DAS LEBEN IST EIN CHANSON

PÖNIs: (4,5/5)

Der 75-jährige französische Cineast ALAIN RESNAIS zählt zu den bedeutendsten Regisseuren Frankreichs. 1959 schuf er mit seinem Debütfilm “Hiroshima, mon amour“ eines der zentralen Werke der “Nouvelle Vague“/der “Neuen Welle“ des französischen Kinos. Mit anspruchsvollen wie intellektuellen Werken à la “Letztes Jahr in Marienbad“ und “Der Krieg ist vorbei“ überzeugte der aus der Bretagne stammende Resnais als herausragender europäischer Avantgarde-Künstler. Dass intelligentes, geistvolles Kino keineswegs elitär und langweilig sein muss, hat der Altmeister in den 80er Jahren mit Arbeiten wie “Stavisky“ und “Mein Onkel aus Amerika“ und dann vor allem 1993 mit seinem Doppelfilm “Smoking“/“No Smoking“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Allerdings: Alain Resnais hatte nie so etwas wie einen “Kassenknüller“ produziert, wie es heute so Quoten-gerecht heißt.

Das nun hat sich mit seinem Kinofilm Nummer 21 gründlich geändert: Mehr als 2 Millionen Franzosen pilgerten inzwischen in seinen neuen hierzulande beim diesjährigen Berlinale-Wettbewerb erstmals vorgestellten Film “On Connait La Chanson“. Was original-übersetzt übrigens “Man kennt das Lied“ heißt. Aber in Anlehnung/Anspielung an sein 83er Singspiel-Melodram “Das Leben ist ein Roman“ gab der Verleih ihm den deutschen Titel:

„DAS LEBEN IST EIN CHANSON“ von Alain Resnais (Fr 1997; B: Jean-Pierre Bacri, Agnès Jaoui; K: Renato Berta; M: Bruno Fontaine; 120 Minuten; deutscher Kino-Start; in Originalsprache mit deutschen Untertiteln: 09.04.1998).

Und “Das Leben ist ein Chanson“ war denn auch im März der große Gewinner bei der Vergabe der “César“-Preise, der französischen “Oscars“: Gleich 7 Trophäen erhielt dieses Beinahe-Musical von Alain Resnais, das alles andere als ein “Alterswerk“ geworden ist. Ganz im Gegenteil: Resnais interessieren nicht irgendwelche “Erwartungen“, sondern ER zeigt sich einmal mehr jung, beweglich und diesmal auch sehr musikalisch.

Wir kennen das ja zur Genüge: Tagtäglich werden wir mit den Bildern schöner, dynamischer, junger Menschen konfrontiert: Im Fernsehen, in den Zeitungen, in den Magazinen, im Kino. Die Folge: Vergleiche. Parallelen zum eigenen Ich. Wer älter als 25 ist und zu dick, zu dünn oder zu groß, dazu vielleicht Single ist und obendrein kinderlos, der fühlt sich nicht nur unglücklich, sondern auch furchtbar allein, ausgeschlossen und irgendwie abartig. So jedenfalls geht es den in die Jahre gekommenen 6 Film-Personen, den 4 Männern und den 2 Frauen. Die meisten von ihnen sind wohlhabend und dennoch ewig unzufrieden und ständig auf der Suche: Nach Abenteuern, nach Abwechslung, nach der Liebe, dem Glück und – Immobilien. Ein bourgeoiser Taumel sozusagen. Oder, wie Resnais es formuliert: ein alltägliches Universum. In dem die Beteiligten – um ihren Gefühlswallungen und Gefühlsschwankungen noch mehr Ausdruck zu verleihen – immer mal wieder singen/bzw. singen lassen.

Die Idee, den rastlosen Leutchen seines Films rund 3 Dutzend populäre Liebeslieder in den Mund zu legen, erweist sich als ebenso vergnüglicher wie als reizvoller Kniff. Denn die Chansons von Charles Aznavour, Gilbert Becaud, Édith Piaf, Johnny Hallyday bis France Gall und Jane Birkin sind zugleich ironischer Kommentar und nostalgischer Ohrenschmaus.

Manchmal stimmen die Figuren nur ein paar Takte an, manchmal eine ganze Strophe: Immer aber machen die Lied-Texte im Rahmen der gerade ablaufenden Szenerie und der soeben gesprochenen Dialoge Sinn und Spaß. Danach verfallen die Interpreten sogleich und wie selbstverständlich wieder in ihren normalen Text, als wäre überhaupt nichts gewesen. So entsteht ein liebevoll-sinnlicher Kontrast: zwischen der heilen Wunschwelt der Songs und der vorhandenen Beziehungswunden der einsamen Protagonisten.

“Das Leben ist ein Chanson“ von Alain Resnais erzählt heiter, melancholisch und bissig von den zwischenmenschlichen Errungenschaften der 90er Jahre: Von Lebenslügen, von Schlager-Zitaten und von den vielen Masken, mit denen Mann und Frau oft herumirren. Resnais macht sich darüber auf spielerische/stimmungsvolle Weise lustig.

Übrigens: “Das Leben ist ein Chanson“ ist so bestechend und tiefgehend “französisch“, dass man bei uns erst gar nicht den Versuch unternommen hat, den Film etwa einzudeutschen/zu synchronisieren. Richtigerweise läuft er in seiner Originalsprache mit deutschen Untertiteln. Was der guten Stimmung überhaupt nicht schadet: Humor, Charme und Emotionen sind eben jederzeit und überall zu verstehen. Und am vortrefflichsten natürlich über die Musik: Das Leben, ganz klar, ist ein ewiges Chanson (= 4 ½ PÖNIs).

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