„KINDESWOHL“ von Richard Eyre (GB 2016; B: Ian McEwan; nach seinem gleichn. Roman/2014; K: Andrew Dunn; M: Stephen Warbeck; 105 Minuten; deutscher Kino-Start: 30.08.2018); vorweg genommen: dies ist ein großartig seriöser, also erfreulich anspruchsvoller Unterhaltungsfilm, der von ebenso hochkarätigen wie wunderbar fähigen Künstlern faszinierend hergestellt wurde.
Es gibt Schauspielerinnen, von denen man JEDEN Film sehen sollte, in denen sie mitspielen. Sozusagen ein Muss sind Werke, in denen Meryl Streep, Helen Mirren, Judi Dench und EMMA THOMPSON mitspielen. Die zweifache „Oscar“-Lady Emma Thompson („Wiedersehen in Howards End“; 1992; „Beste Hauptdarstellerin“; „Sinn und Sinnlichkeit“/1995/“Beste Drehbuch-Adaption“) führt hier das Ensemble an.
Sir IAN McEWAN, Jahrgang 1948, ist ein britischer Schriftsteller, der im Verlaufe seiner Karriere mit nahezu allen bedeutenden Preisen für englischsprachige Literatur ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2000 wurde er von der britischen Königin zum „Commander of the Order of the British Empire“ ernannt. Von seinen Romanen wurden einige vom Kino adaptiert, so „Der Trost von Fremden“ (1990/adaptiert von Paul Schrader); „Abbitte“ (2007) und zuletzt „Am Strand“ (2017). Sein Roman „The Children Act“, 2014 in Großbritannien veröffentlicht und 2015 bei uns unter dem Titel „Kindeswohl“ herausgekommen, wurde 2016 verfilmt; er selbst schrieb hierfür das Drehbuch.
Sir RICHARD CHARLES HASTINGS, kurz RICHARD EYRE, Jahrgang 1943, zählt gegenwärtig zu den wichtigsten Theaterregisseuren in Großbritannien und wurde für seine über 100 Inszenierungen vielfach ausgezeichnet. Neben seiner Bühnentätigkeit dreht er auch Filme fürs Kino, so u.a. „Iris“ (2001/mit der phantastischen Judi Dench); „Stage Beauty“ (2004/s. Kino-KRITIK) oder „Tagebuch eines Skandals“ (2006/s. Kino-KRITIK).
„KINDESWOHL“ benennt sogleich das Thema. „In jeder Frage der Sorge für die Person eines Kindes… hat das Wohl des Kindes dem Gericht als oberste Richtschnur zu dienen„, heißt es im Abschnitt I (a) des britischen Children Act von 1989. Fiona Maye (EMMA THOMPSON) ist eine erfahrene Familienrichterin am Londoner High Court. Fiona ist eine kompetente, Würde-ausstrahlende Juristin, die ihre gewichtigen Entscheidungsargumente mit Bedacht und Ruhe zu formulieren weiß und sich einen guten „Branchen“-Namen erworben hat. Fiona ist Richterin mit Leib und Seele, besitzt einen fleißigen wie eigentlich unzeitgemäßen Verantwortungssinn, so dass inzwischen ihre Ehe mit Jack (STANLEY TUCCI) in eine erhebliche Krise geschlittert ist. Er erklärt ihr sogar, dass er sich bald eine Affäre „gönnen“ will. Eine kurze Auszeit von der sowieso kaum noch bestehenden, inzwischen gefühllos gewordenen Ehe nehmen will. Ausgerechnet jetzt wird ihr ein Eil-Fall übertragen, in dem es buchstäblich um Leben oder Sterben geht. Der 17-jährige Adam (FIONN WHITEHEAD) hat Leukämie, doch als Mitglied bei den „Zeugen Jehovas“ lehnen er und seine Eltern die lebensrettende Bluttransfusion ab. Fiona muss entscheiden, ob das Krankenhaus den Noch-Minderjährigen gegen seinen Willen und den seiner Eltern behandeln darf. Fiona trifft eine „spezielle“ Erstentscheidung, indem sie sich an das Krankenbett des Jungen begibt, um von ihm selber zu erfahren, was er tatsächlich will. Vor Ort trifft sie auf einen intelligenten, sensiblen jungen Burschen, der argumentativ „mithalten“ kann. Diese Begegnung soll Fionas Leben künftig maßgeblich beeinflussen und verändern.
Eine sich der Lust und Freude und Bestätigung von „Arbeit“ hingebende kluge erfahrene Frau muss sich mittenmal nicht nur juristischen Fragen und Auseinandersetzungen stellen. Sie, die klar weiß, was sie will und die Privilegien einer hochrangigen = hochangesehenen „Amts“-Frau durchaus zu genießen weiß, bekommt es plötzlich mit Wechselfällen des Lebens zu tun, die sich nicht per Gesetz klären lassen. EMMA THOMPSON ist (einmal mehr) überragend. Besticht in diesem Gefühlskrimi als – eigentlich – überaus erhabene Rationalistin, die nach vielen Erfolgsjahren plötzlich erkennen muss, dass Gefühle und vor allem Gefühle-zulassen keineswegs banale Eigenschaften sind, sondern ebenso zum Alltag dazugehören könn(t)en. Also mit ihrem Denk- und Seelen-Standard durchaus (wieder) in Verbindung zu bringen sind. Wenn sie es denn zulässt. Zulassen will. Wie Emma Thompson sich als die Nr.1 am Familiengericht innerlich häutet und dabei sich selbst wiederfindet und spannend nach den Jahren des grandiosen Mitmischens in dieser Männer-Domäne „Justiz“ neu entdeckt, geht unter die Haut. Bereitet = Ist ein hochkarätiges Vergnügen. Wie sie dieses hervorragend ein- und aufgestellte Ensemble unaufdringlich und mit viel Führungs-Charme offensiv wie uneitel anführt, ist darstellerischer Olymp. Ihr hier zu begegnen, ist ein feines menschelndes Erlebnis und ein gewichtiger Film-Genuss (= 4 1/2 PÖNIs)