IN IHREN AUGEN

IN IHREN AUGEN“ von Juan José Campanella (Co-B+R; Argentinien/Spanien 2009; 129 Minuten; Start D: 28.10.2010); der am 19. Juli 1959 in Buenos Aires geborene Drehbuch-Autor und Regisseur, der 1988 auf der New York University sein Film- und Fernsehstudium abschloss, ist auch bei uns durch seine Filme „Zur Hölle, Mrs Love!“ (1991) und „Der Sohn der Braut“ (2001/Auslands-„Oscar“-Nominierung) bekannt. Sein neuestes, sein 6. Spielfilm-Werk, das auf dem 2005 erschienenen Roman „Die Frage der Augen“ des argentinischen Schriftstellers Eduardo Sacheri basiert, wurde in diesem Jahr mit dem Auslands-„Oscar“ bedacht (und ließ damit Favoriten wie „Das weiße Band“ von Michael Haneke oder Jacques Audiards französischen Gefängnisreißer „Ein Prophet“ hinter sich).

Ein ganz besonnener Film. Der unaufgeregt, fast bedächtig beginnt. Knapp eine Stunde sich Zeit nimmt, um auf DAS GESCHEHEN hinzusteuern. In absolut verständlichen zeitlichen Ebenen – mit denselben Protagonisten – angesiedelt ist und ständig „neugierig“ bleibt. Als überschaubares, reizvolles Puzzle. In der sanften Mischung aus Melodram, Thriller und Politfilm. Dabei im Mittelpunkt: Der Justizbeamte und Gerichtsermittler Benjamin Espósito (Campanellas Lieblingsschauspieler RICARDO DARIN). DEN quält seit einem Vierteljahrhundert ein grausamer Mordfall, bei dem eine junge Frau bestialisch vergewaltigt und ermordet wurde. ER war damals, 1974, einer der leitenden Ermittler. Gemeinsam mit seiner Kollegin, der Richterin Irene Hastings, blieb er hartnäckig und ließ sich auch durch ignorante Vorgesetzte und Kollegen nicht aufhalten. Hielt zugleich mit dem geschockten, verzweifelten Ehemann der Ermordeten Kontakt. Konnte schließlich „den Knoten“ lösen und gemeinsam mit einem Kollegen, dem bisweilen ausflippenden kranken Alkoholiker-Freund Sandoval, den Täter ausfindig machen.

Doch dann kommt alles ganz anders, weil die inzwischen militärdiktatorische Junta-Staatsführung für seine Terrorbrigaden willfähige Handlanger benötigt und den Mörder nicht nur freilässt, sondern auch in ihre Reihen „aufnimmt“. Während sein Kollege umgebracht wird, kann Espósito aufs Land fliehen und untertauchen. Mit Unterstützung seiner heimlichen großen Liebe, der Richterin. 25 Jahre danach kehrt der inzwischen pensionierte Espósito zu ihr zurück, um über die einstigen Ereignisse zu recherchieren und ein Buch zu schreiben. Als endgültige eigene Aufarbeitung. Womit „der Fall“ nochmal ins Rollen gerät. „Beruflich“ wie erneut auch „privat“. Mit überraschenden, verblüffenden Ereignissen und Ergebnissen.

Das „amerikanische Kino-Auge“ darf/MUß einmal komplett abgeschüttelt werden. Dieses Lichtspiel der schnellen Krach-Aktionen, Schnitte und Lösungen existiert hier nicht. Wir tauchen in diese „sonderlichen Normalos“ ein, nehmen die befremdliche Sorgfalt, Ruhe auf, atmen diese „besondere“ Atmosphäre eines unbekannten Landes ein, erleben private Politik, blicken auf eine mitreißende berührende Stimmung und tragische Stimmungen.

Ein reicher Film. Behutsam wie originell entwickelt. 1:1 spannend. Wir fühlen nur das, was wir sehen, was passiert: Unwahrscheinliche Tricks wie Doppelbödigkeit und „dickes Heldentum“ brauchen wir nicht zu befürchten. Volle Konzentration auf DAS und DIE hier. Man darf sich auf die verschiedenen zusammenhängenden Geschehnisse mehr und mehr fasziniert einlassen. Auch weil Co-Drehbuchautor und Regisseur Juan José Campanella es nicht darauf anlegt, die Schreckensherrschaft der argentinischen Militärs, die zwischen 1976 und 1983 mindestens 30.000 vermeintliche „Feinde“ verschwinden und ermorden ließen, lauthals zu zeigen, sondern darauf hinwirkt vorzuführen, WIE sich dieser Staatsterrorismus im Innern, auf die gesellschaftlichen Zustände, auswirke, eingemeindete, sich in Menschen tief einfraß und ausbreitete. Ständig begleitend „heimlich“ bedrohte.

„In ihren Augen“, der unter seinem Originaltitel „El Secreto Du Sos Ojos“ in Argentinien mit über 3 Millionen Besucher zu einem Kino-Hit avancierte, ist ein sich vorzüglich entwickelnder Spannungsfilm als Chronik-Krimi um Staatsterror und Opferwehr. Und berührt eben zugleich auch ganz wunderbar einfühlsam als Melodrama um eine sanfte ewige unerfüllte(?) Liebe. Mit dem großartigen „Paar“ RICARDO DARIN & SOLEDAD VILLAMI.
Plus einer definitiv „umhauenden“, also völlig unerwarteten Fall-(Auf-)Lösung.
Der Auslands-„Oscar“-Film 2010 zählt unbedingt zu den Jahrgangs-Besten-Movies (= 4 PÖNIs).

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