WILD TALES – JEDER DREHT MAL DURCH

PÖNIs: (5/5)

Es passiert, ist aber blöd, ich weiß: Dass man einen herausragenden Film beim Kino-Start einfach „übersieht“. Und jetzt erst betrachtet: Einfach (sehr) dumm gelaufen. Damals. Denn d e r Film, den ich heute DRINGEND – und jetzt fürs heimische Kino – empfehle, zählt zu den Besten des Jahres. Und: Nicht gleich „zucken“, weil es sich hier „nur“ um einen argentinischen Spielfilm handelt; glauben Sie mir, es lohnt sich. WIRKLICH. Mit Garantie: Einige Episoden werden Sie NIE mehr vergessen, so großartig-brachial sind sie. Also: Dieser Film umfasst alles, was man unter HIT und KULT versteht/begreift: Ein typischer 5 PÖNIs-Film:

„WILD TALES – JEDER DREHT MAL DURCH“ von Damián Szifron (B + R; Argentinien 2013; Co-Produzenten: die Brüder Pedro und Augustin Almódovar; K: Javier Juliá; M: Gustavo Santaolalla; 122 Minuten; Start D: 08.01.2015; deutsche Heimkino-Veröffentlichung: 25.06.2015).

„Wilde Geschichten“, da dreht jeder schon mal durch = der Titel ist Programm. Denn wir kennen DAS. Hinlänglich. Da hat uns jemand dermaßen gepiesackt, so dass wir ihm „die Pest“ an den Hals wünschen. Oder – wir können es einfach nicht verknusen, dass wir über die Lebens-Jahre ständig, privat wie beruflich, richtig gemein gehänselt wurden. Von unserem Umfeld. Normalerweise müssen wir „damit“ leben. In diesem rasanten Episoden-Film aber geht es richtig zur Rache-Sache. Weil unsere Welt sowieso ungerecht, korrupt und reichlich deprimierend ausschaut. So dass jeder noch so harmlose Moment das innere Fass zum Überlaufen bringen kann. Stichwort: Kontrollverlust. Also beginnen eigentlich ganz normale Mitbürger unter uns plötzlich… zu explodieren. Auszurasten. Präzise: Von gemein bis pfiffig auszurasten. Was konsequente Kettenreaktionen auslöst…oder: Es zündelt abgrundtief pointiert. Und saukomisch lästerlich.

Der Prolog, die Episode 1, Titel: „Pasternak“, versetzt uns in ein Flugzeug. Es ist nur wenig besetzt, aber DIE, die hier mitfliegen, merken bald, dass sie „im falschen Boot“ sitzen. Denn Pasternak, der Flugbegleiter, hat alle d i e Menschen „zusammengeholt“ und hier versammelt, die ihn in seinem Leben irgendwann mies behandelt haben. So richtig fies. Einst in der Schule, später als Erwachsenen. Haben ihn von unausstehlich bis untalentiert abgewiesen. So dass sich bei ihm Frust bis in die höchste Seelen-Abgründe gebildet hat. Nun aber „revanchiert“ sich Pasternak. Bitterböse. „Von wegen, IHR Deppen“…

„Die Ratten“: In einem Schnellrestaurant ist nichts los. Dann taucht ein ziemlich arroganter Typ auf. Marke: Überhebliches Arschloch. Als die Kellnerin ihrer älteren Köchin offenbart, dass es genau DIESER Kerl einst war, der die Familie ruiniert, ihren Vater in den Selbstmord getrieben und sich auch noch widerlich an ihre Mutter herangemacht hat, wird die Köchin „aktiv“. Gegen den Moral-Willen ihrer jungen Kollegin. Sagen wir mal – sie hantiert „praktisch“, wenn es einmal im Leben darum gehen soll, gesellschaftliche „Gerechtigkeit“ herzustellen.

„Der Stärkste“. Wir kennen diese Angeber-Arschgeigen. Von der Autobahn. Brausen mit ihrem neuen Protz-Klotz von Auto über die Straßen und benehmen sich, als gehören diese nur ihm. Diego ist solch ein Geschäftsmann. Auf Tour. Mit Aircondition. Als ein langsam fahrender „Klapperwagen“ vor ihm erst nicht ausweicht, beschimpft Diego ihn und zeigt ihm den Mittelfinger. Um dann davon zu düsen. Die Folge: Steven Spielbergs „Duell“-Debütfilm von 1971 in der konsequenten „Weiterführung“. Denn Diego hat eine Reifenpanne. Mitten in der Wüste. Als der Schrottwagen samt Fahrer auftaucht, beginnt Quentin Tarantino „zu winken“. So komisch-brutal und abartig-amüsant entwickelt sich diese spezielle moderne „Duell“-Show….

„Bömbchen“: Wir kennen das. Diese ekligen Bürokraten „vom Amt“. Stoisch, immer rechthaberisch, sich für die aufbegehrenden Belange ihrer Kunden nicht interessierend. Simon Fisher. Seines Zeichens Sprengmeister. Zorn ist sein Begehren. Seit ihm sein Auto unberechtigterweise, wie er meint, ständig abgeschleppt wird. Zahlen sie, dann kriegen sie ihren Wagen zurück, lautet jedes Mal die Routine-Antwort des Beamten im Container. Einwände werden zurückgewiesen. Weil aber das Leben des Bürgers Simon dadurch immer „folgenschwerer“ wird und er schließlich sogar seinen gut dotierten Job verliert, dreht er das Gerechtigkeitsrad um. Und benimmt sich so, wie wir uns das alle schon einmal (und oft) gewünscht haben. Und wer sagt’s denn, „Bömbchen“ wird dadurch sogar zum öffentlichen Hit….

„Der Vorschlag“: Bist du reich, glaubst du, alles ist machbar. Also bezahlbar. Der Sohn aus reichem Haus, Santiago, hat mit der Luxusauto seines Vaters eine schwangere Frau überfahren. Die Öffentlichkeit ist empört. Papa und Mama wollen UM JEDEN Bestechungs-PREIS verhindern, dass der Sprössling „büßen“ muss. Und bemühen sich, mit (viel) Geld und (listigen) Worten eine „einvernehmliche Lösung“ zu finden. Geldgierige Beteiligte: Der Familien-Anwalt, ein korrupter Staatsanwalt, ein mittelloser Gärtner. Wenn Sie jetzt denken…, nö. Das war es noch überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, die Figuren geraten wie ihre Positionen unerwartet ins Trudeln….

Schließlich: „Bis dass der Tod uns scheidet“: Ehrlich, solch eine feudale Hochzeit, präziser: spektakuläre Hochzeitsfeier, haben wir noch nie so herrlich-köstlich-unanständig im Anarcho-Kino erlebt. In dieser – wortwörtlich zu nehmenden – totalen Ausgelassenheit. Kurzes Geschmacksaroma: Glückseligkeit, Demütigung, Verzweiflung, Kontrollverlust, Auferstehung, Gelüste…das volle süffisante Härte-Programm. Unglaublich. Zum Unvergessen geeignet. Weil: Grandios irrsinnig komisch.

2014 lief „Wild Tales in Cannes beim Festival und erhielt nach seiner Aufführung minutenlangen Begeisterungsbeifall. Ovationen. Zuhause, in Argentinien, mutierte er an den Kinokassen zum erfolgreichsten einheimischen Film aller Zeiten. (Gedreht mit einem Budget von 3,3 Millionen Dollar spielte er bis September 2014 20,6 Millionen Dollar an den Kinokassen ein). Im Frühjahr wurde er für den Auslands-„Oscar“ nominiert. Das Thema, wenn die Grenzlinien zwischen Zivilisation und Barbarei süffisant-absurd-zynisch gekänzelt werden, wird in voller, ironisch-brutaler Breitseite überzeugend ausgereizt. Zudem: Man findet in diesem Episoden-Dampf genügend Leute, die man kennt. „Dummheit ist eine Sucht, der viele nicht widerstehen können; und ich kenne viele, viele Süchtige“, erklärt der Autoren-Regisseur DAMIÁN SZIFRON (Presseheft) zu seinem globalen Identifikations-Meister-Stück. Das außerordentlich prächtig twisted, wie man heute neu-deutsch temporeiche Zweideutigkeiten und delikate Hintergedanken beschreibt, und als aberwitziger wie toll unverschämter Spaß phantastisch emotionalisiert. Käme er aus Hollywood, würden wir ihn alle automatisch umarmen, so aber bedarf es viel Überzeugungsarbeit: „WILD TALES“ besitzt Unterhaltungsstufe 1!!!!!

Ein MUST SEE-Film (= 5 PÖNIs).

Anbieter: „Prokino Home Entertainment“

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