, damit er da weg war, das Mädchen was er getroffen hat, da ist in ihm einfach was aufgewacht, ich glaube nicht, dass das einschläft.

TIP: Ich habe Sie das erste Mal kennengelernt im Fernsehen im vorigen Jahr, als die Cannes-Berichterstattung kam, alles redete von Maria Knilli, “Lieber Karl“, und dann war plötzlich tot, nachdem die Berichterstattung vorbei war. Frage: Wo ist der Film geblieben, was ist mit ihm passiert, wieso dauert es so lange, bis so ein Film herumkommt, wenn diese Lobeshymnen, was ich annehme, was ist in der Zwischenzeit passiert, ich begreife das nicht.

Knilli: Ja, das ist eine komplizierte Geschichte, das hängt damit zusammen, dass der Film, nachdem er diesen großen Erfolg hatte, eigentlich schon davor an einen kleinen Verleih gegangen ist, und mit diesem Verleih gab es dann Probleme und bis das dann wieder zum nächsten Verleih kam, das hat einfach gedauert. Aber ich muss so sagen, ich meine, es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Film ’85 im Sommer, als die ganze Werbung da war herausgekommen wäre, so wie Sie es sagen. Da waren wirklich mehrere Fernsehberichte, da war er einfach Gesprächsstoff. Inzwischen ist es egal, ob es jetzt vor einem halben Jahr oder jetzt, der Film ist so, dass er nicht verliert an Aktualität, ich bin einfach froh, dass er jetzt läuft. Wir haben schon in anderen Städten in der Bundesrepublik gestartet, da läuft er zur Zufriedenheit aller und es ist einfach schön.

TIP: Wie ist denn das damals gewesen in Cannes, Sie sind ja hofiert worden, wie ein Profi mit ihrem Debüt. Wird man da überheblich oder wird man da nachdenklich, oder wie sind so die inneren Reaktionen, wenn die Leute einen plötzlich so behandeln mit seinem Debütfilm, was ja recht ungewöhnlich ist.

Knilli: Ich glaube, so viel kann ich schon sagen, dass ich sehr wohl ein Profi bin und auch damals schon war, ich glaube, dass zeigt auch der Film, das hat aber nichts mit Überheblichkeit zu tun, sondern mit einem Handwerk, das ich über mehrere Jahre gelernt habe. Für mich war die Zeit in Cannes, das muss ich ganz ehrlich sagen, das Schönste, was ich mit dem Film erlebt habe. Das liegt natürlich auch daran, weil es so gut ging, und weil es auch eine große Befriedigung ist, aber es hängt vor allem auch damit zusammen, dass das Publikum in Cannes und die Kritiker, vor allem auch die französischen Kritiker, mir und dem Film eine ungeheurer Neugier entgegen gebracht haben.

Die haben einem das Gefühl gegeben, Mensch, dieser Film hat uns gefallen und jetzt sind wir neugierig auf den 2. Die haben einen angeschaut wie einen Erstling und sozusagen mit der Neugier auf die Zukunft. Hier in der Bundesrepublik habe ich das oft anders erlebt, da wird der erste Film angeschaut, wie ein Film unter vielen anderen Filmen. Es wird nicht auf diesen Erstlingsmoment geachtet, und man irgendwie jemandem auch Mut gibt weiterzumachen. Das ist nicht so, das ist ein anderes Gefühl.

TIP: Wie ist denn das eigentlich in der Praxis, wenn man mit solchen Hymnen nach Hause kommt, müssten einem doch eigentlich, wenn es in einem guten Filmland wäre, alle Türen offen stehen und jeder müsste sagen, die muss ganz schnell unbedingt mit mir den 2. Film machen. Das ist ja anscheinend nicht so, wie Sie eben schon andeuteten.

Knilli: Nein, das habe ich nicht gesagt, ich habe gemeint, dass einfach die Art der Resonanz von der Kritik, die beschäftigen sich anders mit dem Filmen, also, die sehen den Film an sich und behandeln den und behandeln nicht den Regisseur in Kombination mit dem Film und was ist von dem weiter zu erwarten. Ich habe inzwischen wieder ein Drehbuch geschrieben und bin dabei, die Finanzierung auf die Beine zu stellen und hoffe, dass ich Ende des Jahres drehen kann.

Wenn man Filmemacher so versteht wie ich, da kann man nicht jedes Jahr einen Film machen, dann muss man als Person ein Stück weiter kommen, im eben ein Stück weiter kommen, um auch wieder etwas zu sagen zu haben. Also ich habe keine Lust mich zu wiederholen, also „Lieber Karl“ Nr. 2 zu drehen.
Ich möchte ganz etwas anderes und etwas Neues machen und das ist mir zumindest, es zu schreiben, gelungen und jetzt wird es eben versucht zu machen.

TIP: Sie können sich also nicht vorstellen, Auftragsfilmerin zu sein, ein Drehbuch geschrieben zu bekommen, darüber einen Film zu machen, sondern Sie wollen auch immer gleich das Drehbuch dazu schreiben und dann den Film machen.
Also das dauert dann immer in gewissen Abständen, Filme zu produzieren. Sie würden nicht rein wollen in diese Industrie “Filmemachen“

Knilli: Ich würde das schon mal machen, also mein Ideal wäre im Grunde genommen ein Autor, zu dem ich so eine geistige Verwandtschaft oder so einen Draht hätte, dass ich entweder eine Idee von mir oder eine Idee von ihr oder ihm geboren wird, und dass derjenige oder diejenige, das dann schreibt, und ich nur dazu komme, und ich dann die Regisseurin bin. Das ist meine Idealvorstellung.

Ich schreibe es selber aus Mangel an dieser Person, und wenn ich selber schreibe, dann brauche ich diese Zeit. Jetzt einen Fernsehfilm könnte ich mir vorstellen, wenn mich das Buch überzeugt. Denn es ist so, mein größtes Vergnügen ist es, mit Schauspielern zu arbeiten, und deshalb würde ich so etwas auch machen. Auch so zwischendurch, einfach um wieder Zeit am “Zelt“ zu verbringen und wieder zu inszenieren, damit man da auch nicht so rauskommt. Ich habe inzwischen auch etwas ganz Kleines fürs Fernsehen gemacht, weil man muss auch in der Übung bleiben.

TIP: Man muss ja auch das Handwerk weiter beherrschen, fortpflanzen, man muss sich auch ständig bewähren, das man ja keineswegs nach dem 1. Film komplett beherrscht, da müssen Übungen ran, da müssen Filme ran, da muss man dabei sein. Wenn Sie die ganze Kraft und Zeit mit Förderungsmechanismen aufgeben und Drehbuch schreiben.

Knilli: So ist es ja nicht, sagen wir mal, mein Leben verläuft immer in verschiedenen Etappen, um die Förderung kümmert sich ja der Produzent, das muss ich nicht machen, ich produziere ja nicht selber, aber es gibt halt immer die Phase des Schreibens, und dann gibt es die Phase der Vorbereitung des Drehs, und dann gibt es den Schnitt, weil ich habe den Film auch selber geschnitten, „Lieber Karl“ und werde das auch wieder tun. Auf der anderen Seite, dieser Abstand von 3 Jahren bei Kinofilmen, ist absolut die Regel, das ist ein absoluter Durchschnitt, eine ganz normale Zeit, die braucht man einfach, auch um die Finanzierung zusammen zu bringen, das geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein ganz natürlicher Rhythmus, das haut irgendwie hin mit den 3 Jahren.

TIP: Was mich interessieren würde, man will ja immer jemanden ständig in Schubladen stecken, gibt es bei Ihnen Vorbilder, orientieren Sie sich an gewissen Vorbildern, Schauspielern, Regisseuren, oder gibt es da gar nichts, sind Sie solo?

Knilli: ich habe mich eigentlich nie an jemanden orientiert, ich bin natürlich von allem beeinflusst, was ich in meinem Leben gesehen habe, das wäre Quatsch es zu verleugnen. Es gibt natürlich bestimmte Filme, die ich verehre und bestimmte Regisseure.
Ich bin eine große Verehrerin von Tarkowski und ich verehre Fellini, vor allem den frühen Fellini, aber es geht wirklich ganz breit. Ich liebe auch Woody Allen, aber eher die früheren Sachen, meistens kann ich das besser auf Filme beziehen, als auf den Gesamtregisseur sozusagen.

TIP: Zum Schluss würde mich noch interessieren, worum geht es im 2. Film? Was wird passieren?

Knilli: Der 2. Film heißt “Follow me“ und da geht es um Emigration, um Exil, um jemanden, der von Ost nach west geht und im Besonderen eigentlich darum, wie man Abschied von der Heimat nimmt, wenn dieser Abschied für immer ist. Die Hauptfigur ist eine sehr spielerische, sehr aktive Figur und geht auch mit diesem GefühL “Heimweh, Nostalgie“, sehr spielerisch um. Nur haut das eben nicht immer ganz hin. Das ist wieder ein Film über innere Welten, in Bildern geparkt, in Szenen, in Situationen.

TIP: Wenn Sie ein Projekt vorbereiten, haben Sie eigentlich schon die Schere im Kopf, weil Sie sagen, bestimmte Themen kann ich gar nicht machen, weil sie nicht machbar sind in diesem unserem Lande, oder sind das wirklich von Ihnen gewünschte Ideen.

Knilli: Nein, das ist wieder eigentlich das einzige, was mich momentan beschäftigt, das versuche ich durchzusetzen. Die Idee dazu kam irgendwann vor den Dreharbeiten zu “Lieber Karl“ und da bin ich einfach drangeblieben, habe mich da eingearbeitet und ich kann mir gar nicht vorstellen…. Irgendwann geht es bei mir klack, dann weiß ich, das ist er nächste Film. Jetzt ist es langsam an der Zeit, es müsste demnächst mal klack machen für den 3., so erfahrungsgemäß in den Zeitabläufen. Das liegt genau an diesem Punkt, an der Personalunion, Autor, Regisseur. Es kann eigentlich nur etwas sein, was mich momentan gerade sehr beschäftigt, so empfinde ich das zumindest.

TIP: Lassen Sie mich provokant fragen, sind Sie eine politische oder unpolitische Person, wie nehmen Sie das wahr, was um uns herum im Augenblick‚ seit Jahren passiert, und wie reagieren Sie darauf, nur als Privatperson?

Knilli: Nein, bestimmt nicht, also, sicher ist auch “Lieber Karl“ eine Antwort auf die Zeit in der wir leben. Ich bin sicher, dass ich jemand bin ‚der sicher politisch ist, bestimmt nicht parteipolitisch. Ich verstehe mich als jemand, der sehr wach und sehr kritisch ist und auch am politischen Geschehen irgendwie teilnimmt.

TIP: Wie?

Knilli: Indem ich darüber rede und mir anhöre, was die zu sagen haben. Leider darf ich ja nicht wählen, das ist ja das gemeine, ich zahle zwar Steuern hier, aber da ich Österreicherin bin, habe ich kein Recht zu wählen. Ich glaube, ich nehme insofern daran teil, dass ich mit den Menschen, mit denen ich zusammen bin, mit denen ich lebe, und mit denen ich zu tun habe, irgendwie ständig im Gespräch bin. Der nächste Film, wie soll ich sagen, der ist glühend heiß politisch. Da geht es um Ost-West-Emigration, das brennt an allen Ecken und Enden. Da muss man sehr bewusst und sehr vorsichtig damit umgehen.

TIP: Warum vorsichtig?

Knilli: Vorsichtig, damit man präzise ist, damit man nicht Gefahr läuft, dass man nicht falsch interpretiert wird.

TIP: Sie fühlen sich aber in keinster Weise irgendwo beschnitten oder von vornherein ausgeschlossen für bestimmte Sachen, die Sie eventuell machen wollten.

Knilli: Das ist zu theoretisch, es ist mir, mit einem meiner eigenen Projekte, noch nicht passiert. Ich war schon einmal an einem Projekt beteiligt, das nicht zustande gekommen ist- aus solchen Gründen.
Das war “Zeitgeist“ damals, aber mit den Sachen, die ich selber geschrieben habe, ist es nicht passiert, bis jetzt.

TIP: Sie sind Österreicherin, nehmen Sie am österreichischen Kinogeschehen in irgendeiner Form teil. Österreich ist seit einigen Jahren ein interessantes Filmland geworden, obwohl es haufenweise Schwierigkeiten gibt.

Knilli: Ich lerne es so langsam erst kennen, Das Problem ist, dass ich in das ganze Filmgeschäft in Deutschland reingekommen bin. Also über die Münchener Filmhochschule und das eigentlich auch kenne und das österreichische Filmgeschehen lerne ich eigentlich jetzt, dadurch das der Film dort lief, lern ich es so langsam kennen. Ich kenne auch wenige Regisseure nur persönlich, österreichische, das kommt erst alles so langsam. Bei den Österreichern bin ich immer nur eine österreichische Regisseurin, und wenn ich hier bin eine deutsche, also das ist dann ein deutscher Film. Ich sitze da ein bisschen auf 2 Stühlen, eigentlich ganz schön.

TIP: Wo leben Sie eigentlich?

Knilli: In München.

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