LINIE 1

LINIE 1“ von Reinhard Hauff (B+R; nach dem gleichn. Musical von Volker Ludwig und Birger Heymann/Musik von 1986; BRD 1987; K: Frank Brühne; M: Birger Heyman; 99 Minuten; Start BRD: 12.02.1988; DDR-Kino-Start: 12.05.1989).

Berlinern ist der Titelsong längst schon in Fleisch und Blut übergegangen. Seit dem 30. April 1986 läuft die, wie es im Programm heißt, ‘musikalische Revue‘ “Linie 1“ von Volker Ludwig ständig ausverkauft im “Grips“ Theater. 81.000 Besucher kamen zu bislang 225 Vorstellungen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Inzwischen ist “Linie 1“ aber auch auf vielen Bühnen in der Bundesrepublik nachgespielt worden und hat sich auch dort zu einem Dauerbrenner entwickelt. “Linie 1“, das ist Musical, Revue, Theater, Kabarett, das sind Songs, Texte, Rahmenhandlung und Momentaufnahmen am Puls der Zeit. Unserer Zeit. Hier in Berlin – und zunächst am Bahnhof Zoo.

Sunnie  (INKA GROETSCHEL), ein Mädchen aus der Provinz, ist von Zuhause abgehauen. In die Großstadt. Dort, wo der Rockstar Johnnie auf sie zu warten versprochen hat und wo bekanntlich das “wirkliche“ Leben gerade stattfindet. Und deshalb steht Sunnie eines morgens verloren und verwirrt in Berlin am Bahnhof Zoo. Denn anstatt auf freundliche, hilfsbereite Menschen trifft das niedliche ‚Wessi‘-Girl auf die exotischen Überreste der Nacht und die morgendlichen müden Muffel, die zur Arbeit hetzen. Penner und Funks umschwärmen sie ebenso wie Total-Ausgeflippte und Zuhälter. Hektisch und grau dazwischen: die desinteressierten, anonymen Stadtmenschen. Die keine Fragen stellen, nichts interessiert, in Ruhe gelassen werden wollen. Und ebenso mittendrin: die blassen Uniformträger von der Polizei und der BVG. Eine richtig berlinisch-gemütliche Stimmung also.

Sunnie will nach Kreuzberg. Dort soll Johnnie wohnen. Und dorthin fährt die U-Bahnlinie 1. Also einsteigen und “verrückt bleiben“, wie der ‘Scheibenwischer‘ und Zugabfertiger Dieter Hildebrandt schnell noch singend ablässt. Dann geht‘s los. Mit all den bekannten Figuren und Iieben Typen. Den manischen Weltverbesserern, den tristen Spießern, den heillos Verklemmten, den Ehekrüppeln, der berühmt-berüchtigten “schweigenden Mehrheit“. Und mit den Kids, die auf Ramba-Zamba stehen. Wie zum Beispiel Bambi (DIETER LANDURIS). Eine sympathisch-schräge Großstadtexistenz, die für manch praktischen Ratschlag gut ist. Oder die hinreißende Maria (ILLONA SCHULZ), die kleine Picklige, die mit Jobs und Freunden so ihre Schwierigkeiten hat und sich trotzdem nicht unterkriegen lässt. Sunnie trifft viele Leute an diesem ersten Tag in Berlin. Sieht schreckliche Dinge, hört schlimme Worte, findet aber auch Zuneigung und Trost.

“LINIE 1 – Der Film“ macht genauso prächtig an wie das Theaterstück. Er ist, wie schon im “Grips“, eine überzeugende Ensemble-Arbeit mit nun noch dazu gekommener aufwendiger Choreographie. “Linie 1 – Der Film“ bedeutet auch im Kino die sinnlich-spannende Wiedergabe und Standortbestimmung eines bestimmten Lebensgefühls, das nicht nur für die nervige Großstadt Berlin typisch ist. Das Team um Regisseur Hauff hat genau die richtige, stimmungsvolle Mischung aus Emotionen und Tatsachen-Beobachtungen gefunden. Auch ‘Linie 1 – Der Film“ schaut den Leuten direkt aufs Maul, ohne sie hämisch auszulachen oder zu denunzieren. Wut und Humor sind so vorzüglich platziert, dass Bauch und Kopf gleichermaßen kraftvoll bedient und clever-musikalisch angesprochen werden.

“Linie 1“ macht Mut, Hoffnung und viel, viel Spaß und ist auch als Film ein absoluter Volltreffer (= 4 ½ PÖNIs)!

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