In the Land of Blood and Honey

IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY” von Angelina Jolie (B+R; USA 2010/2011; 127 Minuten; Start D: 23.02.2012); die Wut ist kaum zu bändigen, die WIRKUNGS-Wut dieses ungeheuerlich hervorragenden Films. Aber bleiben wir zunächst bei den Formalien: Hinter diesem eigenartigen Originaltitel verbirgt sich ein Wortspiel = Das türkische Wort für Honig, das türkische Wort für Blut = bal & kan, also BALKAN.

Mit ihrem Namen verbindet sich das, was wir gemeinhin als STAR bezeichnen. Ein vielfach wie täglich ständig missbrauchter Begriff, der für SIE aber „ganz dick“ zutrifft: ANGELINA JOLIE, geboren am 4. Juni 1975 als Tochter des Hollywood-Schauspielers Jon Voight (beste Rolle: 1969 in „Asphalt-Cowboy“ von John Schlesinger, gemeinsam mit Dustin Hoffman). Schauspielerin & „Oscar“-Preisträgerin (Nebendarstellerin-Trophäe für „Durchgeknallt“/1999), Filmproduzentin, jetzt auch Regisseurin und Drehbuch-Autorin. Das ehemalige Fotomodell schaffte ihren Durchbruch zum Massenpublikum 2001 mit ihrem Titelpart als „Lara Croft“ in „Tomb Raider“. 2005 hatte sie über die Action-Komödie „Mr. & Mrs. Smith“ von Doug Liman ihren bis heute größten kommerziellen Erfolg (mit Partner: Brad Pitt). Clint Eastwood wählte sie 2008 für die Hauptrolle einer gepeinigten Mutter in dem brillanten Drama „Der fremde Sohn“ aus, was ihr prompt eine weitere “Oscar“-Nominierung einbrachte. In dem Action-Thriller„Salt“ wütete sie 2010 als eine weibliche „Jason Bourne“ knallhart wie erfolgreich über die Leinwände. Kurz danach spielte sie im zweiten Streifen des „Oscar“-Preisträgers Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“) neben Johnny Depp eine geheimnisvolle femme fatale. Jetzt also ihr erster eigener Stoff und Film. Ebenso hochpolitisch wie hochemotional. Ein engagiertes Wut-Werk.

Angelina Jolie ist seit vielen Jahren „außerhalb“ von Hollywood politisch tätig. Als Sonderbotschafterin für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHOR) reiste sie in die Krisengebiete der Welt. Hielt sich im Tschad und im Irak, in Darfur, Afghanistan, in Lybien und Bosnien-Herzegowina auf. Lenkte mit ihrem Star-Privileg den öffentlichen Blick auf diese Brennpunkte der Zeit und des Leidens, informierte bei Benefizveranstaltungen über die grausamen Lebensverhältnisse dort. Mit eigenem Geld, selbst verfasstem Drehbuch und als Regie-Debütantin entstand schließlich das Projekt „In the Land of Blood and Honey“. Ein Drama aus den Kriegstagen in Bosnien. Das überwiegend in Ungarn entstand, weil die ursprüngliche Drehgenehmigung in Sarajevo zurückgenommen wurde. Budget: Rund 10 Millionen Dollar. Anstatt mit namhaften Hollywood-Kollegen zu arbeiten, tat sich Angelina mit unbekannten bosnischen, serbischen und kroatischen Schauspielern zusammen. Drehte sowohl in einheimischer wie in englischer Sprache.

SIE, Ajla (ZANA MARJANOVIC), ist 28, hat ihr Baby bei der Schwester gelassen, um einen vergnüglichen Tanzabend mit dem jungen Polizisten Danijel (GORAN KOSTIIC) zu verbringen. Sie, die muslimische Bosnierin, er, der christliche Serbe. Es ist Anfang 1992. Die verschiedenen ethnischen Gruppen im ehemaligen Jugoslawien leben offensichtlich friedlich zusammen. Dann explodiert eine Bombe. Sie markiert den Beginn des Krieges. Des Bosnien-Krieges. In dem von 1992 bis 1995 etwa 100.000 Menschen umkamen. Mehr als 2 Millionen Menschen wurden vertrieben. Mord, Plünderung, Vergewaltigungen und Zerstörung waren an der Tagesordnung. Ajla und Danijel sind nun „Gegner“. ER als Kommandant, SIE als Gefangene. Danijel, der dem „Konflikt“ eher ambivalent gegenübersteht, „muss“ „mitmachen“. Sein Vater, ein fanatischer, autoritärer Nationalist und General, zwingt ihn zur aktiven Teilnahme.
Ihre Männer wurden erschossen. Oder verschleppt. Die bosnischen Frauen arbeiten im Lager der serbischen Soldaten. Unter erbärmlichsten Bedingungen. Und Qualen. Die hübschesten werden ständig – und bisweilen auch öffentlich – vergewaltigt. Menschenrechte gelten hier nicht. Danijel bemüht sich so gut es geht Ajla „zu sichern“. Zu schützen. Zu beschützen. Als quasi seine „Leibeigene“. Ist mal Jekyll, dann Mr. Hyde. Mal stilles Fragezeichen, mal uniformierter Mörder. „Du bist mein Besitz“, formuliert er einmal ihre Kriegsbeziehung halbspaßig. Während sie zwischen Elend, Ekel und „Sicherheit“ die Flucht ein zweites Mal anstrebt. Unter seiner „diskreten“ Mithilfe. Als sein Vater von der „grotesken Beziehung“ seines Sohnes erfährt, reagiert er bestialisch: Du Hure, ich der Mächtige. Der Herrscher. Der Bestimmer über Alles-Ja und -Nein. Der private Konflikt eskaliert. Im Minenfeld zwischen Gefühl und Gehorsam. In einer endgültig grausam gewordenen Kriegsliebe.

Wie soll man es sagen – in dieser gemeinen, erschütternden Direktheit, mit diesem realistischen Zynismus, diesem widerlichen menschlichen Zerstörungspotenzial, dieser schonungslosen wie notwendigen weil wirklich wirkungsvollen Bilder-Wucht prallt der Film in den entsetzten Kopf. Der Mensch in seiner widerwärtigsten „Konsequenz“. Monsterhaft. Unterwegs im „Auftrag“ einer Ideologie, Religion, Politik. Oder sonst was. Man muss Angelina Jolie danken, in dieser spielfilmhaften Eindringlichkeit einen Neulich-Krieg, ganz in unserer europäischen Nähe, in seinem ganzen Dreck und in seiner ganzen Inhumanität, Widerwärtigkeit und Bestialität SO bedeutungsvoll = wirkungsvoll nachgestellt zu haben. Ihn so vehement aufzuarbeiten, zu demaskieren. Dermaßen plausibel vorzuführen. Um aufzurütteln. Hochemotional wie großartig wütend. Machend. Anhand bzw. ausgehend von einer (zunächst) simplen Love Story. In dann solch einer fürchterlichen Region. Zu einer doch – vermeintlich – modernen Zeit. Zu einem „fortgeschrittenen“ Zeitpunkt. Zeit-Raum. 1992 bis 1995. In beinahe unmittelbarer Nachbarschaft. Unfassbar.

Man möchte dies „dem Kino“ zuschreiben. Von wegen „Fiktion“. Geht aber eben nicht. Ist INSGESAMT wahr. Und deshalb so fassungslos „gut“.
Was für ein beeindruckendes Werk von Ungeheuer-Wichtig-Film! (= 4 ½ PÖNIs).

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