THE LADY IN THE VAN

THE LADY IN THE VAN“ von Nicholas Hytner (GB 2014; B: Alan Bennett; nach seinem Roman „Die Lady im Lieferwagen“/2004; K: Andrew Dunn; M: George Fenton; 104 Minuten; Start D: 14.04.2016); Schauspieler-Filme sind mit das Schönste, weil Empfindsamste, was es gibt. Wie dieser Film. SIE adelt im Grunde jeden Film: Die am 28. Dezember 1934 im britischen Ilford, Essex, geborene MAGGIE SMITH. 1970 wurde sie von der britischen Königin Elisabeth II. zum Commander of the Order of the British Empire ernannt; 1990 zur Dame Commander of the British Empire erhoben. Die zweifache „Oscar“-Lady (1970 als Hauptakteurin: „Die besten Jahre der Miss Jean Brodie“; 1979 als Nebendarstellerin in: „Das verrückte California-Hotel“) ist aus unzähligen Spielfilmen bekannt; natürlich fällt einem sofort ihr Part als Professorin Minerva McGonagall aus den „Harry Potter“-Verfilmungen ein; was war sie aber auch für eine wunderbare verhärmte Jungfer Charlotte Barlett in James Ivorys herrlicher Komödie „Zimmer mit Aussicht“ (1985); oder bereitete als Mutter Oberin in den „Sister Act“-Movies neben Whoopi Goldberg Vergnügen oder war einer der Charming-Gäste im „Best Exotic Marigold Hotel“ (2011/2015).

Auch als Miss Mary Shepherd, alias Margaret Fairchild, wird sie in den Bestenlisten für außergewöhnliche, herausragende darstellerische Leistungen künftig aufgeführt sein. Maggie Smith als Obdachlose Miss Mary Shepherd. Die in den 1970er Jahren einfach auftaucht. Mit ihrem Lieferwagen. „Zunächst ist es eine ‚kleine‘ Anschubhilfe, die sie erbittet, aber es dauert nicht lange, und sie erobert mit ihrem maroden rollenden Zuhause einen festen Platz im Vorgarten – für die nächsten zwanzig Jahre“, heißt es in dem gleichnamigen Buch des britischen Dramatikers ALAN BENNETT aus dem Jahr 1994, das unter dem Titel „Die Lady im Lieferwagen“ 2004 hierzulande erstmals veröffentlicht wurde.1999 wurde die Geschichte von Alan Bennett erstmals auf einer (Londoner) Theaterbühne aufgeführt. Mit MAGGIE SMITH in der Haupt-, sprich Titelrolle. Danach entstand auch ein BBC-Hörspiel zu dieser außergewöhnlichen Geschichte.

Alan Bennett, einer der populärsten Autoren Großbritanniens, schrieb jetzt auch das Drehbuch für die filmische Adaption seines Buchs, während Dame-SIE natürlich die Figur der überkandidelten Mary Shepherd erneut übernommen hat. Der britische Regisseur NICHOLAS HYTNER, der einst schon die Bühnen-Inszenierung von „The Lady in the Van“ inszenierte, hat in den letzten 20 Jahren nur 6 Filme gedreht, zumeist Adoptionen von Bühnenaufführungen, darunter „King George – Ein Königreich für mehr Verstand“ (Debüt 1995, siehe auch Kino-KRITIK). Seinen neuen Film, den er ja quasi vom Theater-her schon „kennt“ und bei dem es eingangs heißt, es handele sich um eine „mostly true story“, drehte er an den Londoner Originalschauplätzen. Dort, wo sich damals der Schriftsteller und die Obdachlose erstmals begegneten und „beieinander“ blieben.

Nett ist sie nie. Danke-sagen hat sie nicht im verbalen Repertoire. Laut und zickig darf man sie identifizieren. Sie riecht nicht gerade „gut“, „verteilt“ gerne ihren Müll auf der Straße und wenn sie lauthals flucht, verscheucht sie damit die Kinder der Umgebung. Im gutbürgerlichen Londoner Stadtteil Camden. Als sie 1974 erstmals dort beim Denker und Dichter Alan Bennett auf seinem Grundstück auftaucht, vermag (d)er nicht NO sagen. Und lässt sie aus Höflichkeit & Mitleid (= auch gerne umgekehrt) mit ihrem lausigen Vehikel auf der Einfahrt seines Hauses parken. Also wohnen. Vorübergehend. Versorgt sie, da es immer länger „(an-)dauert“, mit Strom, gestattet ihr die häusliche Toilettennutzung und verteidigt sie schließlich schon mal gegenüber besorgten Sozialarbeitern. Während die „aufgescheuchte“ wohlhabende Umgebung, offensichtlich um ihr soziales Schuldgefühl zu besänftigen, mit „Spenden“ für Mary anrückt. Was sogleich mit rüder Undankbarkeit seitens der Beschenkten „belohnt“ wird.

Im Laufe der Zeit und Jahre entsteht eine merkwürdige (Ver-)Bindung zwischen diesen beiden, höchst ungleichen Personen, dem Intellektuellen Alan und der keineswegs schlichten Mary. Die perfekt Französisch spricht und deren Vergangenheit den Schriftsteller immer mehr interessiert. Und der sich selbst des Öfteren phantasievoll zweiteilt, wenn es darum geht, zwischen dem arroganten Berufsschreiber und labilen Privatmann häusliche „Diskussionen“ anzuregen. Was beispielsweise dichterische Freiheiten bedeuten. Ein geradezu köstlicher Part für den großartigen Maggie Smith-Kontrahenten ALEX JENNINGS als gespaltener Alan Bennett. Der zum spannenden Mary Shepherd-Chronisten wird, die in Wirklichkeit Margaret Fairchild heißt und deren Vorleben „einiges“ hervorbringt.

Natürlich aber: MAGGIE SMITH. Die 81-jährige in ihrem ungesitteten Rollen-Temperament zu erleben, bedeutet schauspielerischem Hochgenuss zu begegnen. Herzhaft zu empfinden. Porentief zu erleben. Wohlig zu genießen. Als spröde, eigentlich gebrechliche, schuldbeladene, kesse, freche Anti-Lady besitzt sie verbales Feuer, paranoiden Charme, pointierten Wut-Humor. Die Lady im Van ist IHR brillanter Alters-Rollen-Triumph (= 4 PÖNIs).

 

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