KÖNIG VON DEUTSCHLAND

„KÖNIG VON DEUTSCHLAND“ von David Dietl (B + R; D 2012; K: Felix Novo de Oliveira; M: Francesco Wilking, Patrick Reising; 97 Minuten; deutscher Kino-Start: 05.09.2013); Papa Helmut, 69, schwächelt ja seit geraumer Zeit filmisch, konnte mit seiner Komödie „Vom Suchen und Finden der Liebe“ (2005) und zuletzt mit der Polit-Satire „Zettl“ (2012) wenig punkten. Bleibt aber über die beste, deutsche TV-Serie aller Zeiten „Kir Royal“ (1986) und mit seinen brillanten Kinofilmen „Schtonk!“ (1992) und „Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ (1997) unübertroffen. Sohn David, 1979 in Los Angeles geboren, seit 1989 in München lebend, tritt mit dem Abschlussfilm seines Regie-Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin in seine köstlich-ideenreichen, Spaß-spannenden Fußstapfen.

Er heißt Thomas Müller (OLLI DITTRICH), ist 46 Jahre alt und stammt aus Normsen. Klingt nach Norm und trifft den inhaltlichen wie gedanklichen Faden. Thomas Müller ist brutalster, deutscher Durchschnitt. Die definitive Mitte vom Maß. Nichts an ihm stinkt nach etwas Besonderem. Eine graue Mensch-Maus als grauer Angestellter. Der zwischen Schrankwand, Ledergarnitur und Großbildfernseher mit seiner Lehrer-Gattin Sabine (fein diszipliniert: VERONICA FERRES) lebt. Man redet etwa eine Viertelstunde pro Tag, dafür sitzt er bis zu vier Stunden abends vor dem Bildschirm (Lieblingsratesendung: „König von Deutschland“). Pünktlich um 6:18 Uhr klingelt früh der Wecker. Im Bad benötigt er knapp 24 Minuten, isst am liebsten Schnitzel mit Kartoffelsalat, fährt einen VW. Ein deutscher Herr Mustermann. Mit auch noch einer FC Bayern München-Tasse. „Er ist todlangweilig und stinknormal“, urteilt Sohn Alexander. Was also ist an diesem Trockenbruder Thomas Müller dran, dass „MAN“ sich plötzlich „groß“ für ihn interessiert? Das heißt – erst wird er aus seinem Job unverzüglich (wie unschuldig) geschmissen, dann lernt er den charismatischen Herrn Schmidt kennen. Stefan Schmidt (WANJA MUES als smarter faustischer Verführer-Manager). Der ihm sogleich einen neuen lukrativen Job bei einem aufstrebenden Industriedienstleistungsunternehmen („Industries Limited“) vermittelt. Wo Thomas sofort hofiert wird. Mit neuer Brille („Du siehst aus wie Honecker“, meint allerdings sein Vater) und neuen Rauchmeldern in der Wohnung. Sowie mit der guten Aussicht, sich doch nun das Eigenheim auf der Vorort-Wiese demnächst leisten zu können.

Natürlich stimmt hier ´was nicht. Thomas Müller ist ein Auserwählter. Man hat gerade IHN bewusst „entdeckt“. Und kräftig manipuliert. Denn Thomas Müller, dieser totale Durchschnittskobold, wird dringend „benötigt“. Von einem gigantischen Meinungsforschung-Apparat. SEIN Denken, Handeln, seine Bewegungen und Bemerkungen, sind das Nonplusultra für den allgemeinen, deutschen Massengeschmack. Im Konsumverhalten ebenso wie im „Politischen“. Für die nächsten Wahlen. Also wurde und wird dieser Thomas Müller rund um die Uhr „abgeklopft“. Beobachtet. Analysiert. Befragt. Also ausgehorcht. Diskret, natürlich. Auch ganz privat. Über die Brillenkamera, über die Kleinkameras in den häuslichen Rauchmeldern. „Big Brother is watching you“, George Orwell („1984“), ist aktueller denn je. Zeigt sich über die Großbildwand als Typ – Marke Dr. Mabuse (HANNS ZISCHLER). Ohne, dass Thomas Müller dies (be-)merkt. Zunächst. „Du bist besonders“, wird er vollgelobt. Wenn er mal überrascht ist. Oder erste Zweifel sich bei ihm auftun. Dabei ist er längst die Keimzelle einer Meinungs-Epedemie. Dessen Reaktionen das „öffentliche Leben“ permanent bestimmt. Bis er das – endlich – schnallt. Und gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Freundin zurückschlägt. Während seine Gattin („Ich liebe Fußbodenheizung“) ihn längst schon „veräußert“ hat. Und „mit denen“ kooperiert. Aber hat der erwachte Spießer überhaupt eine Chance? Gegenüber diesem mächtigen und nun immer zorniger werdenden, mächtigen Apparat?

Wie schön, ein deutscher Film, der mal nicht auf feuchten Blödsinn oder tränige Beziehungen setzt. Oder auf Krawall-Komik. Sondern unterhaltsam sein will mit interessanten Figuren und reizvollen Gedanken. Mit spannenden Realo-Absichten pokert. Stichwort: Lebendige Meinungsforschung. DIE wollen inzwischen ALLES über uns wissen. DIE spionieren ständig alles aus. Stichwort: DATEN. Wie und wo und welche sie nur kriegen können. Über UNS. Wir sind „begehrt“. Mit allem, was wir tun oder nicht tun. Mit allem, was wir denken. Mit jeder Bewegung. Regung. Mit unserem Verhalten. Mal wie ständig. Alles. Wird kontrolliert. Damit SIE uns (noch) besser „einstufen“ können. Vorhersehbarer einzuschätzen vermögen. Der totale gläserne Bürger. Beliebt und erwünscht. Damit keine „Ausraster“ aus dem profitablen Raster passieren. Wie bei Thomas Müller. Der Durchschnittsdoofe, der plötzlich aufmuckt. Geschickt wie originell. So dass „das System“ subversiv infrage gestellt wird. Ach herrjeh. MAN ist „oben“ verstimmt. Und verstört. Also stinksauer.

David Dietl tastet sich voran. Liefert keine deutsche „Truman Show“ ab, sondern lässt unterhaltsame Gedanken und Figuren auf kecker Flamme los. Mit überschaubarer, deutlicher, aber stets kitzliger Breitseite. Thomas Müller sind inzwischen WIR-ALLE. Ich, Du, Er, Sie. Ausnahmen? Vielleicht, hoffentlich, beim phantasiereichen wie misstrauischen Nachwuchs. Raunen die satirischen, zynischen Bilder. Und Motive. Die dadurch stark wirken, weil an der Rampe ein brillanter Könner stimmungsvoll- prächtig mimt: OLLI DITTRICH. Der jugendlich wirkende 56-jährige Offenbacher, der grandiose „Dittsche“ aus dem Fernsehen, zum Beispiel, ist ein Multi-Talent. Als intelligenter Spaßverbreiter („Der Wixxer“). Und taucht hier in (s)eine Paradefigur ein: In den gewöhnlichen, naiven Deutschtümmler. Ohne DEN lächerlich zu machen, zu denunzieren. Ganz im Gegenteil: Olli Dittrich putzt ihn grandios „möglich“ hervor. Sozusagen deppert-verständlich. In seiner fulminanten Körpersprache schafft dabei der Familien-„Dittsche“ diese Type faszinierend ´ran. Nah. Authentisch. Mit wahrhaftigen Nuancen. Was haben wir hierzulande nur für wunderbare Schauspieler-Talente, doch wenn sie nicht das Glück haben, einem Quentin Tarantino zufällig zu begegnen, dann „versenden“ sie sich zu oft. Und viel. Ein Olli Dittrich gehört einfach mehr und öfter auf die Kinoleinwand. Er packt es, dass man gebannt ist. Hier imponierend: von seinem Thomas WIR-Müller. David Dietl hat mit „König von Deutschland“ einen hoffnungsvollen, bravourösen Start-Kinofilm hingekriegt (= 3 ½ PÖNIs + ½ Debüt-PÖNI = 4 PÖNIs).

Teilen mit: