DIE KLASSE

DIE KLASSE“ von Laurent Cantet (Co-B+R; Fr 2007; 128 Minuten; Start D: 15.01.2009); ist der 5. Film des bei uns weitgehend unbekannten französischen Regisseurs, Drehbuch-Autors und Kameramanns. Er beruht im Wesentlichen auf den Erfahrungen von FRANCOIS BÉGAUDEAU als Literatur- und Französisch-Lehrer in einer der Pariser Vorstädte. Diese Erfahrungen hat Bégaudeau in dem 2006 veröffentlichten Roman „Entre les murs“ (= „ZWISCHEN DEN MAUERN“/so auch der Originaltitel des Films) verarbeitet. Er bildet die Grundlage des im letzten Frühjahr in Cannes mit dem Hauptpreis, der „GOLDENEN PALME“, ausgezeichneten Films, zu dem Bégaudeau Teile des Drehbuchs verfasste und in dem er zugleich die Hauptrolle spielt, den jungen, engagierten Lehrer Francois.

Der startet voller Tatendrang ins neue Schuljahr. Seine Schule befindet sich im 20. Pariser Arrondissement, einem sog. „sozialen Brennpunkt“, und es sind 24 Schüler/Innen, zumeist mit Migrationshintergrund, die ihn – eher nicht – erwarten. Denn die Arbeitsmoral und das Interesse seiner 14/15jährigen Schüler sind miserabel. Sie geben sich gelangweilt, missmutig, desinteressiert, überhäufen ihn mit Zwischenfragen. Es ist ein täglicher Kampf/ein tägliches gegenseitiges Aufreiben um Anerkennung, Aufmerksamkeit, Respekt. Während Kollegen längst aufgegeben haben, sich desillusioniert „zurückziehen“, macht Francois beharrlich, unermüdlich weiter. Paukt Grammatik, erklärt Fremdwörter, will IHNEN das Werk der Anne Frank näherbringen. Die Handlung des Films konzentriert sich nicht auf einen Konflikt, sondern reiht alltägliche Atmosphäre, alltäglichen Zoff – auch mit Eltern und Schulbürokratie – aneinander.

Dabei entfaltet der als Doku-Drama angelegte Film eine packende Faszination. Denn die ständige Konfrontation in diesem Mikrokosmos „Klasse“ bzw. „Schule“ erscheint absolut realitätsnah. Abgeschottet von der Außenwelt entsteht eine direkte Sicht-/Denk-/Diskussionsweise, die „so“ noch nie zu sehen, zu fühlen, auf der Leinwand zu erleben war. Cantet & Bégaudeau gelingt es, ein brandaktuelles Gesellschaftsthema vorzuführen, OHNE irgendwelche Anklagen oder einseitigen Vorwürfe zu formulieren. Auf erschreckend nachvollziehbare, glaubwürdige Weise skizziert er frustrierte Lehrer, desinteressierte, sprachunkundige Eltern und lustlose Schüler, die einfach kein Miteinander finden können oder wollen. Die sonst so in „Schulfilmen“ beliebte Dramaturgie, renitente Schüler in „idealistischen Kämpfen“ schließlich doch „gewinnen“ zu können, gilt hier nicht/kommt hier nicht zum Tragen. Unmissionarisch wird hier die TATSÄCHLICHE Atmosphäre in einer staatlichen Schulklasse von heute beschrieben/vorgeführt. Und: Weil Rütli-Offenbarungseid und Pisa-Schock inzwischen auch bei uns zu einem aktuellen Politikum geworden sind, besitzt der Film auch „deutsche Brisanz“. Wird sich mit Sicherheit auch bei uns zu einem „heißen Schulfilmklassiker“ entwickeln.

Obwohl er pausenlos „unbequem“ ist: Ständig wird geredet, verhandelt, gestritten. Die Dauer-Anspannung von Schüler und Lehrer überträgt sich ungefiltert, man fühlt sich ebenso „eingeengt“ wie „bedroht“ ZWISCHEN DEN MAUERN. Dennoch ist der Film nie pessimistisch. Bequeme Lösungen sind zwar nicht in Sicht, aber eine Hoffnung ist durchaus spürbar. Irgendwie ist auch „Mut“ für Änderungen/Veränderungen spürbar. Dass „die Mauern“ doch einmal auseinanderfallen werden. Im übrigen: Alle Darsteller sind Laien. Die ihre Rollen in einem einjährigen Workshop erarbeitet und beim Improvisieren vor laufender Kamera „verfeinert“ haben. Das schließlich verhilft diesem beeindruckenden Werk zu einem einzigartigen Doku-Spiel-Charakter. Man hat als Zuschauer ständig das Gefühl, sich hieran „beteiligen“ zu müssen. Mitdenken, mitfühlen, mit-diskutieren zu müssen. Dieser Film lässt einen „noch lange danach“ nicht mehr los (= 4 PÖNIs).

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