„KAIRO 678“ (Ägypten 2010; 100 Minuten; Start D: 08.03.2012) von Mohamed Diab (B+R); einem renommierten jungen ägyptischen Drehbuchschreiber, dessen Regie-Debüt inzwischen auf internationalen Filmfestivals (wie Dubai, Chicago) lief und dort auf (SEHR) positive Aufnahme stieß. Es ist in diesen Wochen rund ein Jahr her, dass in der ägyptischen Hauptstadt die Unruhen und Proteste gegen das Mubarak-Regime begannen. Dieser Film entstand zwar „davor“, kann und darf aber als eine Art gedanklicher Wegbereiter betrachtet werden. Auch, weil gegen ihn Zuhause – von Männern – es vehemente Proteste gab. So wurde dem Filmemacher potenzielle Anstiftung zur Genitalverstümmelung von Männern durch Frauen vorgeworfen. Als in Kairo im Vorjahr die Massenproteste begannen und zum „Arabischen Frühling“ führten, rebellierten Männer und Frauen gleichzeitig wie gleichberechtigt Seite an Seite. Was „ansonsten“ in Ägypten eher die Ausnahme ist. Denn laut einer Studie aus dem Jahr 2008 ist die überwiegende Mehrzahl der einheimischen Frauen, sind über 80% der Ägypterinnen täglicher sexueller Belästigungen ausgesetzt. Ohne dass dies angeprangert, verfolgt und gerichtet wird. Davon handelt, darüber erzählt der aufwühlende Film. In dem drei gesellschaftlich sehr unterschiedliche Frauen in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. 678 ist eine Buslinie in Kairo. Die zweifache Mutter Fayza (die Schauspielerin BUSHRA, gleichzeitig auch Co-Produzentin) fährt mit dieser Buslinie tagtäglich zur Arbeit und wird „hier“, im engen Gedrängel, ständig betatscht. Von Männern. Täglich bewusst „abgegriffen“. Ihre Proteste verpuffen in der allgemeinen Gleichgültigkeit. Und Frauen-„Unglaubwürdigkeit“. Durch Seba (NELLY KARIM), einer Frau aus der Oberschicht, die vor Jahren von einem Männermob vergewaltigt wurde und seitdem eine Selbsthilfegruppe leitet, lernt die traumatisierte Fayza sich zu wehren. Zunächst mit „nur“ einer Kopftuchnadel. Die junge Künstlerin Nelly (NAHED EL SEBAI) ist die erste Frau, die „dagegen“ offiziell aufbegehrt und Klage wegen sexueller Belästigung einreicht. Gegen den Willen der entsetzen zukünftigen Schwiegereltern. Anfangs belächelt, weder wahr- noch ernstgenommen, lässt sie nicht locker. Drei Frauen, ihre vergleichbaren Schicksale und ihre tiefen Wunden. (Seelen-)Wege, die sich kreuzen. Weil die traditionellen Rollenmuster ihnen Unterwürfigkeit und „Zweitklassigkeit“ gegenüber dem Mann attestiert. Und weil sie dies nicht (mehr) länger hinzunehmen gedenken. „Kairo 678“ besitzt in seiner Zuseh- und Denkstruktur durchaus Ähnlichkeiten mit dem vorjährigen, hochdekorierten iranischen Meisterwerk „Nader und Simin –Eine Trennung“ von Asghar Farhadi („Goldener Berlinale Bär“; soeben Auslands-„Oscar“). In beiden Filmen wird das veraltete, verstaubte und frauenverachtende „Untertan“-System beobachtet“, kritisch beäugt. Motto: Frauen „gehören“ Männern. Während Farhadi vergleichsweise „Strenge“ zelebrierte, setzt Mohamed Diab hier auf Verstand UND Emotionen. Zum Beispiel, wenn es um die – endliche – „praktische Gegenwehr“ von Frauen gegenüber ihren Peinigern geht. Oder wenn sich eine solidarische Verbundenheit zeigt. Und öffentlich wird. Als Hoffnungsschimmer für ein sich neu formierendes und sich moderner aufstellendes, argumentierendes arabisches Land. Doch die „Bewegungen“ hierfür sind bekanntermaßen wie aktuell äußerst schwierig. Behäbig. Mitunter eher schon wieder„rückwärts“ gerichtet. „Kairo 678“ ist ein aufrüttelnder, intelligenter Film. Zu einer aktuellen Betrachtung. In Ägypten, aber nicht nur dort: Überall, wo Frauen immer noch und weiterhin dermaßen schäbig „angepisst“ werden, kann er eine laute wie kritische Stimme und dabei prächtig anzusehen sein (= 4 PÖNIs). |
|||