„MAMMUTH“ von Benoit Deléphine und Gustave Kervern (B+R; Fr 2009; 92 Minuten; Start D: 16.09.2010); die beiden französischen Filmemacher kommen vom Fernsehen, lernten dort nicht nur das Drehbuch-Schreiben, sondern auch – über die Mitwirkung bei Satire- & Rock ´n´ Roll-Programmen – das spezielle Timing beim Ansetzen von Sketchen, von „komischen Nummern“. Bevor sie im Vorjahr über die vorzügliche Schwarze Komödie „LOUISE HIRES A CONTRACT KILLER“ auch bei uns bekannt wurden, drehten sie die Spielfilme „Avida“ (außer Konkurrenz beim Cannes-Festival 2006) sowie „Aaltra“ (lief im Wettbewerb vom Rotterdam Film Festival 2004). Hier nun, mit dieser „GMT“- & „No Money-Produktion“, haben sie erneut ein filmisches Trumpf-As abgeliefert. Das im Frühjahr im BERLINALE-Wettbewerb viel Zuspruch bekam, aber ohne Preis blieb.
Am Anfang glaubt man Mickey Rourke zu entdecken. Da stellt sich ein massiger, großer, mit herunterhängenden langen Zotteln versehener Typ vor, bei dem sich GERARD DEPARDIEU als eine Art gallischer „Wrestler“ herauspellt/präsentiert: Dickbäuchig, unappetitlich, skurril. Rund 10 Jahre hat er in der Fleischfabrik geackert. Jetzt ist Feierabend. Altersgemäß: Serge, den alle Mammuth nennen, muss seinen Abschied nehmen. Er war nie abwesend, nie krank und auch nie mürrisch, lobt ihn der Chef in seiner Abschiedsrede. Von den Kollegen bekommt er ein 2000teiliges Puzzle geschenkt. Damit er die ersten freien Tage besser übersteht. Aber Mammuth-Serge fällt zuhause die Decke auf den Kopf. Trollt wie ein Bär im Zwinger herum. Kommt mit „Alltag“ nicht klar. „Ein Tag auf Rente und schon herrscht die totale Anarchie“, nölt Ehefrau Catherine (YOLANDE MOREAU). Und schickt ihren „einfach strukturierten“ wie völlig ausgebrannten Gatten „auf Tour“. Weil ihm noch einige Papiere für die Rente fehlen, soll er seine früheren Arbeitgeber aufsuchen, um sie zu beschaffen.
Also macht er sich, missmutig, auf den Weg. Mit seinem „kostbaren“ deutschen „Münch Mammuth“-Motorrad (ein heutiges Kultgerät der frühen 70er Jahre, vom Hersteller Friedel Münch einst in Handeigenarbeit gebaut).Trifft auf ziemlich fiese „Exoten“. Und muss feststellen, für was für einen „Arsch“ sie ihn hielten und noch halten. „Du bist absolut blöd“, bringt es ein Chef von damals nett wie ungeniert auf den einfachen Punkt. Einzig „Miss Ming“, seine junge, eigenwillige Nichte und Künstlerin (MISS MING als Miss Ming), findet freundlichen Zugang. Von Außenseiterin zum Außenseiter: „Sie haben eine sehr schöne Trüffelnase“. Und später: „Außen bist du ein Riese, innen bist du ganz sanft“.
Ein Rotz-Typ auf seinem späten Trip. Der die Schmerzen über den tödlichen Unfall-Verlust seiner ersten Liebe Yasmin (Ikone ISABELLE ADJANI) nie überwunden, abgeschüttelt, bewältigt hat. Und dadurch „so“ wurde wie er ist. Monsieur Nichts. „Eine Möglichkeit, Sonne abzukriegen, hatte ich nie“. Nun aber darf er sie doch noch tanken. Das Dasein des „Blödkopps“ verändert sich. Nach und nach; mehr und mehr.
Ein herrliches Reise-Movie. Zum weiten Ich. Mit dem Geruch des Asphalts. Und der Seele dieses „komischen Kerls“. Der stoisch wie lange unbeeindruckt durch sein Alter düst und dabei lernt, sein Selbstwertgefühl endlich aufzumöbeln. DER wie ein dicker fetter hässlicher Hund daherkommt, um zum Herrn zu mutieren. Zum Herrn über sein Sich. Der 60jährige GERARD DEPARDIEU (mit seiner einfühlsamen deutschen Dauer-Stimme: MANFRED LEHMANN) ist eine Sensation. WIE er in diesen Koloss eintaucht; WIE er einen geradezu unglaublichen Mut zur „dollen“ Hässlichkeit beweist; WIE er als alter Herr Niemand mit Rockermähne grimmig drauflosschmutzt, ist ein Aufbegehren der Sonderklasse. Mit viel „Bukowski“-Slapstick-Appeal: Es stinkt nach „komischer“ Gossen-Poesie an allen Ecken und Enden. „Mammuth“ ist eine verstörende, anrührende Nummernrevue: Ohne „dicke“ aufzutragen, ohne blöden Schwermut, ohne triefende Verzweiflung. Vielmehr still, simpel, immer geradeaus. Einatmen, ausatmen, durchatmen: „Das Leben ist scheiße, und trotzdem, man muß sich damit abfinden“, löste einst seine Frau Catherine den emotionalen Knoten bei der ersten Begegnung. Die belgische Aktrice YOLANDE MOREAU („Séraphine“), inzwischen zweifache „Cesar“-Preisträgerin, hat als genervte Ehefrau den formidablen Durchblick und besitzt viel spitzen Kontra-Charme.
Dieser neue französische Film „Mammuth“ ist Einfach-Klasse (= 4 PÖNIs).