„KLEINE WAHRE LÜGEN“ von Guillaume Canet (B+R; Fr 2009/2010; 154 Minuten; Start D: 07.07.2011); einer der elegantesten, spannendsten, intimsten französischen Gesellschaftsbeobachter und Nachkriegszeit-Chronisten war der französische Drehbuchautor und Regisseur CLAUDE SAUTET (23.2.1924 – 22.7.2000). Mit Filmen wie „Die Dinge des Lebens“, „César und Rosalie“ (1970/1972) sowie „Eine einfache Geschichte“ (1978/alle mit Romy Schneider) pflegte er den „feinen“; emotional-intellektuellen Denk- und Seelen-Blick auf die französische Mittelschicht. In ihrem Geflecht aus sozialen Beziehungen, Krisen, Ängsten und bürgerlichen Wohlstands“verrenkungen“. Zu seinem Hauptwerk zählt der 1973 realisierte Streifen „Vincent, Francois, Paul und die anderen“. Der Film erzählt von einer Gruppe von Pariser Freunden, die ihre freien Wochenenden gemeinsam auf dem Lande verbringen. „Ein subtiles Gruppenporträt…, in dem inszenatorisch und darstellerisch hervorragend das Auf und Ab der Schicksale ineinandergeflochten werden…; unterhält auf nachdenklich stimmende Weise als unaufdringliches, mitunter leise ironisches Moralstück außerordentlich gut“, urteilt das „Lexikon des Internationalen Films“ über dieses mit Yves Montand, Michel Piccoli, Serge Reggiani, Gérard Depardieu, Stéphane Audran und Marie Dubois exzellent besetzte Meisterstück. Der am 10. April 1973 geborene französische Schauspieler („Zusammen ist man weniger allein“), Regisseur („Kein Sterbenswort“/2006) und Drehbuch-Autor tritt mit seinem 3. langen Spielfilm (nach „Bad, Bad Things“/2002 und eben „Kein Sterbenswort“) in die Fußstapfen von Claude Sautet. Stieß im französischen Kino mit über 5 Millionen Besuchern auf großes Interesse. In „Les petits mouchoirs“, so der Originaltitel, geht es auch um eine Pariser Freundes-Clique. Die will gerade wie jedes Jahr gemeinsam in den Urlaub fahren, an die französische Atlantikküste, als sie ein schwerer Schicksalsschlag ereilt: Einer ihrer Freunde, Ludo (JEAN DUJARDIN), hatte einen Verkehrsunfall mit dem Motorrad und liegt im Krankenhaus auf der Intensivstation. Es ist nicht gut um ihn bestellt. Soll man „dennoch“ verreisen, sollen einzelne eventuell hierbleiben? No. Es wird verreist. Notfalls kann man ja zwischendurch kurz mal zurück. Dennoch – die Stimmung ist diesmal „sowieso“ seltsam gereizt. Permanent angespannt. Eigentlich urlaubsmäßig indiskutabel. Vor allem, weil der Strandhaus-Gastgeber, der erfolgreiche Pariser Restaurantbesitzer Max (FRANCOIS CLOZET), sich als hypernervöses, latent angepikstes Stimmungsstehaufmännchen erweist. Der immer gleich in die Luft geht, wenn etwas nicht so ist wie es sein sollte. Bei schon kleinsten Kleinigkeiten „hebt“ er ab. Schuld daran ist auch sein verheirateter Kumpel Vincent (BENOIT MAGIMEL), der ihm plötzlich „merkwürdige Gefühlswallungen“ gesteht. Und den sowieso schon zugestressten Max damit vollends aus der Fassung bringt. Aber auch bei den Anderen zeigen sich mehr und mehr rissige Posen und Possen. Eitle, stolze, übertünchte Lügengespinste. Vor allem bei den Kerlen, aber auch bei den Frauen. Stichwort: Die privaten individuellen Hormon-Dämonen….und ihre unberechenbaren Folgen. Marke – emotionale Blockierungen. Guillaume Canet besitzt noch nicht die inszenatorische Sicherheit und vor allem nicht die weise Eleganz eines Sautet. Seine lange episodenhafte Betrachtung eines befreundeten Oberflächen-Ensembles, das nun in den eigenen seelischen Tiefen „ermittelt“, ist viel zu wortreich und auch unverbindlich. Einigen der Beteiligten wird große Nähe und Aufmerksamkeit gewidmet, andere Interessante bleiben unnah. So manche Wuteskapaden wirken aufgesetzt. Mitunter mag man nicht glauben, dass sich hier Freunde „dermaßen“ nerven, „beharken“. Andererseits bereitet der Blick auf einen bourgeoisen französischen Gesellschaftschor auch einigen Spaß. Ist reizvoll anzuhören und anzusehen. Etwa wenn Marie, eine beziehungsunfähige Ethnologin („Oscar“-Preisträgerin MARION COTILLARD/die Edith Piaf in “La vie en Rose“), sich mit ihren partnerschaftlichen Unzulänglichkeiten herumschlägt. Oder sich der abtickende Single Antoine (LAURENT LAFITTE) gar nicht mehr einkriegt vor lauter Neurosen-Schaum. Und…und…und… „Kleine wahre Lügen“ ist wie das behutsame, dann intensive Eintauchen in einen Ganz-Okay-Schinken von Menschen-Roman. In dem man je nach eigener Lust und Laune gerne „dranbleibt“ oder halt abbricht. Ich habe bei dieser langen Moral-„Läuterung“ durch ehrliche Klärung ganz gut durchgehalten. Denn der Film „hat schon was“ in Sachen Atmosphäre, Ambiente, Figuren-Neugier, Musikalität, aber eben nicht „genug“. Distanz. Herz. Ironie. Für einen dauerhaft berührenden Melancholie-Hit. Á la Sautet (= 2 ½ PÖNIs). |
|||