IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT

PÖNIs: (4/5)

„IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT“ von Aelrun Goette (B + R; D 2021; K: Benedict Neuenfels; M: Boris Bojadzhiev; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 6.10.2022);

MENSCHEN UND MODE. In der DDR. Ging das überhaupt? Titel = „IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT“ von Aelrun Goette (B + R; D 2021; K: Benedict Neuenfels; M: Boris Bojadzhiev; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 6.10.2022). Manchmal passieren seltsame Filmdinge. Wenn Zelluloid „brennt“. Also prächtig unterhält. Wie  – wenn ein ehemaliger WEST-Berliner staunen darf. Zum Beispiel über AELRUN GOETTE, Drehbuch-Autorin und Regisseurin. Die in den 80er Jahren auf der Straße in Ostberlin als „Mannequin“ entdeckt wurde. Sie modelte für den „VEB Exquisit“, war auf dem Cover der „Sibylle“ und stand für Fotografen vor der Kamera. Der Film basiert auf ihrem Leben und ist von wahren Begebenheiten inspiriert.

„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ hießen Models Mannequins. Auch ohne Laufsteg wagte man den aufrechteren Gang. Es existierte Mut und Wut, Eingriff und Zugriff, Untergrund und Schönheit. „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ hieß die Freiheit zwar Freiheit, doch man musste nach ihr suchen und sie sich – mehr oder weniger heimlich – nehmen. Es wurde geträumt, gelesen, geweint, geliebt, gestaltet, gefeiert. Und gearbeitet. Und verhaftet. Ost-Berlin, Frühsommer 1989. Wo Aelrun Suzie  heißt, 19 Jahre jung ist und von der Darstellerin-Debütantin MARLENE BUROW exzellent sensibel vereinnahmt wird. Das Abitur winkt, und danach will Suzie Literatur studieren. Weil sie aber George Orwell („1984“) liest und dabei „erwischt“ wird – „Ich bin ein asoziales Subjekt“ -, muss sie sich im Kabelwerk Oberspree als „sozialistische Zerspannungsarbeiterin“ bewähren. Schule out, ab also in die Produktion. Wo es vor überzeugten „Genossen/Innen“ wimmelt. Doch dann geschieht etwas wunderbar-sonderbares: ein Schnappschuss in der morgendlichen Straßenbahn öffnet Suzie die Tür in die glamouröse Welt der Mode. Sie landet auf dem Cover des Modejournals Sibylle, der ‚Vogue des Ostens‘, wo die Chefredakteurin Elsa Wilbrodt (CLAUDIA MICHELSEN/auch bekannt als Kriminalhauptkommissarin Doreen Brasch in der ARD-Krimireihe „Polizeiruf 110) ihr die Chance bietet, möglicherweise dem sozialistischen Fabrikalltag entkommen zu können. Allerdings sind die Hindernisse dafür/dabei enorm. Beruflich wie privat. Schließlich ist vieles „sozialistisch“ reglementiert. Da musst du tricksen und listig hantieren. Um doch anzuecken.

Kreative Energie ist unterwegs: „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ beziehungsweise – wenn Extreme aufeinanderprallen. Auf der einen Seite DIE SYSTEMVERTEIDIGER, die ekligen „festen“ Funktionäre, auf der anderen die bunten „Eroberer“, die leidenschaftlichen Phantasiegestalter, mit ihren bunten Fragen: Was ist es wert, Träume zu realisieren? Um zum Beispiel Mode aus Duschvorhängen und sonstigem verfügbaren Material zu erfinden? Und zu präsentieren? Zu verkaufen? Und: was bedeutet es, inmitten dieses modischen Freiraums auf selbständige Emotionen und Entscheidungen zu pochen? Suzie bekommt „zu tun“. Lernt – auch unangenehme – Konkurrentinnen „kennen“ und verliebt sich in den rebellischen Fotografen Coyote (DAVID SCHÜTTER), der schon längst als beruflicher Profi eigene heimliche Wege geht. Suzie beginnt sich auf kreative Nischen einzulassen. Sie ist doch nun „mehr“.

Das Ensemble ist exzellent. Die Figuren sind glaubhaft. Ihre Gedanken und Bewegungen stimmen. Kommen ausgesprochen clever-unterhaltsam ‚rüber. „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ ist ein Film, der erst in der letzten Viertelstunde zerfleddert. Zu viele „Dinge“ schnell noch ab-pustet. Mit Themen wie Positionen und Lösungen. Und dem Hinweis  –  3 Monate später fällt die Mauer. Klar doch.

Fazit: Wie ist das doch eigentlich heute – gewesen in Sachen Sehnsucht und Enge / Sozialismus und Eleganz / Freiheit, für die wir welchen Preis dafür zu bezahlen bereit sind? Ein stimmiger wie lebendiger und dabei sehr intelligent-unterhaltsamer deutsch-deutscher Spannungsfilm (= 4 PÖNIs).

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