HEIMAT, SÜSSE HEIMAT

PÖNIs: (4/5)

„HEIMAT, SÜSSE HEIMAT“ von Jirí Menzel (Tschechoslowakei 1985; B: Zdenke Sverák; K: Jaromír Sofr; M Jirí Sust; 98 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.05.1987).

Sie heißen Otík und Pávek, könnten aber genauso gut Stan (Laurel) und Oliver (Hardy) heißen, so gehen sie miteinander um, so hängen sie aneinander. Jetzt aber hat der LKW-Fahrer endgültig von seinem träumerischen, etwas zurückgebliebenen Beisitzer Otík die Nase voll. Weil der die Errungenschaften eines Walkman ausprobieren muss, läuft es beim Abladen mal wieder schief. Und so ist dicke Luft im ansonsten idyllischen Dörfchen Krecovice angesagt. Aber was heißt hier Idylle? “Oh frischer Duft, oh neuer Klang“, rezitiert der heimische Arzt und Seelenklempner Skruzny am Steuer seines Wagens, während sich um ihn herum die Müllberge und der Dreck im Wald türmen und er mal wieder in einen Graben fährt. Aber das ist für ihn nichts sonderlich aufregendes, weil er das sowieso jeden Tag macht und weil er weiß, dass ihn bald schon die beiden LKW-Spezis wieder rausholen werden. Seine Fahrweise und seine ständigen Träumereien am Lenkrad gehören hier längst schon zum Alltag und sind ein Ritual in dieser Idylle. Aber natürlich ist diese Idylle nur hausgemacht. In Wirklichkeit geht es hier genauso turbulent und bürgerlich zu wie woanders auch.

Eine junge Ehefrau hat ein Verhältnis mit einem stürmischen Liebhaber, und man benutzt dazu ausgerechnet Otíks kleines Häuschen. Was stets die misstrauische und um die Moral bedachte Haushälterin ins Grübeln bringt. Während der Schulbub selbstmörderisch romantische Gefühle für die Lehrererin hegt, die sich aber viel lieber mit dem naiven Maler abgibt, der hier plötzlich auftaucht und wenigstens mit dem Pinsel die Kultur-Werte erhalten möchte. Die Geflügelzüchterin dagegen gehört zur Nachrichten-Welt dieser kleinen Region und ersetzt die Zeitung. Also alles wie woanders auch, nur eben kleiner, überschaubarer. Nur ist jetzt die Welt gehörig ins Wanken geraten, als es Pávek anscheinend ernst ist mit der Ausmusterung von Otík. Der sieht sich schon mal in der Stadt um, wo ein Direktor auf sein Haus als Wochenend-Datscha spekuliert. Aber dann findet sich doch alles zum Guten. Zum Guten? Wenn man beispielsweise bedenkt, dass der Doktor einen neuen Wagen bekommen hat und die Maul- und Klauenseuche ausgerechnet auf Otíks Hof ausgebrochen zu seien scheint…?

Jirí Menzel zeigt sich im Gespräch überrascht, dass seine tschechische Produktion überhaupt ins Ausland gekommen und kürzlich sogar für den Auslands-“Oscar“ nominiert war. Er hat ihn, wie wir wissen, nicht bekommen, aber vor 20 Jahren, als er gerade 30 wurde, bekam er schon einen. Für “Liebe nach Fahrplan“ haben auch wir ihn hierzulande damals ins Herz geschlossen. Diese kleine, feine Tragikomödie um einen Bahnbeamten-Anwärter Ende des Zweiten Weltkriegs in einer Kleinstadt, rührte damals viele – auch bei uns. Danach war lange Zeit von diesem Autor und Regisseur nichts zu hören, die Umkehrung des Prager Frühlings trafen auch ihn. Erst 1978 erregte er international wieder Aufsehen mit der Hommage an die Erfinder der Filmarbeit mit “Die wunderbaren Männer mit der Kurbel“. Zwei Jahre darauf entstand “Kurzgeschnitten“, dem Vorläufer dieser idyllischen Filmkomödie. Da ging es um die ebenso amüsanten wie hintergründigen Beobachtungen in einer tschechischen Kleinstadt der Zwanziger, wo die Zivilisation ihre tückische Einkehr hielt. Jetzt ist sie eingekehrt, aber immer noch hegen und pflegen die Menschen ihre gestrigen Ansichten.

“Das ist kein Land, das ist ein Garten“, lässt der Doktor vernehmen, ohne sich um die Verunreinigung durch die Chemie oder die zunehmenden Lärmbelästigungen zu kümmern. Ein Stück Grün, sein Hund, und fertig ist sein Weltbild. “Offenbar tauchen hier ein paar typische menschliche Momente auf, die überall dieselben sind“, versucht der Regisseur das internationale Interesse an seinem Film zu begründen. Der sich natürlich nicht klar ausspricht, sondern mit doppelzüngigem Charme argumentiert. “Es hat schon was für sich, am Friedhof zu wohnen“, lautet schon deutlicher das Idyll von Pávek, der es sich auch dort so gemütlich wie möglich eingerichtet hat, während seine Kinder gewohnt sind, zur Beerdigungsmusik zu tanzen.

„Das Leben ist eine Heuchelei, man muss sie nur mögen“, könnte eine seiner Botschaften sein. Aber ‘Botschaften‘ hört er gar nicht gerne. “Mich interessieren in erster Linie die menschlichen Beziehungen“, sagt Jirí Menzel. “Menschliche Beziehungen, die in einer kleinen Gemeinde besser anzuschauen und nachzuvollziehen sind als in einer Großstadt. Sie sind doch das Hauptthema für alle interessanten Filmwerke oder für das Theater. Das ist wie Melodie für Musik“. Sein einziger Wunsch ist es, dass die Leute auf leichten Füßen und “mit einem bisschen schweren Kopf“ aus dem Kino kommen. Schweren Kopf? “Na ja, damit sie vielleicht mal ins Nachdenken kommen über ihre Situation und über die der Freunde, Nachbarn und Mitbürger“, grinst er verschmitzt. Es ist ihm nicht sehr angenehm, über sich und seine Arbeit zu reden, Menzel ist ein charmanter, aber auch scheuer Künstler. Der Humor und Spaß auch als Voraussetzung für das Filmemachen nennt. Eine gute Atmosphäre bedeutet ihm viel mehr als perfekte Technik, sagt der Bewunderer amerikanischer wie französischer Komödien. Das Otík und Pávek wie die dänischen Clowns Pat und Patachon auftreten, empfindet er als großes Kompliment.

Als seine Lehrer nennt er Stan Laurel & Oliver Hardy ebenso wie Renoir, René Clair, Charlie Chaplin, Buster Keaton und Tati. Womit auch sein Hang erklärlich wird, wenig Worte und dafür umso mehr die Körper der Beteiligten sprechen zu lassen. “Die Sprache ist oftmals zu simpel als Erklärung für Situationen. Viel besser ist der körperliche und pantomimische Ausdruck“, beharrt er. „Mit dem Körper und der Mimik ist es nicht ganz so einfach zu lügen“, wird er schon deutlicher. Es geht also um das Leben und die vielen Hindernisse, dabei es zu leben wie man will. Ein Thema für Zuhause? Andere sind gerade aus diesem Grund, so etwas nicht in der eigenen Heimat sagen und zeigen zu können, geflüchtet. Milos Forman etwa, der in Hollywood Triumphe gefeiert hat mit “Kuckucksnest“ und “Amadeus“.

Ein sympathischer, kauziger Schlaumeier, dieser Jirí Menzel, der in der Schlussszene ganz eindrucksvoll sein Motto von Verständigung umschreibt, wenn der Dicke plötzlich anfängt, sich in die ulkigen “Gewohnheiten“ von Doof einzulassen. “Bitte, man darf sich ganz einfach nicht zu ernst nehmen. Wenn sich jemand nämlich zu ernst nimmt, hat er keine Möglichkeit mehr, sich zu verbessern“ (= 4 PÖNIs).

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