Zum 100. Geburtstag von JEAN RENOIR (“Rundschau am Morgen“/15.09.1994)
Jean Renoir wurde am 15. September 1894 in Paris als zweiter Sohn des impressionistischen Malers Auguste Renoir geboren. Die meiste Zeit seiner Jugend verbrachte er in der Provence. Dort entwickelte sich seine Liebe zur Natur, die später ein konstantes Merkmal seiner Arbeit werden sollte. Der Kreis der Familie und Freunde hatte bleibende Wirkung auf den jungen Renoir. Viele seiner besten Filme sind das kollektive Produkt einer Gruppe von Freunden und Kollegen, die seine Ideale und Sehnsüchte teilen.
1913 trat er in den Kriegsdienst ein und wurde mehrmals verwundet. Kurz nach dem Tode des Vaters im Jahr 1919 heiratet er eines seiner Modelle:
Andree Heuschling. Zusammen arbeiten sie 4 Jahre lang mit Keramik. Beide aber waren vom Kino fasziniert: Von Chaplin und den amerikanischen Fortsetzungsfilmen. Sie gründen eine eigene Produktionsgesellschaft und drehen 1924 ihren ersten eigenen Film: “Die Tochter des Wassers“. In der
Hauptrolle: Seine Frau, die jetzt Catherine Hessling heißt.
In den 20er Jahren entstehen weitere 7 Filme. Es sind zumeist persönliche Arbeiten, die von der Schönheit der Natur, vom Triumph der Liebe über Klassenschranken, vom Nebeneinander von Freude und Schmerz und von der Verbindung ‘Traum und Realität‘ erzählen. Als Schlüsselfilm gilt “Toni“, ein Gastarbeiterdrama von 1934.
Renoir beginnt, sich für soziale Themen und politische Zusammenhänge zu interessieren. In der zweiten Hälfte der 30er Jahre entstehen d i e Kunst-Werke, mit denen sich Jean Renoir einen Ehrenplatz im Olymp des Kinos sichert: 1937 der bewegende Antikriegsfilm “Die große Illusion“; 1938 die düstere Adaption des Emile-Zola-Romans “Bestie Mensch“ und 1939 der gesellschaftskritische Film
“Die Spielregel“.
“Die große Illusion“ wurde 1958 in Brüssel von einer
internationalen Jury zu einem der “besten 12 Filme aller Zeiten“ bestimmt. “Die Demokraten auf der ganzen Welt sollen ihn sehen“, kommentierte damals der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt. Im Oktober 1939 von der französischen Zensur als “demoralisierend“ verboten, gilt er heute als Meisterwerk der
Filmgeschichte. “Ich bin für das Einfache und Direkte im Film“, sagte Renoir damals, “und nicht für übertrieben kunstvolle Mittel. Die Technik soll gar nicht bemerkt werden. Dann ist es gut“: So das künstlerische Credo eines Mannes, der als der “französischste aller Vorkriegsregisseur“ bezeichnet wurde.
Tatsächlich hat kein anderer französischer Filmkünstler vor dem Zweiten Weltkrieg so viel Einfluss auf das Leinwandschaffen jener Jahre ausgeübt und so viel internationale Anerkennung bis in die Gegenwart hinein gefunden. Von 1941 bis 1947 emigrierte Jean Renoir nach Amerika. Dort dreht er Streifen wie “Der Südstaatler“ und “Tagebuch einer Kammerzofe“. 1951 entsteht in Indien sein erster Farbfilm: “Der Strom“. “Filmen heißt, die Menschen kennen und sogar sie zu lieben, sonst hat es keinen Sinn“, begründete er seinen am Ufer des Ganges aufgenommenen Liebesfilm. Zu den letzten bedeutenden Arbeiten Jean Renoirs zählt 1955 der impressionistisch inspirierte Film “French Can Can“, eine subtile Analyse des Pariser Vergnügungsviertels Montmartre.
1959 inszeniert er den kunstvollen Horrorfilm “Das Testament des Dr. Cordelier“ mit Jean-Louis Barrault in einer seiner schönsten Rollen. Am 12. Februar 1979 stirbt der mit Ehren und Preisen überhäufte Regisseur, Autor und Lehrer im Alter von 84 Jahren in Beverly Hills, Kalifornien, wo er seinen Lebensabend verbrachte.
Der heutige 100. Geburtstag des “Meisters des poetischen Realismus“ wird weltweit begangen: Die Kinematheken in Paris, New York, Venedig, Moskau und Berlin würdigen das Werk von Jean Renoir.